[43] Everything is fucking great

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„Harry?“, fragte ich leise und klopfte mit den Fingerknöchel gegen die weiße Tür. Jedoch wartete ich nicht auf ein 'Ja?' oder ein 'Komm rein', sondern trat einfach in das Zimmer.
„Kann ich kurz mit dir...“, mitten im Satz brach ich ab und blieb regungslos stehen. Harry lag über Aiden gebeugt in seinem Bett und küsste ihn leidenschaftlich, während Aidens Finger durch Harry Locken fuhren. Es brauchte einen Moment, bis die beiden meinen Aufenthalt bemerkt hatten und auseinander fuhren, um ihre Köpfe zu heben.

„Oh sorry“, stotterte ich und machte Anstalten wieder umzudrehen.
Seufzend drehte sich Harry auf den Rücken und verschränkte seine Hände im Nacken, während Aiden sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht pustete und unbeholfen an der Bettdecke herum zupfte.

„Ich wollte nicht stören“, meinte ich leise und machte auf der Stelle kehrt.
„Was ist denn los?“, fragte Harry jedoch, da ihm anscheinend nicht entgangen war, dass etwas vorgefallen war.
Ich winkte schnell ab, obwohl ich es ihm liebend gerne erzählt hätte.
Ich spürte, dass er seine Ruhe haben wollte, auch wenn ihn seine Höflichkeit davon abhielt, dies laut auszusprechen.

Erneut entfuhr Harry ein Seufzen. „Wir reden morgen, okay?“
Ich nickte leicht und machte mich auf den Weg zur Tür. Noch bevor ich sie hinter mir schließen konnte, beugte sich Harry erneut über seinen Freund und hauchte: „So ist das, wenn man mit seinen Kumpels um die Welt zieht. Man hat nicht einen Augenblick Privatsphäre“

„Meinst du nicht, dass er dich jetzt braucht?“, fragte Aidens leise Stimme nach. Ich blieb im Flur stehen und lehnte mich an die Wand. Die Zwei hatten nur Augen für sich, sodass sie den offenen Türspalt überhaupt nicht bemerkten.
„Er kommt schon klar“, war Harrys knappe Antwort, ehe er Aiden erneut küsste.

„Er kommt schon klar“, äffte ich Harrys Stimme in meinem Kopf nach und schloss leise die Tür, obwohl Aiden und Harry wahrscheinlich nicht einmal aufgeschreckt wären, wenn ich sie mit aller Wucht zu geschlagen hätte.
Ich freute mich für Harry und gönnte ihn seine Zweisamkeit mit seinem Freund, doch hatte Aiden Recht: Ich brauchte ihn jetzt.

Langsam lief ich den Gang hinunter zu meinem eigenen Hotelzimmer. Früher hatten die Jungs und ich uns immer die Zimmer geteilt.
Wir hatten in Ehebetten geschlafen, uns im Bad zusammen fertig gemacht, während einer unter der Dusche stand und der andere vor dem Waschbecken Zähne geputzt hatte und hatten so gut wie nie Privatsphäre gehabt.
Wenn einer seine Freundin mit gebracht hatte, gilt striktes Zimmerverbot. Wer sich daran mal nicht gehalten hatte, musste etwas in die Verbotskasse packen und den anderen etwas ausgeben.
Meistens war ich es gewesen, der mal wieder so durch den Wind gewesen war, dass er vergessen hatte, dass einer der Mädchen zu Besuch war.

Nun hatte sich vieles verändert. Wir waren irgendwie verschlossener vor einander geworden.
Nicht nur im dem Sinne, dass wir nicht mehr die Zimmer teilten, sondern auch, dass wir nicht mehr ehrlich zueinander waren.
Eine Einsamkeit suchte mich auf, als ich in mein Zimmer trat und mich mit angezogenen Beinen auf dem Sessel niederließ.

Hailee hatte ich verloren. Louis hatte ich vergrault. Liam hatte eigene Sorgen. Und Harry hatte keine Zeit für mich.
Ein Seufzen entfuhr meine Lippen. Einen Moment spielte ich mit den Gedanken, dass ich meine Familie anrufen sollte.
Nur war es mittlerweile spät geworden und so wollte ich sie nicht aus dem Bett scheuchen. Greg und Denise waren sicherlich noch wach, doch womöglich würde das Telefon Theo aufwecken.

Es gab niemanden, mit dem ich jetzt noch sprechen konnte. Da rief ich mir auf einmal Louis' Stimme ins Gedächtnis: Wahrscheinlich bist du so mit deinem Selbstmitleid beschäftigt, dass du das überhaupt nicht mehr merkst.
Ich fühlte mich ertappt und doch konnte ich nicht damit aufhören. Louis hatte es noch schlimmer, er hatte womöglich seine feste Freundin verloren.
Doch ich wusste, dass ich manchmal egoistisch sein konnte.

Gedankenverloren starrte ich gerade aus. Einen Moment verharrte ich in dieser Position, als mir plötzlich ein Gedanke kam.
Vielleicht gab es doch Jemanden, mit dem ich sprechen konnte. Wenn schon meine engsten Freunde es nicht mehr konnten, dann musste eben die Vergangenheit her halten.
Ob es an der Müdigkeit, an den vielen Gedanken oder doch an der Verzweiflung lag, wusste ich nicht. Doch holte ich mein Handy aus der Nachttischschublade und tippte entschlossen eine Nachricht ein.

Geht es bei dir morgen Abend? Übermorgen geben wir ein Konzert und dann fahren wir weiter nach Berlin. Ich warte auf deine Antwort, Zayn.
N.

16. April 2019

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schossen mir jegliche Erinnerungen an gestern Abend durch den Kopf. Panisch sprang ich aus dem Bett und lief zur Fensterbank, auf der ich gestern mein Handy abgelegt hatte.
Mein Blick fiel auf das Display und machte mir die Hoffnungen, dass sich die Erinnerungen nur um restliche Traumfetzen handelten, zu Nichte. Wie dumm musste ich gewesen sein Zayn zu schreiben?

Tatsächlich hatte ich bereits eine Antwort erhalten. Er hatte zu gestimmt und mir noch dazu eine Uhrzeit und Adresse gesendet.
Laut meinem Handy handelte es sich hierbei um einen Park, der sich etwas abseits von der Stadt befand. Ich konnte mir schon denken worauf er hinaus wollte.
Am späten Abend dürfte dort kaum etwas los sein und so mussten wir uns nicht verpflichtet fühlen, Bodyguards mit einzuschalten.
Aus irgendeinen Grund machte mir die Vorstellung, um diese Uhrzeit alleine mit Zayn draußen herum zu laufen, Angst. Ich hätte noch ein paar Tage mehr gebraucht, um mich darauf einzustellen.

Nur war ich gestern zu unvernünftig gewesen und hatte nicht länger darüber nachgedacht.
Vielleicht wäre das der Augenblick gewesen, an dem ich die anderen mit einweihen sollte.
Doch nach gestern Abend wusste ich, dass wir anscheinend zu Einzelkämpfer geworden waren und mit unseren Problemen versuchten alleine klarzukommen.

Bevor ich noch länger darüber nachdenken konnte, klopfte es auf einmal an der Tür.
„Niall, wir wollen Frühstücken“, hörte ich Harrys dumpfe Stimme von der anderen Seite.
„Ich komme“, antwortete ich und zog mir schnell eine Jeans und einen Hoodie über, bevor ich zur Tür lief.
Als ich diese öffnete standen Liam, Louis, Aiden und Harry vor mir und sahen mich auffordernd an. Außer Louis. Der scharrte mit seinem Schuh auf den Boden und würdigte mich keines Blickes.

Harry sah von ihm zu mir. Sein Gesicht war ein reines Fragezeichen, doch sagte er vorerst nichts dazu.
Erst als wir am Frühstückstisch saßen und Louis und ich uns weiterhin ignorierten, machte Harry den Mund auf: „Habt ihr heute noch vor miteinander zu reden?“
Ich sah zu Louis, der nur mit den Schultern zuckte und machte es ihm nach.

Obwohl ich noch immer etwas wütend auf seine Wortwahl war, tat er mir leid. Dass Eleanor sich nicht mehr meldete, musste schrecklich für ihn sein.
Auch Liam warf ihm immer wieder vorsichtige Blicke zu, ehe er zu mir herüber sah und wir unsere Gedanken tonlos austauschten.

Nach dem Frühstück ergriff ich die Chance doch noch mit Louis zu reden. Ich packte ihm am Arm, während die anderen den Essenssaal bereits verließen.
„Es tut mir leid“, meinte ich und wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen.
„Ich wusste nicht, was du durch machen musst. Es ist einfach alles so schwer. Weißt du, früher haben wir immer offen geredet, wenn etwas war. Und jetzt erwartest du von mir, dass ich deine Gedanken lesen kann, obwohl du genau weißt, wie gut du im Überspielen bist.
Ich weiß, wie schwer es gerade für dich ist, aber anstatt mich anzuschreien, hättest du uns einfach von Eleanor erzählen können“

Ich wurde zunehmend angespannter. Die Stimmung zwischen uns schien erneut zu kippen.
Louis funkelte mich aus seinen blauen Augen wütend an, ehe er sich ruckartig von mir abwandte.
„Das tut mir alles echt leid, Lou“, rief ich verzweifelt und versuchte ihn erneut am Arm zu packen. „Ich komme schon klar… Nialler!“, zischte Louis und legte eine solche Ironie auf meinen Spitznamen, dass ich erschrocken zusammen zuckte.

Comeback (One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt