28 - Einfach nur reden

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Die Sterne funkeln über mir um die Wette. Dazwischen der Mond, der sein Bestes gibt, um der hellste Fleck zu sein.
Das Schließen meines Reißverschlusses kommt mir in dieser eisigen Stille so unglaublich laut vor, während mein Atem flach geht und kaum ein Geräusch erzeugt.
Auf der Couch ziehe ich meine Beine an und richte mein Gesicht zum Himmel. Er ist klar und dunkelblau, fast schwarz, kein minimaler Anflug von Regen.
Ich hole tief Luft, habe die Hoffnung, mit dieser meinen Kopf einmal durchlüften zu können.
Doch vergebens. Außer die kleine Wolke, die mir kurz vor dem Gesicht wabert, verlässt beim Ausatmen kein kleinster Gedanke meinen Kopf. Wäre auch zu schön gewesen.

Vorhin hat kein einziges Gefühl von mir bei Toni einen Platz gefunden. Ich bin nicht dazu gekommen. Bevor ich anfangen konnte, wurde plötzlich die Terrassentür aufgerissen. Papa stand im Haus, er konnte früher abgelöst werden, um bei uns sein zu können. Also hatte ich alle Worte, die mir schon auf der Zunge lagen, einfach heruntergeschluckt und bin ins Haus gegangen.
Der restliche Tag verlief im puren Glück. Wortwörtlich.

Es ist schwer zu ertragen, wenn man sich vor seinen eigenen Gedanken ekelt.
Zur kurzen Ablenkung ziehe ich mein Handy aus meiner Jackentasche. Das Display leuchtet mir viel zu grell entgegen und bringt mich dazu, meine Augen zuzukneifen. Die Uhrzeit hat sich trotzdem eingebrannt. 0:23 Uhr. In sechs Stunden muss ich aufstehen, wenn ich pünktlich in der Schule sein möchte.
Um meiner eigenen Haltung einen Ausdruck zu geben, zucke ich schwach mit den Schultern. Wen interessiert das schon, ob ich ausgeschlafen in der Schule sitze. Zumal ich auch nicht schlafen könnte, wenn ich jetzt im Bett läge.

Schritte, die von der Seite durch den Garten kommen, lassen mein Herz vor Schreck beschleunigen. Mein Kopf fährt zur Seite und blickt direkt in Phils Gesicht. Er hat seine Hände tief in den Jackentaschen vergraben und kommt mit einem leichten Lächeln auf mich zu.
"Darf ich mich setzen?", fragt er, als er bei mir angekommen ist.
Ich hebe eine Augenbraue. "Dein Garten. Warum nicht?"
"Weil du dich hier anscheinend zurückgezogen hast, um nachzudenken", erfasst er richtig, lässt sich aber trotzdem neben mich fallen.
Ich gucke ihn kurz von der Seite an, ehe ich meinen Blick wieder abwende. "Was machst du hier?"
"Ich wollte eigentlich was trinken, dann habe ich dich aber hier sitzen sehen." Er hält inne und starrt, so wie ich, in den Himmel. "Ich merke doch, dass etwas mit dir ist", ergänzt er schließlich leiser, als er zuvor gesprochen hat.
Ich traue mich kurz gar nicht, zu blinzeln. Zu schlucken. Gar zu atmen. Das Gefühl, jede einzelne Aktion würde mich auf der Stelle verraten, durchzuckt meinen ganzen Körper.
"Lag ich den ganzen Tag also schon richtig", schließt Phil aus meinen ausbleibenden Reaktionen. Er lacht leise auf. "Liegt es an der Schwangerschaft?"
Ich schüttele sofort den Kopf. "Nein."
Phils Grinsen kann ich förmlich spüren, und das bestätigt sich auch mit einem kurzen Schielen zu ihm. "Also doch. Daran liegt es."
"Nein", wiederhole ich schnell. Allein in diesem kurzen Wort lag so viel Skepsis von mir, die mich bei jedem verraten würde. Erst recht bei Phil, dem ich gar nichts vormachen kann.

Es umhüllt uns eine kurze Stille, die mich fast wahnsinnig macht.
"Wovor hast du Angst?", fragt Phil schließlich liebevoll. Seine Stimme scheint sanft vor uns zu schweben, die Frage verpasst mir hingegen einen Faustschlag in die Magengrube.
"Ich habe keine Angst", streite ich ab. Ich schenke meinen eigenen Worten immer weniger Glauben.
"Fine, lass das." Er ändert seine Sitzposition und guckt mich richtig an. "Belüg dich nicht selber. Ich merke, dass du Angst hast. Und dass das an Paulas Schwangerschaft liegt. Ich bin nicht blöd, schon gar nicht, wenn es um dich geht."
Keine Kraft kann mehr gegen die aufkommenden Tränen ansteuern.
Phil scheint das zu merken. Was merkt dieser Typ eigentlich nicht?
Er breitet seine Arme aus, in die ich mich augenblicklich fallen lasse.
Ich merke durch meine Jacke, wie seine Hände über meinen Rücken streichen.
"Sprich mit mir. Vielleicht kann ich dir ein paar Ängste nehmen, mh?", flüstert er. Seine Stimme bringt mich noch mehr zum Weinen.

Ich sammle in meinem Kopf verzweifelt nach den richtigen Worten, kann jedoch kaum eines greifen.
"Ich freue mich wirklich für euch", quetsche ich nach einiger Zeit nach draußen. "Ehrlich", schiebe ich hinterher. Es ist die Wahrheit. Und da bin ich mir sicher.
Phil hat bis eben geduldig gewartet. "Ich weiß, dass du das ernst meinst", sagt er ruhig und drückt mich etwas von sich weg.
Die kalte Luft kollidiert mit meinen Tränen und lässt mein Gesicht frieren. Phil wischt mir die Tränen weg, während er schmunzelt. "Los, raus mit der Sprache. Hast du mir nicht mal gesagt, dass reden hilft?"
Langsam nicke ich. "Ja, das habe ich. Als du Paula fast vergrault hättest." Nun entweicht sogar mir ein Lachen, was Phil nur noch mehr lächeln lässt.
"Siehst du, es hat geholfen. Und jetzt kannst du dir auch einfach mal alles von der Seele reden." Aufmunternd bedeutet er mir, mich an ihn zu lehnen, was ich auch ohne ein Zögern tue.
Sein Arm umschließt mich und gibt mir die Geborgenheit, die ich hier zu Hause von allen bekomme.

Eine Weile lang lasse ich meinen Kopf einfach auf seiner Schulter liegen, ohne etwas zu sagen.
Bis ich meine, die richtigen Worte gefunden zu haben.
Ich hole tief Luft, was Phil wieder leise lachen lässt. Findet er wohl eher witzig, dass ich hier einen Kampf mit mir führe.
"Ich habe Angst, dass ihr euch eine eigene Wohnung sucht. Ich möchte nicht, dass du ausziehst. Das würde doch alles verändern." Schon während ich diese Angst äußere, merke ich, wie egoistisch das von mir ist. "Aber nein, ich sollte keine Angst davor haben. Weil ihr beide glücklich werden sollt. Es geht hier nicht um mich", schiebe ich schnell hinterher und hole nochmal Luft, um mich zu entschuldigen, doch Phil kommt mir zuvor.
"Halt, hol Luft." Er bringt mich zum Schweigen. "Keiner hat etwas von Auszug gesagt. Wir haben darüber zwar noch nicht geredet, wann auch, wir wissen ja erst seit heute davon, aber es wäre nicht nach meinem Plan, von dir wegzuziehen."
Augenblicklich wird mein Herz leichter, auch wenn noch gar nichts feststeht.
Phil redet unbeirrt weiter. "Ich bin am glücklichsten, wenn ich auch dich bei mir haben kann, verstehst du? Natürlich müssen wir gucken, wie wir das mit dem Platz regeln können. Aber ich denke nicht, dass das ein großes Hindernis wird. Und ich denke auch nicht, dass Franco und Alex etwas gegen ein Baby im Haus haben."
"Wirklich?", hake ich ungläubig nach. "Ich möchte nicht, dass du dich nach mir richtest."
Phil winkt ab. "Quatsch. Ich meine das ernst. Ich würde am glücklichsten sein, wenn ich dich und mein Kind bei mir haben kann."
"Es tut mir so leid, dass ich so egoistisch denke. Ich kann nicht oft genug sagen, wie sehr ich mich für euch beide freue und wie sehr..."
"Fine", fährt Phil mir erneut dazwischen. Ich schnappe nach Luft.
"Das ist doch völlig berechtigt. Und nicht egoistisch von dir. Es ist kein Geheimnis, dass ein Baby viel Zeit beansprucht. Aber ich werde mich trotzdem bemühen, dir noch immer gerecht zu werden."
"Na ja...", beginne ich noch immer etwas skeptisch. "Ich bin ja auch kein kleines Kind mehr, das ständig Aufmerksamkeit braucht."
Phil seufzt. "Auch wenn du das nicht mehr bist, da hast du recht, werde ich mir trotzdem noch Zeit für dich nehmen. Das meine ich damit, mh?"

Phil hat es geschafft, mir die meisten Ängste zu nehmen.
Trotzdem gehe ich mit gemischten Gefühlen um zwei Uhr ins Bett. Was ist, wenn wir eben keine Lösung für den Platz finden? Dann bleibt den beiden - oder den dreien - ja nichts anderes mehr übrig, als auszuziehen.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt