40 - Schlechte Laune überall

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Nur unter angehaltener Luft halte ich Frederiks Hände an meinen Rippen aus.
"Schon gut, du kannst wieder atmen", sagt er leicht lachend und zieht mein Oberteil wieder runter.
Vorsichtig blase ich die angesammelte Luft aus und ziehe neue noch vorsichtiger ein. Es zieht, doch gegen meiner Erwartung hält sich das im erträglichen Bereich.
"Geht's?", hakt er dennoch nach.
Ich nicke. "War schon mal schlimmer."
"Ich habe gehört, dass du gestern Franco und den Rest nicht erkannt hast. Jetzt ist das aber wieder okay, oder?" Frederik zieht sich einen Stuhl ans Bett und guckt mich abwartend an.
"Ich kann mich immer noch nicht daran erinnern, dass das so war", wiederhole ich das, was ich bis jetzt jedem auf Nachfrage geantwortet habe.
Von ihm kommt ein Seufzen. "Ist auch nicht wirklich wichtig. Hauptsache, du hast es jetzt wieder. Eigentlich wollte ich mir nur kurz mein vollbrachtes Werk angucken." Er schmunzelt und deutet auf meinen Oberkörper. "Ich will mich ja nicht selbst loben, aber..."
"Dann lass das", fahre ich ihm grinsend dazwischen. "Danke."
"Nichts zu danken, das ist mein Job. Aber hört man ja doch mal gern. Na dann, ich muss wieder auf meine Station. Man sieht sich." Lächelnd steht er auf und verabschiedet sich mit einem kurzen Winken, ehe er sich mit einem Pfleger die Klinke in die Hand gibt.
"Herr Seehauser, was machen Sie denn hier?", fragt der junge Mann verwirrt und weicht mit einem Tablett auf der Hand zur Seite.
"Meine Patienten besuchen", erwidert er wie selbstverständlich und lässt den armen Pfleger leicht verwirrt zurück.

Kopfschüttelnd betritt er den Raum und stellt das Tablett auf den Beistelltisch.
Neugierig mustere ich ihn. Mein Blick fällt auf sein Namensschild mit der Aufschrift Adrian Krüger. Noch nie gesehen.
Als ihm mein verwunderter Blick auffällt, legt sich seine Stirn in Falten. "Was ist? Hab ich da was?" Seine Augen wandern auf seine Brust, auf die ich überlegend gestarrt haben muss.
Ich schüttle den Kopf. "Nein, aber ich habe Sie noch nie gesehen."
Er gibt ein Brummen von sich. "Kommt vor", nuschelt er.
Wie wäre es mit einer kurzen Vorstellung?, wandert es durch meinen Kopf, doch ich beiße mir auf die Zunge. Seine Laune sieht nicht prickelnd aus, ich sollte sie lieber nicht provozieren.

Ich nehme diese Situation so hin, obwohl sie mir etwas unangenehm ist. Er entblößt den Teller, auf dem meine Schonkost zum Mittag liegt, schiebt mir das hochgeklappte Brett rüber, damit ich rankomme, und wünscht mir knapp einen guten Appetit.
"Ähm...", entfährt es mir verwirrt.
Auf halbem Weg zur Tür dreht er sich um. Seine Mundwinkel hängen beinahe auf dem Boden. "Mh? Ist noch was?", fragt er ziemlich gereizt.
Ich schiebe seine Ausstrahlung auf den Stress, der auf der Intensivstation herrschen muss, und verneine. Trinken wird eh überbewertet.

Toni hat mir nach seiner Berufsschule die Ehre erwiesen und mich mit Paula zusammen besucht.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als Toni quiklebendig neben mir saß und munter von seinem Tag berichtet hatte. Mir ist heute Morgen wieder eingefallen, dass auch er einen Unfall hatte. Auf Nachfrage wurde mir auch alles erklärt, doch wirklich interessiert hatte mich nur, dass es ihm wieder gut geht.

Zum Abend hin kommen auch Papa und Phil vorbei.
"Alex hat Dienst", erklärt Papa auf meinen fragenden Blick, klingt dabei jedoch etwas unsicher. "Und, wie hast du den Tag so verbracht?"
Ich grinse ihn ironisch an. "Richtig spektakulär, so ein Tag im Bett auf Intensivstation. Wann kann ich denn verlegt werden?"
"Ich habe gerade mit Charlotte geredet", beginnt Papa und macht es sich auf seinem Stuhl gemütlich. So gemütlich, wie man sich es jedenfalls machen kann. "In drei bis vier Tagen, wenn sich an deinen Werten nichts verändert."

"Und wie war euer Tag so?", möchte ich ein Gespräch anschneiden.
Die aufgehende Tür kommt uns jedoch zuvor.
Der Pfleger von heute Mittag erscheint mit einem Tablett. Meine Mundwinkel gehen in den Keller, meine Laune stolpert hinterher. Würde er wenigstens mal den Ansatz eines Lächelns im Gesicht haben, könnte ich über die fehlende Begrüßung hinwegsehen.

Wortlos stellt er das Tablett ab, begrüßt Papa und Phil mit einem knappen Nicken und macht sich dann wieder aus dem Staub.
"Kennt ihr den?", hake ich bei dieser Gelegenheit sofort nach.
Zu meiner Verwunderung nickt Phil. "Er ist noch in der Ausbildung und momentan eigentlich auf der Pädiatrie, aber anscheinend brauchten die hier jemanden." Er zieht seine Augenbrauen zusammen und guckt mich kurz fragend an. "Ganz schön schlechte Laune hat er immer, wenn ich ihm begegne."
"Was du nicht sagst", stimme ich ihm zu.

Phil zieht mir mein Abendbrot ans Bett. "Lass es dir schmecken", sagt er grinsend.
"Die schlechte Laune gibt's die nächsten Tage noch kostenlos dazu", nuschle ich mit Blick auf die trockene Scheibe Brot und deute auf die Flasche Wasser, die seit heute Morgen unangerührt auf dem Schrank steht. "Kannst du mir was eingießen?", frage ich lauter an Phil gewandt, der das sofort macht. Mit nur einem funktionsfähigen Arm wäre das kein allzu leichtes Spiel. Und der Ausgang garantiert nasse Flecken.

"Tja." Ich lehne mich vorsichtig in meinem Bett zurück, nachdem das leere Tablett abgeräumt wurde. Von der wandelnden schlechten Laune, wie der nette Pfleger hier unter dem Personal wohl genannt wird. Das habe ich natürlich von Phil, gedacht hätte ich das nie.
"Alex hatte wohl recht gehabt. Vielleicht hätte ich auf ihn hören sollen", seufze ich schließlich und blicke auf meinen verletzten Arm, der mich irgendwie beruhigt. Meine Rippen demonstrieren schmerzhaft, obwohl ich mich kaum bewegt habe.

Papa gibt plötzlich ein unwillkürliches Schnauben von sich, welches mich zu ihm gucken lässt.
"Alles okay?", hinterfrage ich irritiert.
Er guckt zu Phil. Beide Blicke haben sich verändert.
"Wow, Leute, habt ihr euch jetzt gegen Alex verschwört oder was?"
Ich raffe gerade gar nichts mehr. Ist zwischen denen etwas vorgefallen? Warum starren Papa und Phil sich an, als wäre Alex das Monster, vor dem sie auf der Flucht sind?
Mir kam das schon komisch vor, wie Papa Alex' Namen vorhin ausgesprochen hat. Als würde er achtlos einen Kirschkern ausspucken. Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich dem jedoch nicht wirklich eine Bedeutung gegeben.
"Nicht euer Ernst." Unter Schmerzen richte ich mich im Bett wieder richtig auf. "Was ist zwischen euch vorgefallen?"

Sie schweigen. Denken die beiden, dass sie das vor mir totschweigen können und ich somit niemals etwas davon erfahren werde?
Papa ist wohl ziemlich gut im totschweigen, denn über meine Mutter verliert er ja auch kein Wort.

Ich verziehe bei dem tiefen Atemzug, den ich leider nicht unterdrücken konnte, mein Gesicht.
"Wäre einer von euch so nett und würde mich zur Toilette begleiten? Ich kann das noch nicht allein", lenke ich das Thema um.
Phil springt sofort auf und scheint über diesen Wechsel, der durch mich eingeleitet wurde, ziemlich erfreut.
"Immerhin in einer Sache bereit", murre ich, während er mir aus dem Bett hilft. "Schlechte Laune - wohin das Auge reicht."
Wenn die Stimmung zu Hause nicht angespannt ist, dann bin ich ein Zebra mit pinken Streifen.

Adrian Krüger. Ich nehme ihn genauer in Augenschein. Seine Miene wirkt mürrisch. Wie er so im Raum steht, sich vielleicht nutzlos fühlt. Jung ist er wirklich. Das ist mir gestern durch sein übel gelauntes Gesicht gar nicht aufgefallen.
"Alex steht vor der Tür."
Vielleicht hat er ja gar keinen Spaß an seiner Arbeit.
"Fine?"
Aber trotzdem könnte er mal ein netteres Gesicht aufsetzen.
"Josefine!"
Mir kneift jemand in die Hand.
"Aua. Was ist denn?" Verärgert gucke ich zu Charlotte.
"Ich habe gesagt, dass Alex vor der Tür steht. Und danach gefragt, ob du noch Schmerzmittel möchtest oder es geht."
Ich kratze mich am Kopf. Hat sie das? "Mit den Schmerzen geht es momentan noch, aber ich habe mich auch noch nicht bewegt", stelle ich fest.
"Klingel einfach. Na dann, Alex kommt jetzt." Sie zieht mit ihren Pflegern ab und Alex betritt den Raum. Vielleicht ist er ja so freundlich und klärt mich über die momentane Lage auf.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt