Angst durchzuckt mich wie ein Stromschlag.
Vorsichtig und langsam öffne ich meine Augen, die ich vorher panisch zusammengekniffen hatte.
Mein erster Blick gilt Anni, doch sie steht aufrecht neben mir, starrt mich mit leerem Blick an und hat meinen Oberarm fest im Griff. Sie scheint es nicht abbekommen zu haben.
Der Park ist still, es ist, als würde jeder die Luft anhalten. Bis auf dieses Piepen. Ich weiß nicht, woher es kommt, doch es ist nervtötend.Die kurze Erleichterung über Annis Unversehrtheit hält nicht lang an.
Irgendein Mädchen schreit quietschend hoch nach Simon, doch es kommt nur dumpf bei mir an.
Denn genau in diesem Moment fällt mein Blick auf den Boden. Auf Simon. Auf Simon, der verkrampft auf dem Boden liegt. In seinem Gesicht zeichnet sich der pure Schmerz ab, seine linke Hand zittert unaufhörlich.
"Ach du Scheiße", entweicht es mir völlig schockiert, doch ich höre meine eigenen Worte kaum. Es ist alles so unrealistisch.
Annis Hand, die sich langsam schmerzhaft in meinen Oberarm krallt, lässt mich im Hier und Jetzt. Sie kann jedoch nicht verhindern, dass mich langsam ein Schwindelgefühl einnimmt, mich von oben bis unten erweichen lässt.
Kräftesuchend lasse ich mich auf den Boden sinken. Ziehe Anni dabei mit, die jedoch immer noch ausdruckslos nach vorn starrt.
"Hey, Anni, alles ist gut!" Ich schüttele sie an den Schultern. Ihre Reaktionen bleiben spärlich.
Mir bleibt nichts anderes übrig. Simon hat es erwischt, nicht uns.
Der Schwindel lässt meine Wahrnehmung verschwimmen, doch mit etwas Konzentration bekomme ich ein klares Bild von Simon. Seine Atmung ist beschleunigt, als wäre er gerade über die Ziellinie eines Marathons gerannt und nun kraftlos auf den Boden gesunken. Mit dem Bild seiner blutroten Hand wird mir jedoch klar vor Augen geführt, dass dem leider nicht so ist.
"Simon, hörst du mich?", frage ich laut.
Plötzlich höre ich Anni neben mir. "Du musst lauter reden."
Gleichzeitig kommt von der anderen Seite ein leises "Schrei nicht so".Verwirrt ob der Aussagen konzentriere ich mich lieber wieder auf Simon, der seine Augen fest zusammengekniffen hat. Zischend holt er zwischen zusammengepressten Zähnen luft, die Kiefermuskeln bis zum Zerreißen angespannt.
"Ich habe schon einen Notruf abgesetzt", flüstert jemand rechts neben mir. Es ist mir unmöglich, die Stimme einer Person zuzuordnen, zu dumpf kommt das alles bei mir an.
Ich bedanke mich flüchtig, ohne meine schwammige Aufmerksamkeit von Simon zu wenden. Mit der Panik, etwas machen zu wollen, aber mit dem gleichzeitigen Wissen, dass mir eben dieses fehlt, kann ich nichts anderes tun, als verzweifelt auf dem Boden zu knien.Schier nicht enden wollende Minuten vergehen, in denen ich krampfhaft probiere, meinem Schwindel nicht nachzugeben, Anni irgendwie in die Realität zu holen und Simon zu beruhigen.
Das Piepsen, welches alle Wörter scharf durchschneidet, macht diese gesamte Situation kein Stückchen besser.
Ein Gefühl der Erlösung durchflutet mich, als ich schwache Sirenen wahrnehmen kann, die nach immer größerer Intensität auf der Straße halten.
Blaue Lichter fliegen an uns vorbei, bringen die Umgebung zum Flackern. Tragen jedoch nicht zur Besserung meines Schwindels bei - im Gegenteil.Ein schwarzer Schleier huscht an meinen Augen vorbei, verschluckt das leuchtende Blau, als ich unter den Armen gepackt und hochgezogen werde.
"Ich habe dich, alles gut. Kannst du stehen?", vernehme ich an meiner linken Seite. Die Stimme kommt mir viel zu vertraut vor.
"Anni", sage ich leise und probiere, etwas zu erkennen. Doch mein Kreislauf ist allein mit dem plötzlichen Stehen überfordert und muss sich erst noch sammeln.
"Flo kümmert sich um sie. Komm, wir gehen zur Bank."
Es sind nur wenige Schritte, die Bank erreiche ich dennoch nur schwankend.
Erschöpft lasse ich mich auf das Holz fallen, schließe meine Augen und atme tief durch, ehe ich mich an einen neuen Versuch wage, meine Umgebung anzugucken.
Zuerst erblicke ich direkt Papas besorgtes Gesicht. Er hockt vor mir, fühlt meinen Puls und mustert mich aufmerksam.
Bewegungen neben uns ziehen meine Aufmerksamkeit zur rechten Seite. Flo hat Anni ebenfalls auf der Bank geparkt und hockt vor ihr.Meine rechte Hand krallt sich in das splitternde Holz, auf dem ich sitze. Mich überkommt das Gefühl, nicht in der Realität zu sitzen. Ich kann noch immer nicht glauben, dass Simon sich vor Anni und mich geschmissen hat, um uns vor dem Böller zu bewahren. Seine Reflexe beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue.
Zwischen Flo und Papa durchguckend, erkenne ich Alex und Jacky, die bei ihm hocken und mit der Wundversorgung beginnen.
Das alles nur wegen mir. Weil ich zu blöd war, ordentlich zu reagieren. Warum bin ich auch so beschränkt und...
"Hier spielt die Musik", reißt mich Papa abrupt aus meinen wirren Gedankengängen, die sonst mit Sicherheit noch unterirdische Ausmaße angenommen hätten.
"Dieses Piepen", beschwere ich mich jämmerlich und halte mir mein rechtes Ohr. Warum fühlt sich das so dumpf an, wenn ich aber dieses Piepen so deutlich höre?
"Weißt du genau, was passiert ist?", geht Papa über meine Bemerkung hinweg, auch wenn er kurz nicht schlecht geguckt hat.
Ich nicke zaghaft, kann dadurch den Schwindel trotzdem nicht aufhalten. Ich ziehe gequält meine Augenbrauen zusammen.
"Ist dir schwindelig?", stellt er mir die nächste Frage, bevor ich überhaupt auf die erste antworten konnte.
"Ja", beantworte ich diesmal ohne große Gestik. "Ein Böller. Der ist auf Anni und mich zugeflogen. Simon hat anscheinend mit der Hand den Böller umgelenkt, um uns zu schützen", fasse ich zusammen, bemüht darum, alles halbwegs verständlich wiederzugeben.
Flo dreht sich zu Papa. "Konnte Anni mir gerade auch so in etwa sagen, nur sehr abgehackt. Aber hast du das auch bemerkt?"
Was bemerkt? Was soll Papa denn bitte auch bemerkt haben?
Er nickt ernst. "Ziemlich laut gesprochen. Könnte von der Aufregung kommen, obwohl ich eher..."
Jetzt ist es Flo, der nickt.
Ziemlich laut gesprochen? Annis Stimme kam als Murmeln bei mir an.
"Ihr hattet den Böller ziemlich nah am Kopf, oder?", hinterfragt Papa angespannt.
Ich bejahe verwirrt. Indes hat Flo schon die Leitstelle angefunkt. Ein Wort reicht mir, um langsam zu verstehen, was in mir vorgeht. Knalltrauma.
Nur ich höre dieses Piepen. Deswegen hat sich darüber bis jetzt auch keiner beschwert. Ich höre mit dem rechten Ohr kaum etwas, es fühlt sich dumpf an, deswegen kam Annis Stimme nur als Murmeln an.Alex' nun wirklich laute Stimme durchtrennt meine immer sinnvoller werdenden Gedanken.
"Hey, Simon, bleib schön bei uns, hörst du mich?"-----------------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...