52 - Einmal Pizza-Frust, bitte

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"Es tut mir wirklich so leid", beginnt Alex von vorne. "Ich hätte nicht wegfahren dürfen. Das war alles so dämlich."
"War es nicht", erwidere ich. "Ihr hattet Streit, okay, deine Handlung ist völlig legitim. Aber jetzt ist nun mal kein Platz mehr für irgendwelche Streitigkeiten. Toni ist weg, verdammt! Es gibt kein Zeichen von ihm!" Ich werde lauter, kann mich nicht wirklich beruhigen.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Es scheint so, als würde mir das heftige Pochen gerade die Tränen bringen.

Immer wieder möchte ich wiederholen, was über Toni bekannt ist. Doch dann komme ich zu dem ernüchternden Schluss, dass es eben kaum etwas ist.
Er hat keine Sachen mitgenommen. Keine Hinweise hinterlassen.
Ich habe gestern Abend aufgelöst mit Paul telefoniert. Er hatte mir mitgeteilt, dass sie nichts machen können. Toni ist inzwischen zwanzig Jahre alt und darf frei über seinen Aufenthaltsort bestimmen. Da es keine Hinweise auf akute Bedrohungen gibt, sind ihnen die Hände gebunden.
Ich hätte gestern beinahe unter Tränen mein Handy an die Wand gepfeffert, so verzweifelt war ich. So verzweifelt bin ich auch noch immer.

"Was machen wir denn jetzt?", frage ich nun deutlich leiser. Und brüchiger.
"Franco wartet unten im Auto. Wir..."
"Dass der dich überhaupt mitgenommen hat", fährt Paula ihm aufgebracht dazwischen.
"Paula!", rufe ich angefressen. Kann sie damit nicht einfach mal aufhören?
Alex lässt sich davon nicht beirren. "Wir werden jetzt alle Adressen seiner Freunde abfahren und nachfragen, ob da jemand etwas weiß", erklärt er weiter. "Ich melde mich sofort bei dir, wenn wir was haben."
Paula guckt ihn fragend an.
"Bei euch", berichtigt er sich. "Ich wollte mich jetzt nur kurz versichern, dass du noch auf den Beinen bist."
Ich schnaube. "Für nichts eine Garantie."

Sie verabschieden sich. Und ich bin wieder allein.
Genau genommen bin ich das nicht, aber Mareike ist mir eben keine Stütze. Sie macht das gerade nicht durch.
Trotzdem zeigt sie mir mit einem Räuspern, dass sie anwesend ist. "Du kennst ja ziemlich viele Ärzte. Es wirkt auch nicht so, als wäre Doktor Rohde dir fremd."
Ich gucke sie kurz an, richte meinen Blick jedoch schnell wieder gegen die Wand. "Kann man so sagen, ja. Ich kenne sehr viele Ärzte."
"Woher kommt das?", will sie wissen. "Das ist doch nicht so, weil du so oft hier bist, oder?" Sie klingt beinahe schon etwas erschrocken.
Ich schüttle meinen Kopf und erkläre ihr seufzend eine Kurzfassung des Ganzen. Wenigstens mal zwei Minuten nicht an das Offensichtliche denken und über Belanglosigkeiten reden.

"Möchtest du wirklich nichts essen?", hakt Adrian nicht zum ersten Mal nach.
"Nein."
Seufzend nimmt der das Tablett wieder auf, auf dem die Kartoffeln unangerührt in der Soße schwimmen. "Du hast heute noch gar nichts gegessen."
Das wusste ich auch ohne seine Erinnerung, aber danke.
Sein Blick hat Besorgnis in sich, doch als ich nichts erwidere, wendet er sich zu Mareike.
"Immerhin hast du aufgegessen", murmelt er beinahe niedergeschlagen.

Auch wenn man an eine mehr oder weniger spannende Wand starrt, vergeht die Zeit.
Doch auch nach einem Wadenkrampf und etlichen zuckenden Muskeln gibt es keine Meldungen von Alex oder Papa. Was wiederum leicht zu kombinieren ist. Sie haben schlichtweg keine Informationen erhalten. Und diese Erkenntnis fühlt sich so an, als würde mich jemand in ein Becken voller hungriger Piranhas schubsen. Und ein paar Tropfen Blut zugeben.
Das Abendessen zieht an mir vorbei - wären es nur annähernd so viele Hinweise auf Toni, wie Essen auf meinem Teller geblieben ist, wäre mein Bruder wohl gleich neben mir.
Louisa sieht nicht begeistert aus, während sie mein Tablett mustert. "Fine, ich habe gehört, dass du heute noch gar nichts gegessen hast. Du wirst aber-"
"Nein, werde ich nicht", antworte ich ihr, ohne mir den Rest anzuhören. Ich kann mir denken, worauf sie anspielen möchte. Und verdammt, warum sollte ich in alte Muster verfallen? Ist es nicht verständlich, dass mir bei all der Scheiße der Appetit fehlt? Zumal ich nie in einer richtigen Essstörung war. Versteht das wirklich KEINER?

Ich schließe meine Augen, probiere, das Brennen hinter meinen Lidern zu ignorieren.
"Na schön", gibt Louisa bereits jetzt auf. "Aber morgen isst du bitte etwas."
"Mhm, bestimmt." Allein bei dem Gedanken daran verknotet sich mein Magen schmerzhaft und sendet irgendwelche Signale, die mit Übelkeit Antwort bekommen.

Die Uhr steht kurz vor acht, als es klopft.
Irritiert lässt Mareike ihr Buch sinken. "Besuchszeiten sind doch schon vorbei."
"Bei mir weiß man nie", winke ich gequält ab. "Da kennt keiner Besuchszeiten."
Allein das Klopfen treibt mir das Blut schneller durch meine Adern. Es könnte alles und jeder sein. Jede mögliche Person mit allen möglichen Neuigkeiten.
Umso überraschter bin ich, als Adrian kurz darauf mit drei Pizzakartons auf dem Arm hereinspaziert.
"Was machst du um diese Uhrzeit hier? Willst du nicht nach Hause?", frage ich völlig verwirrt. Immerhin hat er es geschafft, Toni für ein paar Sekunden in den Hintergrund zu schieben. Jede Sekunde wirkt sich wie Urlaub für meine Seele aus.
"Da war ich bereits", wischt er meine Frage beiseite, "aber mir ist eine Idee gekommen."
Er bleibt zwischen unseren Betten stehen und reicht den obersten Karton an Mareike. "Eine Pizza für dich. Ich kann dir ja nichts vorkauen. Und mit Margherita kann man nie was falsch machen, oder?"
Mit strahlenden Augen nimmt sie die Pizza entgegen. "Das ist lieb von dir, danke."
Mit einem zufriedenen Lächeln kommt er zu mir herum, zieht sich einen Stuhl heran und reicht mir ebenfalls einen Karton.
In meiner Überforderung fällt mir nichts anderes ein, als ihn anzunehmen.
"Für dich wurde es eine Pizza-Frust. Also nicht mit Frust, sondern gegen Frust." Mit bedeutungsvollem Blick lehnt er sich zu mir nach vorn und senkt seine Stimme. "Strenggenommen eine einfache Margherita. Aber wenn du dir denkst, dass sie gegen Frust ist, dann könnte das klappen." Zwinkernd lehnt er sich wieder zurück und öffnet seinen Karton. "Ich habe gehört, dass du heute noch gar nichts gegessen hast. Ich übrigens auch nicht, dazu bin ich noch nicht gekommen. Also dachte ich mir, dass ich vorbeikommen kann und wir essen beide zusammen etwas Pizza. Und quatschen. Über Belanglosigkeiten oder über deine Sorgen, du kannst alles rauslassen."
Meine Augenbrauen heben sich. Ich erkenne Adrian nicht wieder. Er ist seit heute wie ausgewechselt.
Und irgendwie verstehe ich ihn nicht ganz.

Genüsslich beißt er in sein erstes Stück Pizza und guckt mich dabei abwartend an.
Langsam aber sicher berieselt mein Gehirn mich mit Antworten. Er probiert im Moment selbst, nicht in seinem Frust zu ertrinken. Anscheinend sieht er hierbei gerade seinen Rettungsring.
Zwei ertrinkende Menschen, das kann doch nicht gut werden.

Mit zitternder Hand öffne ich den Pizzakarton, der auf meinem Schoß liegt.
"Wie nennt man diese Art der Behandlung?", frage ich betont heiter, während ich auf den runden, belegten Teig gucke.
"Josefine", nuschelt er, ehe er sein Stück schluckt. "Ich weiß, was in dir vorgeht. Also zumindest objektiv. Bitte tu mir einen Gefallen und sei nicht scheinheilig fröhlich. Lass alles raus, was dich belastet. Dafür bin ich da."
Mir wird von dem Geruch der Pizza allmählich übel, einfach weil mir jeglicher Appetit fehlt. Dennoch nehme ich ein Stück in die Hand. "Und was ist mit dir?" Ich beiße ab und gucke ihn an.
Ein sanftes Lächeln umspielt seinen Mund, als er sieht, dass ich kaue, doch seine Augen sind matt und glanzlos.
"Es soll hier um dich gehen", weicht er meiner Frage aus.
"Ich würde aber gern wissen, was hinter diesem..." "Miesepeter", ergänzt Adrian schmunzelnd für mich. "Meinetwegen. Was hinter diesem Miesepeter steckt."

Sein Blick sagt mir so viel, doch gleichzeitig schließt er damit jede Tür zu einer Antwort ohne Umschweife.
Ob ich heute Abend noch die passenden Schlüssel zu den Türen finden werde?

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Werbung aus eigenem Interesse: Judydressing (ich fasse es noch immer nicht) hat gestern mit einer neuen Geschichte begonnen, die mal anders aufgebaut ist. Ich kann euch diese nur ans Herz legen, denn ihr Schreibstil gehört fraglos zu den besten :) (Und ja, das kommt allein von mir. Ich wurde nicht darum gebeten oder sonstiges, wie gesagt, Werbung aus eigenem Interesse.)

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt