[11] Little things

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In meinem Leben hatte ich schon dutzende Konzerte gegeben. Mal waren sie bedeutsamer und prägender und manchmal waren sie durch Einflüsse des Privatlebens oder anderen Umständen eine große Herausforderung gewesen.
Heute kamen all diese Gedanken zusammen.

Ich hatte lange Zeit nicht mehr das Gefühl gehabt, dass ich den Fans derart nah war.
Sie teilten mit uns an diesem Tag den Enthusiasmus, den das Comeback mit sich gebracht hatte.
Mit ihren Händen, Füßen und Rufen begleiteten sie uns durch die alten Lieder, dessen Texte nach so langer Zeit noch immer in ihren Köpfen abgespeichert waren.
Es war ein unglaubliches Gefühl. Dieses Konzert hatte sich oftmals in meiner Fantasie abgespielt oder hatte mich im Schlaf besucht. Doch keine Vorstellung der Welt würde an diesen Augenblick heran kommen.

Nachdem die letzten Töne von Perfect verklungen waren, (auch bei diesem Lied hatte es jede Menge Larry-Rufe gegeben, die von Louis mit seiner Ignoranz und von Harry mit einem lauten „This is a family show... Or is it?" entgegen genommen wurden) folgte das Lied I want to write you a song.
Schon die ersten Takte meiner Gitarre legten ein Schweigen auf die versammelten Leute. Die Atmosphäre schlug so schnell um, dass ich einen Moment völlig vergaß den Saiten weiterhin eine Melodie zu entlocken.
Doch schienen meine Finger schon ohne mich zu wissen, was zu tun war. Harry begann als erster zu singen.

Die Gitarre, wie einen alten Freund in den Armen haltend, wippte ich langsam im Takt mit und schloss für einen Moment die Augen.
Erst als Liam den Song weiter führte, öffnete ich sie wieder und sah an Louis vorbei zu ihm herüber.
Wie ich es mir gedacht hatte, hatte er das Mikrofon aus der Halterung genommen und war einen Schritt vor getreten. Voller Gefühl ließ Liam die Worte durch die Halle schallen. Ich wusste nicht, an was oder wen er dachte, aber sah ich ihm an, dass er in seinem Gedanken nicht nur den Text durchging.

Mir wurde erneut klar, dass so sehr ich es auch mochte auf der Bühne aus mir heraus zu kommen und meine Gedanken in die Welt zu rufen, ich die ruhige Atmosphäre über alles liebte.
Sie musste manchmal nur von einer einzelnen Gitarre erzeugt werden und hatte doch die Kraft eine so große Menschenansammlung zum Schweigen zu bringen.
Einen Moment erinnerte ich mich an Little Things zurück. Dieses Lied hatte es ebenfalls geschafft, den Puls zu senken und das Herz schneller schlagen zu lassen.

Gedankenverloren ließ ich meinen Blick erneut zu den Fans schweifen. Erst jetzt nahm ich die vielen Lichter wahr.
Wie dutzende kleine Sterne bewegten sie sich im selben Rhythmus hin und her.
Ich blendete die Tatsache, dass es Handytaschenlampen waren komplett aus. Ich sah nur noch den Sternhimmel vor mir, der sich andächtig zur Musik bewegte.
Zu gerne hätte ich den Fans das Bild, welches sie gemeinsam schafften, aus meiner Perspektive zeigen können.

Dieser schöne Moment nahm viel zu schnell ein Ende. Die nächsten Lieder verklungen eins nach dem anderen.
Und so wurde ich, trotz des Wissens, dass dies erst der Anfang war, bei unseren Abschlusslied End of the day wehmütig.
Ich hätte zu gerne die Zeit angehalten und wusste, dass ich nicht der einzige war, der mit diesem Gedanken spielte.
„Danke London", rief Louis zum Abschied und sah mit strahlenden Augen in das Meer aus Gesichtern.
Der Geräuschpegel stieg erneut an, so als würden sie noch einmal alles geben wollen.

Nun übernahm Harry das Wort: „Ohne eure Unterstützung und Geduld hätten wir das alles nicht geschafft. Ihr seid der Grund, weshalb wir hier wieder stehen"
„Noch mehr davon und ich werde emotional", flüsterte ich bemüht grinsend in Liams Ohr.

Dabei wussten wir beide, dass es kein Wort mehr brauchte. Die Tränen brannten bereits in meinen Augen.
Bevor ich endgültig die Selbstbeherrschung verlieren konnte, liefen wir einer nach den anderen von der Bühne. Klatschend und Winkend, als Danke für die tatkräftige Unterstützung unserer Fans.

Zwei Stunden später erreichten wir gut gelaunt den Club, welchen wir schon oft in früheren Zeiten besucht hatten. Es war so eng, abgedunkelt und klein, dass wir kaum auffielen.
Und heute gab es wohl keinen besseren Ort, um unsere Rückkehr als Band zu feiern.

„Wollen wir nicht lieber zu einen von uns nach Hause fahren und dort anstoßen?", fragte Harry nach und sah skeptisch zu dem Gebäude herüber. Flackerndes Licht erhellte die kleinen Fenster und der hohe Geräuschpegel aus Stimmen und Musik drang aus der Tür und den dünnen Glasscheiben zu uns herüber.
„Harry sei nicht immer so eine Spaßbremse", warf Louis genervt ein und beförderte ihn zum Eingang. Einen Moment zögerte Harry. Dann überließ er sich seufzend seinem Schicksal und trat ein.

Drinnen erwartete uns eine tanzende Menge, die keine Rücksicht auf Verluste nahm.
Louis erkämpfte uns ein Weg zur Bar. Ich folgte als letzter und versuchte die vielen Menschen und Gerüche aus zu blenden. Meine Platzangst war das Letzte, das ich jetzt gebrauchen konnte. Doch war ich mir sicher, das, wenn ich erst einmal ein paar Drinks getrunken hatte, ich dieses Gefühl schon bald los werden würde.

„Vier", rief Louis plötzlich gegen die Musik an zu dem Barkeeper und zeigte auf ein Tablett Cocktails, die einen solchen Blauschimmer angenommen hatten, dass sie nicht mehr gesund aussahen.
„Bier?", hakte der Mann mit der Hakennase nach und kratzte sich am Hinterkopf.
„VIER", rief Louis nun noch lauter und warf uns einen kurzen Blick zu. Dieses Mal schien der Barkeeper es richtig verstanden zu haben, da er die gewünschten Getränke auf den Tresen abstellte, das Geld entgegennahm und sich dem nächsten schreienden Besucher widmete.

„Da hinten ist noch frei" Harry deutete zu einer ablegende Sitzecke, die einen guten Überblick über die Tanzfläche bot.
Wir kämpften uns durch die Menge und ließen uns nieder. Hier war die Musik zwar noch immer zu laut, um sich normal zu unterhalten, doch zumindest mussten wir uns nicht mehr anbrüllen.

„Auf unser ersten Konzert seit knapp dreieinhalb Jahren", meinte Liam stolz, ehe wir anstießen.
Als ich die ersten Schlucke von dem Getränk nahm, verzog ich augenblicklich das Gesicht. Ich wollte die Zutaten des Cocktails überhaupt nicht wissen. Eins musste man ihm dennoch lassen: Sein Nachgeschmack war verdammt gut.

Eine Weile unterhielten wir uns mit hoher Lautstärke. Ab und zu stand einer von uns auf, um neue Getränke zu besorgen. Auch Harry schien sich einigermaßen entspannt zu haben. Zumindest so lange, bis auf einmal drei Mädchen auftauchten.
Auch ich war nicht gerade begeistert davon. Schließlich sollte das hier ein Männerabend werden.

„Hey", riss mich eine der Dreien aus meinen Gedanken.
„Habt' Bock zu tanzen?", lispelte sie gerade so laut, dass wir sie verstehen konnten, und sah uns aus geschminkten Augen fragend an. Entweder war sie so betrunken, dass sie uns nicht erkannte, sie kannte uns tatsächlich nicht oder sie hatte im Gegensatz zu anderen Fans eine beneidenswerte Selbstbeherrschung.
Schnell warf ich den anderen einen kurzen Seitenblick zu. Doch schienen sie ebenso wenig wie ich als erster den Mund auf machen zu wollen.

Comeback (One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt