Ich warte nicht länger auf Adrians Entscheidung und drehe mich um. Bevor ich Paula überhaupt sehen kann, frage ich schon, was passiert ist.
"Ich glaube", sie schluckt und hebt ihren Blick, "m-meine Fruchtblase...."
Sie muss nicht weiterreden. Mir wird heiß und kalt zugleich. Ich stoße zitternd Luft aus und fasse mir an den Kopf. Ich muss jetzt Ruhe bewahren - nur hat meine Ruhe wohl die offene Haustür ausgenutzt und ist von dannen gezogen.
Natürlich wurde ich auf vieles im Leben vorbereitet, was medizinische Notfälle angeht. Aber eine Geburt? Das hat nie einer der Männer thematisiert.
"Ähm...."
Notruf. Ich sollte als erstes den Notruf absetzen.
Paula steht noch immer reglos vor mir und starrt auf den Boden. Sie ist selbst übermannt von dieser Situation und hat nicht damit gerechnet, dass es so bald losgehen würde.
Bevor ich mich umdrehen kann, um mein Handy zu holen, legt sich eine warme Hand auf meine Schulter, die mich zucken lässt. "Ruf einen Rettungswagen, ich mache mich daran, dass sie sich vorsichtig hinlegt."
Völlig überwältigt von Dankbarkeit dafür, dass Adrian sich für die Variante entschieden hat, hier zu bleiben, nicke ich wild und renne in mein Zimmer, um mein Handy zu holen.Mit dem Leitstellendisponenten am Ohr gehe ich zurück ins Wohnzimmer. Adrian hat es inzwischen geschafft, dass Paula sich wieder hinlegt. Sie atmet tief ein und aus und wartet scheinbar auf weitere Anweisungen seinerseits.
"Ist es ihre erste Geburt?" Die Stimme holt mich zurück ins Gespräch.
Leicht weggeneigt von Paula antworte ich. "Ja. Und eigentlich sollte sie auch erst in ein paar Wochen losgehen."
"Verstehe." Kurzes Schweigen, was das rauschende Blut in meinen Ohren noch lauter erscheinen lässt. "Bist du allein mit ihr?"
"Nein, es ist-" Stockend richte ich meinen Blick auf Adrian, kann jedoch nicht weiterreden. Es verschlägt mir die Sprache, wie einfühlsam Adrian an Paulas Seite steht, ihre Hand hält und leise mit beruhigender Stimme auf sie einredet.
"Das ist gut. Ich sehe gerade, dass der Notarzt jeden Moment eintreffen müsste. Kannst du schon mal zur Tür gehen und ihn dann zur Patientin bringen?"
Ich nicke, realisiere erst viel später, dass er es gar nicht sehen kann. "Ja, ja klar, mach ich", beeile ich mich zu sagen und lege nach einer knappen Verabschiedung einfach auf.Während ich nervös meine Hände knete und auf das verdammte NEF warte, das wohl doch nicht so nah war, wie mir versprochen wurde, frage ich mich, wo Alex bleibt. Jetzt, wo wir ihn am ehesten brauchen, steckt er noch immer beim Einkaufen fest. Paulas lauter Atem und ihre angestrengten Geräusche sind bis in den Flur zu hören, sie muss höllische Schmerzen haben.
Die Zeit scheint sich schon in eine schier unendliche Länge zu ziehen, als ich endlich die flackernden Blaulichter sehe. Mein Herz wird augenblicklich federleicht, doch als ich den Notarzt sehe, fallen meinem Herzen wohl alle Federn aus, denn es plumpst ungehalten zu Boden.
"Mein Kind kommt", murmelt Phil immer wieder vor sich hin.
Flo steigt aus der anderen Seite aus und beeilt sich, um mit den Materialien mitzukommen.
"Im Wohnzimmer", sage ich zu Phil, bezweifle jedoch, dass er meine Worte überhaupt wahrnimmt.
Nach wenigen großen Schritten ist auch Flo bei mir. Seine Stirn liegt in sorgenvollen Falten.
"Ich habe kein gutes Gefühl dabei, dass Phil hier der Notarzt ist", raunt er mir zu.
Ich nicke. "Da stimme ich dir zu."Hinter Flos Rücken schließe ich die Tür und eile als letztes ins Wohnzimmer.
Phil kniet bei Paula, Flo sucht bereits etwas in den Materialien und Adrian steht nun etwas ratlos am Rande.
Nach einem kurzen Handzeichen in Adrians Richtung schiebe ich mit seiner Hilfe den Couchtisch zur Seite, um mehr Platz neben der Couch zu schaffen.
Mir bleibt keine Zeit, dem Gedanken, wie komisch und unwirklich es ist, Adrian jetzt in diesem Moment hier zu haben, Raum zu lassen.Ich beobachte Phil, wie er ruhig mit Paula redet.
Ihm steht Schweiß auf der Stirn und seine Stimme wird von einem leichten Zittern untermalt.
"Phil, wenn du das nicht kannst, fordere ich ein weiteres NEF an, das ist kein Problem", sagt Flo schon zum zweiten Mal.
Wieder schüttelt Phil den Kopf. "Das ist nicht meine erste Geburt", entgegnet er mit einer unüberhörbaren Unsicherheit.
Paula lacht schwach auf. "Aber die erste deines eigenen Kindes", bringt sie in einer kurzen Wehenpause zustande. Sie sieht jetzt schon erschöpft aus.
"Wir machen hier alles schnell fertig und dann transportieren wir." Phil klingt überzeugt von dem, was er sagt, bekommt von Flo dennoch einfach nur ein Kopfschütteln.
"Du bist hier der Notarzt und hast das Sagen, aber meiner Meinung nach geht das für einen Transport hier zu schnell."
Paulas Blick liegt auf Flo. Sie nickt, nachdem er Phil widersprochen hat, und schließt ihre Augen. "Lang dauert das nicht mehr, ich spüre es", presst sie angestrengt hervor. "Ich kenne solche Abläufe von Geburten. Selten und unschön, aber sie gibt es."
Mir schwirrt nur noch der Kopf. Meine Augen springen von einem zum anderen, ich weiß nicht mehr, was ich denken und machen soll.
"Nichts da. Im Krankenhaus ist es sicherer." Nicht mehr von diesem Gedanken abzubringen, steht Phil auf. "Ich bin gleich wieder da", verabschiedet er sich knapp und geht einen Schritt. Zwei Schritte.
Ich sehe das Schwanken in seinem Gang, bevor er es selbst spürt.
Meine Bemühungen bringen nichts, ich bin zu weit von ihm entfernt. Zu unserem Glück ist Adrian in nächster Nähe und schafft es noch rechtzeitig. Mit Phil in den Armen hängend lässt er sich und ihn zu Boden gleiten und verhindert so noch schlimmeres."Phil!" Ich stürze zu ihm, werde jedoch von Flo mit sanfter Bestimmung zur Seite geschoben. Gleichzeitig greift er zu seinem Funkgerät.
Während die Leitstelle auf seine Anfrage reagiert, tätschelt er Phils Wange. "Ja, wir bräuchten einmal ein zweites NEF an die Einsatzstelle. Der Notarzt ist uns abgeklappt, es handelt sich bei der Geburt um sein Kind. Kommt scheinbar nicht ganz mit der Situation klar", gibt er durch, wird dabei immer gröber mit den Schlägen auf Phils Wange. Es bringt nichts.
"Wann kommt der verdammte RTW", flucht Flo nun doch nervös werdend. "Adrian, kannst du bitte weiter versuchen, ihn zu holen? Ich gehe davon aus, dass es einfach nur Überforderung ist, kommt ja bei werdenden Vätern häufiger vor."Im Hintergrund wird jetzt auch Paula immer nervöser. "Was ein Weichei", stöhnt sie der Verzweiflung nahe. "Verdammt."
"Paula, ich bin bei dir", kommt es schnell von Flo, der sich sofort wieder auf die bevorstehende Geburt konzentriert. Sein Blick streift mich zwischen zwei Handgriffen. Die stumme Frage, ob alles okay bei mir ist, kann er sich selbst beantworten. Man sieht ihm an, dass er sich gerade am liebsten in drei Teile teilen würde, um für uns alle da zu sein, doch Paula ist gerade am wichtigsten.
"Geh lieber in dein Zimmer, wenn es dir zu viel wird", sagt Flo dann doch noch zu mir.
Ich bleibe stehen, fühle mich nicht in der Lage, zu gehen.Voller Überforderung greife ich wenige Sekunden später erneut zu meinem Handy, während ich mich neben Phil setze. Seine Lider flackern inzwischen, er schluckt.
Wie automatisch wähle ich Papas Nummer. Nach dem dritten Ton hebt er ab.
"Fine, alles gut?", fragt er hörbar verwirrt über meinen Anruf.
Mein Schluchzen ist das erste, was mir über die Lippen kommt. Die Situation ist außer Kontrolle geraten. In mir wütet ein Sturm.
"Hey, was ist los?", hakt er alarmiert nach.
"Paula... das Kind kommt", ich probiere durch Schlucken, den Kloß in meinem Hals zu verkleinern, werde im gleichen Moment aber auch von einem erneuten Schluchzen übermannt. Phil regt sich langsam.
Am Handy raschelt es im Hintergrund. Ich höre eine fremde Frauenstimme, die jedoch direkt unsanft von Papa unterbrochen wird. "Hast du den Rettungsdienst schon gerufen? Ist Alex da?"
"Ja - Nein." Meine Zunge liegt wie gelähmt in meinem Mund.
"Hör zu", die Frauenstimme im Hintergrund setzt wieder zu etwas an, doch Papa duldet kein Wort, "ich bin spätestens in zehn Minuten da. Ich beeile mich."
Ohne zu antworten, lege ich auf und starre weiter auf Phil, der probiert, sich langsam aufzurichten.
"Was zur Hölle", murmelt er. Seine Hand wandert an seinen Kopf. Benommen guckt er durch den Raum und scheint nur langsam die Lage in sich aufnehmen und realisieren zu können.Der Prozess wird von einem Schlüssel unterbrochen, der sich schon beinahe aggressiv im Schloss zu drehen scheint. Die Tür knallt zu.
"Was ist passiert?" Alex' Stimme dringt durchs ganze Haus, so laut und ängstlich hat er gesprochen.
Noch in seinen Straßenschuhen tritt er ins Wohnzimmer und erstarrt.
Das Bild muss für ihn das reinste Chaos sein.
Phil in Notarztkleidung, wie er mit einer Hand am Kopf und Adrian und mir an seiner Seite auf dem Boden sitzt, total benommen, und gegenüber Paula auf der Couch, die vor Schmerzen flucht und Flos Stimme halb übertönt.
"Endlich", stößt Flo erleichtert aus. "Bitte, Alex, das Kind kommt gleich und der RTW lässt sich nicht blicken. Ganz zu vergessen das zweite NEF."
Alex scheint die Situation schnell zu überblicken und nickt.-----------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...