Zitternd verkrampfen sich meine Hände um das Buch. Ich schließe meine Augen, atme mit zusammengebissenen Zähnen tief durch.
Das Gegenteil einer Besserung tritt ein - und damit schmeiße ich das Handtuch.
Schon knallend schließe ich das Biobuch auf meinem Schoß, stoße angesammelte Luft zitternd raus und lasse es geschehen. Lasse die Bilder in meinem Kopf arbeiten, an mir vorbeiziehen. Höre mir jedes Wort erneut an und frage mich nur eine Sache: Warum? Warum das Ganze? Warum reagiere ich so, wie ich nicht reagieren sollte?
Wie ich nicht reagieren will."War es wirklich so schlimm?" Paula nimmt das Lehrbuch von meinem Schoß.
Ich nicke und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. "Die Bestandteile der Bakterien wollen nicht in meinen Kopf", witzele ich und könnte im nächsten Moment über meine jämmerliche Stimme lachen.
"Das meinte ich nicht. Und das weißt du ganz genau", seufzt Paula.
"Trotzdem", ich falte meine Beine zu einem Schneidersitz, "ich werde den Test in Bio morgen verhauen."
Sie schüttelt schmunzelnd ihren Kopf. "Er hat es dir angetan. Das hab ich schon vorher gemerkt, aber dass es so schlimm ist?"
"Hat er nicht", schnaube ich und nehme Paula mein Buch wieder aus der Hand. "Wenn du mich entschuldigen würdest - ich muss lernen." Mit diesen Worten stehe ich auf und steuere auf die Terrassentür zu.
"Josefine, nicht ohne Jacke!", durchkreuzt Phils Stimme von hinten mein Vorhaben.
Erschrocken drehe ich mich um und gucke zu Phil, der am Türrahmen zum Wohnzimmer lehnt und mir eine Strickjacke zuwirft.
"Wie früher, als ich noch ein kleines Kind war", brumme ich augenrollend.
"Nur mit dem Unterschied, dass du jetzt Liebeskummer hast. Also doch nicht mehr so klein", kommentiert Phil.
Schnell raus hier aus diesem Haus, in dem jeder mehr über meine Gefühle weiß, als ich selber. Vielen Dank.Danke für deine Hilfe.
Wie viele Bestandteile tragen Bakterien nochmal?
Erst seit knappen zwei Wochen.
'Zwei Wochen' ist wohl nicht die richtige Antwort.
Nein, finde ich nicht. Ich bin dir wirklich dankbar.
Wie heißt nochmal das Ding, mit dem die sich fortbewegen?
Josefine, ich wollte mich wirklich melden, aber...
Nur mit der größten Mühe kann ich einen Schrei verhindern. Ich möchte abschalten, mir Adrians Stimme aus dem Kopf schlagen.
Ich mag dich sehr.
Verschwommen taucht sein Bild vor meinen Augen auf. Er im Krankenhausbett. Sein Hals. Der Fleck.
Doch als ich mich dazu zwinge, meine Augen wieder zu öffnen, ist auch dieses Bild verschwommen. Das Gras sieht aus, als wäre es mit Wasserfarbe gemalt worden. Das Grün ist blass, verläuft im Hintergrund mit der Farbe des Gartenzauns.
Verzweifelt wische ich mir meine Tränen aus dem Gesicht.
Ich will das nicht. Ich darf das nicht."Und dann hast du ihm ernsthaft eine reingehauen? Toni!"
"Was denn?" Mein Bruder hebt abwehrend seine Hände. "Er kann doch so nicht mit Mädchen umgehen. Darauf reagiere ich allergisch."
Papas Kopfschütteln nimmt nicht ab. "Das ist wahr. Dennoch nicht die richtige Lösung. Du warst doch nicht am Fall beteiligt."
"Meine Güte", gereizt haut Toni sein Besteck auf den Tisch, "ist doch nichts weiter passiert. Und wenn, dann hätte er in der Schule genug Fachmänner um sich gehabt."
Ich konnte dem Gespräch nicht folgen, kenne keinerlei Zusammenhänge und kann nichts verknüpfen. Zu sehr geistern in meinem Kopf Dinge umher, die dort nicht sein sollten.
Quietschend schiebt Toni seinen Stuhl nach hinten, steht auf und verlässt mit großen Schritten die Küche.
Ich blicke auf. Ratlose Gesichter sitzen am Tisch und gucken sich an.
"Sagt mal..." Alex legt eine Pause ein und zieht seine Augenbrauen zusammen. Doch dann macht er eine abwinkende Handbewegung. "Nein, das kann nicht sein. Das macht keinen Sinn, egal."
"Und wie das sein könnte", erwidert Phil. "Doch doch, ich denke auch gerade daran."
Meine Augenbrauen heben sich. Sind es nicht eigentlich die Frauen, die andere verstehen, ohne es auszusprechen? Paulas Blick zu urteilen hat sie keinen blassen Schimmer, was in den Köpfen der beiden vor sich geht. Ich ebenfalls. Abgesehen davon, dass ich aus den Bruchstücken, die ich flüchtig aufgenommen habe, eh kein Bild legen kann.
"Die Suppe schmeckt wirklich gut", lenke ich deswegen einfach ein. Hätte ich gewusst, dass das die Blicke nur noch verwirrter werden lässt, hätte ich wohl meinen Mund gehalten."Schaffst du schon." Paula drückt meine Schulter. "Und wenn nicht, dann reißen wir dir den Kopf auch nicht ab."
"Nein?" Ich beiße mir auf die Zunge, kann mir einen Kommentar dann aber doch nicht verkneifen. "Schade. Stelle ich mir gerade recht schön vor", gebe ich zu und öffne die Autotür. "Danke für's Bringen, bis nachher."
"Du bist wie ein offenes Buch", höre ich Paula noch grinsend sagen.
Und nicht zum ersten Mal trage ich zur Belustigung bei. Ich fühle mich geehrt."Ihr habt zwanzig Minuten für den Test. Dreht die Blätter erst um, wenn ich es sage."
Besorgt liegt meine Aufmerksamkeit auf Anni, die wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf ihrem Stuhl sitzt. Oder eher hängt?
"Augen sind dann aber bitte auf deinem Blatt."
Ich zucke und gucke hoch. "Natürlich", beeile ich mich zu sagen, ehe ich mich erneut an Anni wende. "Hast du gelernt?"
Ihr Schnauben klingt so, als würde sich etwas in ihrer Nase lösen. Sehr... schleimig.
"Was denn? Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht durchgelernt", probiere ich, die Situation zu retten.
Doch es ist hoffnungslos.
Jeder hier in diesem Raum steht jenseits der Begeisterung.
Außer Mimi. Ihr Grinsen lässt Übelkeit in mir aufsteigen. Ich könnte diese gepflegt auf die Aufregung schieben, doch blöd, dass ich alles andere als aufgeregt bin. Mir ist es gerade regelrecht egal, dass ich den Test auch direkt in die Tonne treten könnte. Ärger bekomme ich deswegen zu Hause sowieso nicht. Und mein Ehrgeiz hält gerade ebenfalls Winterschlaf.Mein Blatt sieht lustig aus. Aufgerundet habe ich mehr Striche hinter Aufgaben gemacht, als tatsächliche Antworten geschrieben.
Auch der Gesichtsausdruck meiner Lehrerin lässt mich mit den Schultern zucken.
Bakterien haben während des Tests gerade die wenigsten Gedankengänge erobert.
Eher ein klebriger, zäher Kaugummi hat mein Gehirn zusammengehalten - und jegliche Verbindungen so verklebt, dass sie keinen Sinn mehr gemacht haben."Hast du eine Schmerztablette dabei?", reißt Anni mich aus meinen äußerst sinnvollen Gedanken.
"Geh doch nach Hause", entgegne ich. "Du siehst gar nicht gut aus."
"Und dann? Ich will nicht zum Arzt, kann aber keinen Tag mehr ohne Attest fehlen", gibt sie heiser zurück. "Also, hast du eine?"
"Ist ja nicht so, dass dir Paula eine Krankschreibung besorgen-" Mein brummendes Handy lässt mich stocken. Aus meinem geplanten flüchtigen Blick wird ein starrer. Ich traue meinen Augen kaum, schwebe von null auf hundert zwischen dem Impuls, mein Handy durch den Raum zu schmeißen, und dem Drang, in die Tasten zu hauen. "Kann", vollende ich flüsternd.---------------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...