82 - Hiobsbotschaft

1.7K 88 18
                                    

Phils Sicht

Flos Augenbrauen treffen sich über seiner Nasenwurzel. Was ist los mit ihm?, fragt sein Blick mich gleichzeitig stumm nickend in Francos Richtung, der sich gerade damit ablenkt, Kaffee zu kochen.
Ich hebe nur schwach meine Schultern und atme tief durch. "Das übliche", antworte ich schließlich leise, nachdem ich keine besseren Worte gefunden habe, und lasse mich auf die Couch fallen.

Nach dem vierten Einsatz infolge sehe ich meine Chance, eine kurze Verschnaufpause mitsamt einer Tasse Kaffee einzulegen. Heute ist einer dieser Tage, an dem Flo zu Beginn der Schicht rausgerutscht ist, dass das wohl ein ruhiger Dienst wird. Egal, wie ernst diese Aussage gemeint ist - einmal diese zwei Wörter ausgesprochen, kann man den ruhigen Dienst mit der Nacht eines zahnenden Babys vergleichen. Die Ruhe kommt da wohl an letzter Stelle.
Seufzend denke ich an die Zeit, die Paula und mir in keiner fernen Zukunft bevorsteht. So sehr ich mich auch darauf freue, endlich unser Kind im Arm zu halten, plagen mich gleichzeitig auch Ängste. Ängste davor, dem allen nicht gerecht werden zu können.

Franco scheint wohl noch mehr von Flos Worten getroffen: er lässt sich gar nicht mehr auf der Wache blicken.
Nachdem Flo und ich schon eine unglaubliche Viertelstunde keinen Einsatz mehr bekommen haben und ich inzwischen den Boden meiner Kaffeetasse begutachten kann, greife ich nach meinem Handy in der Hosentasche. Möchte ich zumindest, denn spüren tue ich nur ein paar Handschuhe, die da schon seit einer Weile auf ihre Einsätze warten müssen.
Mist. Die Panik, mein Handy irgendwo im Einsatz verloren zu haben, ergreift schneller die Macht meiner Gedanken, als das rationale Überdenken, wo ich es denn hingelegt haben könnte.
"Ähm, Phil?" Flos Stimme gelangt gedämpft aus der Küche zu mir. "Ich weiß nicht, ob du das suchst", mit ausgestrecktem Arm kommt er auf mich zu, in seiner Hand mein Handy, welches wohl doch nicht in irgendeiner Ecke eines Altersheimes oder auf dem matschigen Boden des Parks liegt, "aber dich ruft eine unbekannte Nummer an."
Verdutzt runzle ich meine Stirn und gehe ihm wenige Schritte entgegen, um den Anruf noch rechtzeitig entgegennehmen zu können. Die Nummer auf meinem Display sagt mir wirklich nichts. Nur dass sie aus Deutschland anruft, mehr kann ich nicht sagen.

"Funke?", melde ich mich, während noch immer Überlegungen anlaufen, ob ich einen Anruf erwarte.
Die Stimme des Anrufers ist weiblich. "Guten Tag Herr Funke, hier ist Frau Gerlach, Josefines Klassenlehrerin."
Augenblicklich rutscht mir mein Herz in die Hose, nachdem es einen Stolperer hingelegt hat. "Warum rufen Sie mich an?" Wobei mir durchaus bewusst ist, dass das wohl ihre nächsten Sätze gewesen wären, kann ich mich nicht halten, diese Frage zu stellen.
"Ich habe versucht, Herrn Fabiano zu erreichen, aber er hebt nicht ab", beginnt sie.
Ich nicke, auch wenn sie das nicht sehen kann. Franco wird im Einsatz sein.
"Ich würde Sie also bitten, Herrn Fabiano direkt zu informieren, sobald es möglich ist." Frau Gerlach schluckt, was mir direkt sagt, dass es auch ihr nicht leicht fällt, die folgenden Sekunden auszusprechen. "Josefine hatte einen Unfall bei unserer heutigen Wanderung. Sie ist gerade auf dem Weg in ein Krankenhaus. Der Arzt des Rettungshubschraubers konnte mir nicht viel sagen, aber es wird Josefines Vater hier benötigt, da sie noch minderjährig ist."
Rettungshubschrauber. Das Wort hallt in meinem Kopf nach und lässt den Kloß in meinem Hals ein Stückchen größer werden. In ländlichen Regionen ein gängiges Mittel, schießt mir durch den Kopf, bevor mir Alex in den Sinn kommt. Alex. Er muss mir doch mehr erklären können. "Können Sie mir Herrn Hetkamp geben?", frage ich mit belegter Stimme.
Das scharfe Einatmen am anderen Ende treibt mir eine unangenehme Hitze in den Körper. "Er ist ebenfalls auf dem Weg ins Krankenhaus."
Natürlich ist er das, denke ich mir und schlage mir mit der Hand gegen die Stirn. Er begleitet Josefine. Selbstverständlich.
Ich meine, nun ein Zittern in ihrer Stimme zu hören. "Bei dem Versuch, Josefines Sturz abzufangen, hat er sich ebenfalls verletzt. Mein letzter Stand ist, dass er nicht bei Bewusstsein war."
Mir wird übel.

"Alex auch?", fragt Flo nun zum dritten Mal verständnislos nach.
"Verdammt, ja. Und nicht nur als Begleitung." Mit zitterndem Körper habe ich Flo die wichtigsten Informationen zusammengefasst. Und dieser scheint völlig aus dem Glauben gerissen. So wie ich es wahrscheinlich wäre, wenn ich nicht schon so viel Unglück mit Fine durchgestanden hätte.
"Begleitung bei was?" Schneidend scharf dringt mir diese Stimme durch den Körper.
Hastig gucke ich auf und blicke in Francos zerknautscht wirkendes Gesicht. "Guck mich nicht so an, als hätte ich hier gerade eine Hiobsbotschaft überbracht. Einsatz an Einsatz schlaucht. Erst recht, wenn sie nicht wirklich ein rosarotes Ende haben", witzelt Franco. "Aber wenn ihr hier schon so gelangweilt rumsitzen könnt, kann mir ja einer schnell einen Kaffee kochen, während ich meine Blase entlasten gehe. Wer weiß, wann das blöde Ding hier wieder einen Kasper kriegt." Betont genervt deutet er auf seinen Melder. "Und bitte tiefschwarz, sonst halte ich nicht mehr lang durch."
Ich kann Franco gerade noch so von seinem Plan abhalten. "Ich glaube, du kannst dich vom Dienst abmelden."

Viel Überwindung, viele tiefe Atemzüge und viel Mühe, mein Zittern und die Hitze zu ertragen, später habe ich Franco alles erzählt. Und kaum eine halbe Stunde darauf, als alles abgeklärt ist, sitze ich mit ihm im Auto. So zügig kann ein unruhiger Dienst ein noch unruhigeres Ende nehmen.

Alex' Sicht

"Geht es langsam wieder?" Die Krankenschwester - der Name ist mir schon lange wieder entfallen - legt mir mit mitleidiger Miene eine Hand auf die Schulter.
Mein Nicken endet schnell in einem neuen Würgen.
"Ich sehe schon", seufzt sie und reicht mir ein Tuch. "Aber das ist normal, das sollte sich wieder legen. Innere Verletzungen hatten Sie im Kopf ja schon mal nicht."
Diesmal bin ich klüger und nicke nicht. "Ich weiß", nuschle ich dafür eher unverständlich.
Die Hektik des Unfallortes hat noch immer nicht so ganz meinen Körper verlassen. Dafür schlägt mein Herz zu schnell und meine Muskeln zittern zu sehr. Ich bin schon bei der Ankunft der Rettungskräfte wieder bei Bewusstsein gewesen. Dennoch habe ich es nicht geschafft, Josefines Zustand ordentlich zu beurteilen. Schlecht war er. Details sind mir keine mehr geblieben.

Bergklinik. So idyllisch dieses Gelände hier auch klingt - der Behandlungsraum, in dem ich auf das Nähen meiner Platzwunde warte, ist alles andere als einladend.
"Wo ist mein Rucksack?", frage ich in die Stille hinein, die nur von der Krankenschwester unterbrochen wurde, die einige Vorbereitungen trifft. Auf meinen Rucksack habe ich zwischen all der Sorge nun gar nicht mehr geachtet.
Das leichte Schulterheben zeigt mir ihre Unsicherheit. "Den müsste die Lehrerin Ihrer Tochter haben, die hier ebenfalls eingeliefert wurde."
Wäre mein Schädel nicht kurz vor dem Platzen und mein Körper nicht von eiskalter Angst um Fine eingebettet, würde ich fast auflachen. "Tochter?", hinterfrage ich, als hätte ich mich verhört.
Die Krankenschwester, die sich bei meiner Frage zu mir umgedreht hat, wird augenblicklich rot. "Entschuldigen Sie, ich dachte..."
Schwach winke ich ab. "Wenn man die Menge an Sorgen betrachtet, könnten Sie fast richtig liegen."

-----------

Ich würde hier gern etwas schreiben, habe auch schon einiges gehabt und wieder gelöscht, doch mir fehlen momentan die Worte. Die Welt ist kaputt. Und das bekommen wir alle gerade zu spüren.
Ich habe mich dazu entschlossen, dass etwas Abwechslung dennoch ganz gut für uns ist. Also hoffe ich, dass ich das mit diesem Kapitel erreichen konnte.

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt