72 - Verhängnisvolle Tränen des Himmels

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Francos Sicht

"Wann hat dieser Regen begonnen?" Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe, während Dustin die Geschwindigkeit der Scheibenwischer erhöht. "Bitte fahr etwas langsamer. Es bringt keinem etwas, wenn wir auf dem Weg noch einen Unfall bauen."
Er hört auf mich und geht vom Gas. "Tja", Dustin schlägt seufzend aufs Lenkrad, "Gott weint wohl bitterlich um die ganzen Jugendlichen, die ihre Party heute im Krankenhaus ausklingen lassen dürfen."
"Ha, lustig", murre ich, während ich mir den ersten Handschuh anziehe. Mein Blick ist starr nach vorn gerichtet. Die glitzernde Landstraße vor uns könnte etwas Magisches haben. Wären wir nicht mit Blaulicht und noch immer viel zu schneller Geschwindigkeit für dieses Wetter unterwegs.

"Bitte lass uns wenigstens danach zum Essen kommen. Langsam aber sicher bekomme ich wirklich Hunger."
Dustin stimmt mir nickend zu. "Sag mal, du hattest doch erwähnt, Fine würde sich heute auch auf einer Party herumtreiben", schneidet er an. "Hast du mal zwischendurch was von ihr gehört?"
Ich verneine. Aus unerfindlichen Gründen schießen mir Bilder in den Kopf, die ich verdrängen will. Was ist, wenn Fine einer der Jugendlichen ist, die es übertreiben? Mein Blick huscht auf die Adresse, zu der wir fahren. Es ist, als würde mir wie aus dem Nichts eine Faust in den Magen schlagen. Die Adresse kam mir schon von Anfang an bekannt vor. Was ist, wenn-
Ich zwinge mich zur Ruhe. Es wird mit ihr nichts sein.
Leise fahre ich fort. "Aber da ist mein Ver-"

Nur noch mein klingelndes Handy schafft es, die quietschenden Reifen in meinen Ohren zu übertönen. Doch greifen kann ich es nicht mehr.

Josefines Sicht

Hände. Viele Hände. Tausende Hände greifen nach mir. Schütteln mich durch, halten mich fest, drücken an mir herum.
Mein Gehirn fährt Roller auf Pflastersteinen, mein Magen führt Kunststücke mit einem Hula-Hoop-Reifen auf.
"Josefine?"
Die Stimme schleudert mir meinen Namen trocken und rau vor die Füße. Ich verstehe sie. Möchte antworten.
Mein Kiefer schmerzt, als ich einen kläglichen Versuch starte, zu einem geflüsterten 'Ja' anzusetzen. Mit einer Geschwindigkeit wie auf der Autobahn schießt dieser zu Beginn so leichte Schmerz durch meinen ganzen Schädel.
"Okay, sie scheint wieder da zu sein", kommt die sanfte Schlussfolgerung einer weiblichen Stimme. "Dann können wir ja ihren Bekannten über die aktuelle Lage informieren. Holst du ihn kurz rein?"
Lautes Knistern, ein Geräusch, als würde eine Schublade geschlossen werden.
Dann scheint jemand eine Tür zu öffnen.
Ein heftiger Windzug umhüllt mich. Gänsehaut zieht großflächig über meine Haut. Erst jetzt bemerke ich den Regen, der schon beinahe aggressiv gegen meine schützenden Wände prallt. Der Wind pfeift, verschluckt in meinen Ohren erneut die raue Stimme. "Herr Funke?"
Funke? Ich möchte aufschrecken, Phil sehen. Ihn fragen, was passiert ist. Was mit mir gemacht wird. Doch alles, wozu mein Körper gerade fähig ist, ist das sich aufbauende Zittern. Zittern vor Kälte? Zittern vor Angst? Undefinierbare Gefühle bringen mich innerlich zum Beben. Nicht mal meine Augen kann ich öffnen, um wenigstens etwas Sicherheit zu bekommen.

Schritte, die ich schon etliche Male gehört habe. Phils Schritte. Ein kleines Fünkchen Sicherheit greift nach mir, doch entfacht nur das große Feuer des Gegenteils. Alles scheint hier so fremd. Und Phil kommt erst jetzt dazu.
Die Tür schlägt zu. Schlagartig hört das Pfeifen auf, der Regen scheint besänftigt.
"Ich bin bei dir." Dieser Satz mit der vertrauten Stimme und der immer warmen Hand, die nach meiner greift und sie mit demselben Druck wie so häufig umschließt, bringt mich dazu, loszulassen.

Phils Sicht

Wieder nichts.
Mit einem tiefen Atemzug nehme ich mein Handy runter. "Ich kann ihren Vater nicht erreichen. Er ist momentan arbeiten, das könnte noch etwas dauern."
"Okay, dann kümmert sich das Krankenhaus darum. Wir fahren sie in die Klinik am Südring, kommen Sie nach?"
Ohne Umschweife bejahe ich die Frage des Notarztes und verabschiede mich.

Mit zugezogener Jacke steige ich aus dem RTW, schließe die Tür hinter mir und eile zum Auto, in dem Anni bereits auf dem Beifahrersitz auf mich wartet.
"Franco wird gerade im Einsatz sein", gebe ich auch nochmal an Anni weiter. "Na ja, ich schreibe ihm schnell eine Nachricht, dann weiß er Bescheid, sobald er die Zeit dazu hat."
Der Bildschirm meines Handys kommt mir unnatürlich hell vor, während ich die Nachricht tippe. Ihm diese Botschaft übermitteln zu müssen, hinterlässt ein unschönes Gefühl. Ich will mir nicht ausmalen, was in ihm vorgehen wird, wenn er diese Nachricht liest.
"Und wie geht es ihr?", hakt Anni nach. Ein kaum merkliches Zittern hat sich in ihre Stimme geschlichen. Ob von der Kälte oder Angst ist schwer zu sagen.
"Sie ist stabil. Das ist momentan am wichtigsten. In der Klinik wird sich dann mehr über ihre Verletzungen sagen lassen."
Mit dieser Antwort gibt sie sich zufrieden. Anni weiß, wie schwierig eine ordentliche Aussage momentan ist.

Der Beginn der Fahrt verläuft schweigend. Wir denken uns beide einen eigenen Teil zum Geschehen.
"Siehst du das?", frage ich dann jedoch skeptisch und werde langsamer.
"Du bildest dir das sicher nicht ein", gibt Anni zurück und beugt sich nach vorn.
Vor uns breitet sich ein Meer aus Blaulichtern aus, wie ich es häufiger sehe. Doch in dieser Dimension im strömenden Regen hat das alles eine ganz andere Wirkung.
"Hier kommen wir wohl nicht weiter", stelle ich fest und will gerade der Anweisung des Polizisten folgen, der mich umleiten will, als ich Paul als eben diesen erkenne. Und in diesem Moment erkennt er auch mich.
Mit großen Schritten kommt er auf das Auto zu.
Sein Gesicht weiß wie das Licht meiner Scheinwerfer, die auf der nassen Straße reflektieren.
Verwirrt öffne ich mein Fenster, als er auf passender Höhe angekommen ist.
"Diese Zufälle strapazieren meine Nerven zu sehr", sind seine ersten Worte.
Und in mir breitet sich ein ganz ungutes Gefühl aus.

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Ich wünsche euch allen ein frohes neues Jahr. Bleibt gesund :)

Hiermit möchte ich mich auch nochmal bei euch bedanken. Es ist jetzt schon etwas mehr als ein Jahr her, als ich das erste Kapitel meiner ersten Geschichte veröffentlicht habe.
Niemals hätte ich damit gerechnet, dass so viele Menschen meine Geschichten lesen und kommentieren werden.
Ich bin euch wirklich dankbar!

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt