67 - Der erste Versuch

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Auch wenn mir die Nummer unbekannt ist, muss ich nicht viel nachdenken. Mir ist sofort bewusst, wer mir soeben geschrieben hat. Aus heiterem Himmel. Also zumindest für mich gibt es nichts, was wir noch klären müssten. Gestern wurde alles gesagt.

"Josefine, ich weiß, dass du das nicht so meintest." Adrian knetete seine Hände. "Aber es hat mich trotzdem verletzt. Ich dachte, dass es zwischen uns eine gewisse Bindung gibt. Beziehungsweise gab. Ich mag dich sehr." Zum Ende wurde er immer leiser und ließ seinen Blick schließlich auf die Bettdecke fallen.
"Eine gewisse Bindung?" Ich stutzte. "Du hast doch..." Mir fehlte der Mut, das auszusprechen, was mir durch den Kopf ging. Oder war es wirklich der Mut? Vielleicht war es die einfache Erkenntnis, dass ich mir das so eingestehen würde. Leider konnte ich den kleinen Funken Hoffnung, der munter in mir aufsprang, nicht unterdrücken. Vielleicht...
"So habe ich das gerade nicht gemeint." Ein heiseres Lachen verließ seinen Hals. "Du warst irgendwo für mich da, ich für dich. Trotz kleiner Reibereien haben wir uns super verstanden. Eigentlich wollte ich den Kontakt zwischen uns halten, aber ich bin durch einen Zwischenfall nicht dazu gekommen. Zumal ich mir nicht sicher war, ob von deiner Seite Interesse besteht. Also Interesse an einer Freundschaft, bitte verstehe mich nicht falsch, um Himmels willen!"
Der kleine Funken in mir sprang über. Sprang auf mein Herz und verursachte ein teuflisches Brennen. Was war nur mit mir los?
Mein Mund klappte auf, doch es kam kein Wort heraus. Bevor mir überhaupt etwas einfiel, öffnete sich hinter mir die Tür.
"Was machst du denn hier?" Schwungvoll drehte ich mich um und sah in Mimis Gesicht, welches nicht ganz so erfreut schien.
"Ich wollte mich nur kurz bei ihr bedanken", schritt Adrian für mich ein. "Wenn du uns noch zwei Minuten lassen könntest?"
"Ach, es ist doch alles gesagt", quälte ich lächelnd hervor, schob mich an Mimi vorbei und ließ die Tür ins Schloss fallen. Zwei Minuten später trugen mich meine Beine schneller von der Klinik weg, als meine Gedanken einen Ausweg fanden.

"Dann halt nicht", brummt Anni und dreht sich auf ihrem Stuhl. "Alina, hast du zufällig eine Schmerztablette?"
Ich schüttele mich, um mich aus diesem Gespräch von gestern zu retten. Was will Adrian jetzt von mir? Okay, seine Nachricht ist eindeutig und lässt rein theoretisch keine Fragen offen, doch ich fühle mich, als hätte ich einen Schlüsselbund mit tausenden Schlüsseln, aus denen ich einen finden muss, der ins Schloss passt. In mein Schloss. In mein eigenes, denn ich verstehe mich selbst nicht mehr. 

"Super." Ironisch lächelnd hebe ich meine Daumen.
Papa hätte sich die Frage, wie denn der Test so war, wirklich verkneifen können. Aber kann er ja nicht wissen.
"So schlimm?", hakt Papa nach.
Ich schüttele meinen Kopf. "Noch schlimmer. Vielleicht ... zwei Punkte? Wenn's hochkommt. Könnte knapp werden."
"Zwei Punkte sind was für eine Note?"
"Eine glatte Fünf", kommt es von Toni, der unbeeindruckt auf sein Handy guckt.
"Und jetzt? Bekomme ich eine Strafe? Vielleicht Hausarrest?" Hoffnungsvoll, ja schon mit meinem süßesten Blick gucke ich Papa an.
"Spinnerin. Du hast den Test erst heute geschrieben. Und auch wenn du eine Sechs hast, wirst du von mir keine Strafe bekommen", sagt Papa entschlossen.
"Pff, dann probiere ich es bei Phil. PHIL?"
"Du kannst so laut nach Phil rufen, wie es dein Organ zulässt, aber er wird dich nicht hören. Phil und Paula sind beim Frauenarzt", antwortet Papa auf meine Frage nach Phil.
"So ein Mist", murre ich und gehe in die Küche. Dann eben nachher.
"Und denk nicht, dass Phil dir Hausarrest geben würde. Wo denkst du hin?", ergänzt Papa, doch ich lasse es an mir abprallen.

>Ich weiß nicht, was in mir vorgeht. Ich weiß nicht, wohin das führt, wohin das führen soll. Ich weiß nur eine Sache: Wir sollten keinen Kontakt haben. Bitte akzeptiere das.<
Bevor mein Bauchgefühl auf doofe Gedanken kommt, zerquetscht mein Daumen den Pfeil zum Löschen. Diese Nachricht an Adrian kann ich definitiv nicht schreiben.
Seufzend rolle ich mich auf die andere Seite meines Bettes.
Schließe meine Augen.
Lasse widerwillig die Bilder zu, die sich wie eine Seuche ausbreiten.
Bis ich an einem ganz schlimmen...
"Fine?"
Ich reiße meine Augen auf. "Mh?"
Paula kommt ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
"Wie war es beim Arzt?", frage ich sofort, als ich mit meinem Blick ihren Bauch streife. Dort ist definitiv ein Ansatz zu erkennen.
Ihr Grinsen verrät die Vorfreude auf das Kind. "Sieht alles perfekt aus. Nur das Geschlecht konnte nicht gesagt werden, das Baby war bockig."
Bei diesem Gedanken muss ich lächeln. Allein die Vorstellung, dass Phil und Paula bald ein Kind haben, macht mich glücklich. Sie könnten das Ebenbild einer perfekten Familie sein.

"Bei dir ist aber nicht alles okay, oder?" Besorgt zieht sie ihre Augenbrauen zusammen, während sie sich zu mir aufs Bett setzt. "So guckst du immer, wenn dich etwas belastet."
Ratlos hebe ich meine Schultern, gucke Paula an und lasse sie wieder fallen. Ja, was ist mit mir los?
Wortlos halte ich ihr mein Handy hin.
"Nicht gut." Paula schüttelt den Kopf. "Gar nicht gut." Angestrengt bilden sich ihre Lippen zu einem einzigen Strich, ihre Augen verengen sich.
"Du denkst nach. Vielversprechend", kommentiere ich ihre durchaus gut geschauspielerte Reaktion.
"Sei direkt", kommt Paula zu einer schnellen Lösung, die mir jedoch gar nichts sagt.
"Und damit meinst du genau was?"
"Antworte ihm nicht mittels Umschreibungen. Hier ist kein Wink mit dem Zaunpfahl wirksam." Sie schmunzelt. "Männern kann man den ganzen Zaun ins Gesicht schmeißen, sie verstehen es meistens trotzdem nicht. Also sei ehrlich und direkt. Das wird auch dir helfen."

Ich soll ehrlich sein, hat sie gesagt.
Ich soll direkt sein, hat sie gesagt.
Hat sie auch gesagt, wie schwer das ist? Die Erinnerung daran wäre jedenfalls gelöscht.
"Kein Wink mit dem Zaunpfahl. Ich hab ihm den Zaun durch den Kopf gebohrt", berichte ich Paula am Abend. "Wo sind Papa und Alex?"
"Die beiden mussten spontan einspringen", antwortet Phil mit verwirrter Miene.
Paula guckt Phil an. Ihre Mundwinkel wandern immer weiter nach oben, bis sie ein fettes Grinsen im Gesicht hat. "Da fällt mir ein, dass Phil auch so ein typischer Mann ist. Mit wie vielen Zäunen ich ihn schon abgeschmissen habe, unglaublich."
Sein Blick wird nicht besser.
Und da erwischt sogar mich ein Schmunzeln.

Systematisch suchen meine Augen mein Zimmer ab.
Kommode? Nein.
Bett? Nein.
Schreibtisch? Nein.
St... "Suchst du vielleicht das?" Toni schiebt seine Hand in mein Sichtfeld und wedelt mit meinem Handy.
Erleichtert atme ich aus. "Danke, du bist meine Rettung. Ich muss los." Hastig entreiße ich ihm mein verloren geglaubtes Handy und renne die Treppe runter. Unten steht schon Papa mit meinem Sportbeutel.
"Ist der erste April ein Pechtag?", frage ich, während ich in meine ziemlich abgenutzten Turnschuhe schlüpfe. Wie lang hatte ich dieses Paar nicht mehr an?
Seit dem Unfall, schießt es mir durch den Kopf, obwohl ich das eigentlich verdrängen wollte. Wenigstens noch so lange, bis ich den Tatsachen ins Gesicht gucken muss.
"Eigentlich nicht, aber bei dir weiß man nie", erinnert Papa mich schmerzlich.
"Pscht, ganz falscher Zeitpunkt, Papa. Ganz falscher Zeitpunkt. Also nein. Heute, der erste April, ist kein Pechtag." Ein bisschen einreden hat noch nie jemandem geschadet.

Der Weg kommt mir unheimlich ungewohnt vor. Zu lang ist es her, als ich ihn das letzte Mal gefahren bin.
"Du weißt, dass dich keiner zwingt, oder?" Papa setzt den Blinker und wechselt die Spur.
Nur noch einmal links abbiegen, dann sind wir da.
"Natürlich weiß ich das. Aber ich möchte es wirklich." Wirklich. Wirklich?

Noch nie kam mir die Turnhalle so einschüchternd vor, wie sie es jetzt tut.
Meine Hände werden von einem leichten Zittern regiert, während ich kläglich probiere, sie durch Reibung zu wärmen.
Papa guckt mich besorgt von der Seite an. "Wir können auch wieder fahren. Oder du guckst heute nur zu."
Doch ich schüttele sofort meinen Kopf. "Nein, ich möchte das. Ich möchte wieder turnen."
Und im nächsten Moment stehe ich in der Umkleidekabine.
Plötzlich nicht mehr wissend, was ich hier noch tue.

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Mir fallen die Übergänge momentan so extrem schwer, aber es müsste bald wieder besser werden. Hoffe ich

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt