27 - Das Geschäft mit dem Gefühlschaos

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Das Bild vor meinen Augen beginnt sich zu drehen. Alle erdenklichen Szenarien quellen in mir auf, verbinden sich zu einer zähen Masse, die meinen Kopf pochen lässt.
Phil schwankt auf uns zu. Es dreht sich. Alles dreht sich.
Die verzweifelten Versuche, das Bild vor meinen Augen zum Stillstand zu bringen, halten nur kurz. Phils Gang wirkt normal, nachdem ich blinzele, doch schnell fällt er in ein Schwanken zurück.
Meine Beine, die mir eigentlich viel zu schwach erscheinen, drücken mich vom Sitz. Toni greift schnell nach meinem Arm, hat wahrscheinlich Angst, dass ich gleich zur Seite klappe.
Kaum ist Phil bei uns angekommen, nimmt er mich fest in den Arm. Ich höre seinen zitternden Atem an meinem Ohr.
"Phil", ich wende mich aus seiner Umarmung, "was ist los?" Die Panik kriecht mir den ganzen Körper hoch.
Louisa, die gerade aus dem Behandlungsbereich kommt, grinst in Phils Richtung, als sie zum Empfang geht. Und da beginnt auch Phil zu strahlen. Es wirkt völlig falsch unter seinen Augen, die rot vom Weinen sind. Es sei denn...

Seine Hand fährt zitternd in die Kitteltasche und zieht ein Bild hervor. Wortlos hält er es Toni und mir hin.
Auch wenn ich rein gar nichts erkennen kann, es für mich nur wie ein Gemisch aus weiß, schwarz und grau ist, weiß ich sofort, was Sache ist.
Mein Blick gleitet vom Ultraschallbild zu Phil, von Phil zum Ultraschallbild.
Seine Augen schimmern und er wischt sich verzweifelt die neuen Tränen aus seinen Augenwinkeln.
"Aber..." Ich stocke. Mir fehlen schlichtweg die Worte. "Wie konnte das passieren?"
Toni lacht neben mir über meine ziemlich dämliche Frage, ehe er Phil fest in den Arm nimmt. "Wie geht es ihr?", fragt er.
"Den Umständen entsprechend. Sie hat ein bisschen Kopfschmerzen, ist aber mit einem gebrochenen Finger davongekommen." Phil dreht seinen Kopf zu mir. Sein Grinsen denkt noch lange nicht daran, abzunehmen. "Du willst wissen, wie das passieren konnte?" Seine Stimme wird von Belustigung getragen. Er legt mir eine Hand auf die Schulter. "Ich denke, dass du alt genug bist, um das zu wissen."
Ich nicke, schüttele den Kopf, nicke. "Nein. Also ja. Aber nein. Wow." Langsam aber sicher scheint mein Kopf diese Information verarbeiten zu können. Meine Mundwinkel heben sich. "Ihr seid schwanger."
Phil prustet los. "Na ja, eher Paula. Aber ja. Wir werden Eltern."
"Und was ist da jetzt mit Paula im Keller passiert?"
Er seufzt. "Kreislaufprobleme. Sie ist nicht die Treppe runtergestürzt, sondern davor zusammengebrochen. Sie hatte schon eine Zeit lang mit Schwindel und Übelkeit zu kämpfen."
Fragend gucke ich ihn an. Das ist völlig an mir vorbeigegangen. Andererseits hatte ich in letzter Zeit auch an andere Dinge viel zu viele Gedanken verschwendet. "Wie weit ist sie denn?"
Wieder wird Phils Grinsen breiter. Wenn das überhaupt geht. "Ungefähr siebte Woche."
Ich spüre, dass ich hier ebenfalls gleich in Tränen stehe. Aus vielen Gründen. Mein Kopf wird nur so von Gedanken überflutet, die mich alle überfordern.

"Herzlichen Glückwunsch", kommt es plötzlich von Birgit, die neben uns aufgetaucht ist.
Phil hebt eine Augenbraue. "Wie jetzt?"
Sie lehnt sich zu ihm nach vorn. "Das weiß binnen weniger Stunden die ganze Klinik. Mach dir da mal keine Gedanken."
Lachend nimmt sie ihn in den Arm, ehe sie weiter ihrer Arbeit nachgeht.
Auch Phil verabschiedet sich schnell von uns, um nochmal kurz bei Paula vorbeischauen zu können, bevor er wieder an die Arbeit muss.

Ich sauge die kalte Luft gierig ein. Nervös trommeln meine Finger gegen mein Bein.
Paula ist schwanger. Sie wird Mutter. Phil wird Vater. Es dauert noch eine ganze Weile, aber sie werden Eltern.
Hatten sie das alles schon geahnt? Immerhin muss ihre Periode ja ausgefallen sein. Dazu Schwindel und Übelkeit, womit sie schon länger zu tun hatte, wie Phil sagte.
Hatte sie denn vorher noch keinen Test gemacht? Anscheinend nicht.
Es wird sich viel ändern. Eigentlich wird sich alles auf den Kopf stellen.
Fragen häufen sich an, auf die ich eigentlich gar keine Antwort möchte. Eine zu große Angst bahnt sich vor deren Antworten an.
Ich gucke zu Toni auf und bemerke, dass er mich schon die ganze Zeit mustert.
"Was ist los?", fragt er einfühlsam. "Freust du dich nicht für die beiden?"
"Doch, natürlich", beeile ich mich zu sagen.
"Aber?"
Was für ein Aber? Es gibt kein... Okay, er kennt mich zu gut.
Bevor ich zu einer Antwort ansetzen kann, hält er mir seine Hand hin. "Du hast doch einen Schlüssel mitgenommen, oder?"
Ich gucke auf seine leere Handfläche, danach auf unsere Haustür. Tja, leider wird seine Handfläche so leer bleiben.
"Ich... Ähm... Also", stottere ich und streiche mir verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Seufzend winkt er ab. "Verstanden. Den Ersatzschlüssel habe ich neulich benutzt und noch im Haus liegen. Na dann." Er deutet mit einer einladenden Handbewegung zum schmalen Weg neben unserem Haus. "Ab durch die Hecke."
Ich lache auf und gehe vor.
"Lach nicht, wenn du es nicht ernst meinst", wendet Toni hinter mir ein.
Ich zucke fast unkenntlich zusammen. Als hätte mich ein dicker Regentropfen getroffen. Nur weiß ich, dass das mein schlechtes Gewissen war - denn der Himmel ist strahlend blau.

Wir lassen uns auf der Terrasse nieder - das Warten auf die anderen kann beginnen.
"So einen Geburtstag hattest du auch noch nie", stellt Toni schief grinsend fest.
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter. Die Hoffnung, damit das ekelhafte Gefühl in meinem Hals loszuwerden, verpufft mit einem gehässigen Lachen.
"In der Tat. Wäre auch komisch, wenn es so wäre", murmele ich mit heiserer Stimme.
Toni beugt sich etwas nach vorn und stützt seine Unterarme auf seinen Beinen ab. Sein Blick liegt festhaltend auf mir, als würde ihm ab jetzt gar nichts mehr entgehen. "Was ist los? Ich sehe doch, dass dich irgendetwas beschäftigt."
Er sieht es, aber ich weiß es nicht. Ich weiß es ehrlich nicht. Oder will ich es einfach nur nicht wahrhaben, dass ich es weiß?
Es ist wie damals, als ich dachte, sie wäre schwanger. Dort hat wohl noch keiner geahnt, dass sie es wirklich bald ist.
Es überkommen mich wieder Gefühle, die gar nicht zueinander passen. Freude. Freude für die beiden, Freude auch für mich. Aber gleichzeitig bekomme ich Angst. Angst davor, wie sich das entwickelt. Ich fühle mich zwischen all diesen drängenden Gefühlen wieder mal so egoistisch. Schrecklich egoistisch. Dabei gönne ich den beiden dieses Glück doch von ganzem Herzen.

"Du kannst mir die Wahrheit sagen", zieht Toni mich aus diesem Strudel voller Gedanken, ehe er mich vollends aufsaugen konnte. "Ich sage keinem etwas davon. Aber ich möchte dir helfen. Und vielleicht kann ich dir ja jetzt schon ein paar Ängste nehmen."
"Ängste?", wiederhole ich irritiert. Und gleichzeitig irgendwie ertappt.
Toni nickt. "Ängste. Du bist meine kleine Schwester, schon vergessen?"
Tatsächlich hätte ich das in den letzten Tagen vergessen können, so wie er mir aus dem Weg gegangen ist.
Ich zucke etwas hilflos mit den Schultern. "Ich weiß es doch auch nicht", gebe ich leise von mir. Und das ist die Wahrheit. Glaube ich. Denke ich. Vielleicht.
Doch Toni schüttelt überzeugt den Kopf. "Du weißt es genau."

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Das zweite Kapitel für heute kam nun sehr spontan. Aber ich hoffe, dass das Wirkung zeigt, liebe niemandin xD
Und natürlich hoffe ich, dass ihr euch ebenfalls darüber freut :)

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt