73 - Wenn Rettende gerettet werden

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Josefines Sicht

Mir läuft ein unangenehmer Schauer über den Rücken, während ich die Schlagzeile lese. Retter müssen selber gerettet werden.
Die Bilder dazu, die in dramatisch dunkle Farben getaucht sind und vom zahlreichen Blaulicht überzogen werden, sind jedoch der Auslöser für mein Zittern und diese nähernde Übelkeit, die sich langsam aber sicher in meinem Hals ausbreitet.

„Alles gut?", reißt Phil mich aus meiner Starre und nimmt mir sein Handy weg. Bitte nimm mir auch diese Bilder wieder aus dem Kopf, denke ich. Mit dem Wissen, dass das eine Ewigkeit brauchen wird.
Zögerndes Nicken, zu mehr bin ich nicht fähig. „Ich denke schon", flüstere ich und probiere, meine Stimme mit einem trockenen Räuspern zu stärken. „Wieso hat mir gestern keiner etwas davon gesagt?"
Seufzend schiebt Phil meine Beine im Bett etwas zur Seite und lässt sich dann auf die Bettkante sinken.
Ich werfe einen Blick auf den Beistelltisch, auf dem noch immer mein Frühstück steht. Hunger habe ich nicht, mir kommt schon allein beim Gedanken an Essen die Galle hoch.

„Du warst gestern überhaupt nicht aufnahmefähig. Ich war am Unfallort und habe mir, sobald es möglich war, ein eigenes Bild von Franco gemacht. Es war nicht gerade alles super, aber schlimmer ging es allemal." Er steht wieder auf. Seine Unruhe macht mich selber wahnsinnig. „Danach bin ich zu dir, du hast aber schon geschlafen. Na ja, da blieb mir eben keine andere Wahl."
Ich nehme es so hin, auch wenn ich es nicht einsehen will.

„Hast du geschlafen?" Sein Gesicht sagt alles, doch ich will es von ihm hören.
„Josefine, das ist alles nicht so..." Er kratzt sich verlegen am Kopf. „Mach dir keine Sorgen."
Skeptisch richte ich mich etwas auf. Unerwartet übermannt mich das heftige Schlagzeugsolo in meinem Kopf, wodurch ich mir nicht mal ein leises Stöhnen verkneifen kann. Die Frage, ob das nun vom Alkohol oder der Kopfplatzwunde kommt, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
„Du musst dich schonen", entfährt es Phil, noch bevor ich ihm einen scharfen Blick zuwerfen konnte.
Ich hebe meine Schultern leicht an und kann den Schmerz, der von meinem linken Schlüsselbein ausstrahlt, erstaunlich gut ignorieren. „Verschweigst du mir etwas?" Es ist weniger eine Frage an ihn, eher eine Feststellung meinerseits.
Ertappt wendet er seinen Blick ab. „Du kannst nicht noch mehr Stress gebrauchen. Und ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee."
Ohne Weiteres lässt er mich allein sitzen. Die Tür fällt etwas zu laut ins Schloss.

Zu viele Leute in knalligen Farben. Zu viele Autos, die auffällig gestaltet sind. Zu viel blaues, flackerndes Licht. Und zu viel Blut.
Alles ist verschwommen. Meine Sicht, die Stimmen. Nebel verblasst das Bild.
Ich strecke meine Hand aus, zitternd, mit Angst durchflutet. Doch er ist unerreichbar. Wie eine Feder vom Wind getrieben. Die Feder, die ein Vogel nach dem Kampf verloren hat. Und auch er hat den Kampf verloren.

„Nein!"
„Fine!"
Hektisch schrecke ich auf. Schweißgebadet klebt mein Shirt am Oberkörper.
Ich will meine Hand panisch schütteln, um alles Fremde loszuwerden, bis ich merke, dass es Paulas Hand ist, die auf meiner liegt.
„Alles gut, Fine, ich bins."
Es dauert eine Weile, bis ich Paula klar vor mir sehen kann. Meine Augen brennen und fühlen sich klebrig an. Als hätte ich geweint.

„Das war wohl ein ziemlich heftiger Traum."
„Wo ist Phil?", lenke ich vom Thema ab.
Sie zuckt mit den Schultern. „Das würde ich auch gern wissen. Ich dachte, ich finde ihn hier und kann gleich von den Ergebnissen berichten."
Paula hat es geschafft, mich vollends ins Hier und Jetzt zu holen. „Ergebnisse?", hinterfrage ich. „Welche Ergebnisse?"
„Dann hat dir Phil davon wohl auch nichts gesagt", stellt sie seufzend fest und setzt sich vorsichtig auf den Rand meines Bettes, nachdem ich ihr den Platz geschaffen habe. „Diese ganze Aufregung um dich und Franco hat mir ziemlich zugesetzt. Ich hatte in der Nacht Unterleibsschmerzen bekommen. Ziemlich heftige, die auch eine Weile angedauert haben."
Mir bleibt die Luft weg. Automatisch wandert mein Blick zu ihrem Bauch, in dem momentan ein Baby heranwachsen sollte. Gedanken, die man keinem wünscht, schleichen sich mir ein.

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt