So viel Glück kann man doch nicht haben, dass man immer wieder vor Stürzen bewahrt wird. Auf der Treppe, im Krankenhaus. Immer ist jemand zur richtigen Zeit an meiner Seite.
Ziemlich verwirrt drehe ich mich um und gucke in braune Augen, die mich belustigt anfunkeln.
Ein Junge, vielleicht zwei, drei Jahre älter als ich, mit dunkelblonden Haaren steht vor mir. Fast einen Kopf größer als ich. Was ein Riese.
"Füße heben will gelernt sein. Das hätte auch anders ausgehen können", sagt er schmunzelnd, seine Hand noch immer an meinem Oberarm.
Diese Stimme kommt mir irgendwie vage bekannt vor, als hätte ich sie schon einmal gehört. Genauso das Gesicht, welches in mir ein Gefühl hervorruft, dass ich ihm gerade nicht zum ersten Mal begegne.
Mein Blick schweift von seinem Gesicht zu seiner Hand. Er folgt mir und lässt mich endlich los.
"Äh ... danke?" Ich grinse schief und mache mich schnell vom Acker. Das war äußerst peinlich. Ich spüre, wie mein Gesicht mal wieder glüht, so rot bin ich.
Aber woher kenne ich ihn?In einer Drogerie mache ich mich daran, die vielen Bilder auszudrucken. Kann sich nur um ein paar sehr viele Minuten handeln, bei den ganzen Bildern.
Ich setze mich auf einen der Hocker, wähle alles nötige aus und warte. Sitze da, warte, lasse meine Beine baumeln, starre in der Gegend herum.
Leute beobachten macht Spaß. Nicht so viel Spaß macht es jedoch, wenn man Dinge sieht, die man nicht erleben möchte.Es ist für einen Freitagnachmittag wirklich erstaunlich leer hier. Viel Auswahl zum Beobachten bleibt mir also leider nicht.
Ein älterer Herr ist der Einzige, den ich von hier sehen kann. Er steht gerade bei Toilettenpapier. Kann der sich nicht entscheiden? Also so viel Auswahl gibt es da nun auch nicht, man weiß doch, welches man immer nimmt.Doch meine Gedanken scheinen sich zu irren. Er wird nicht überlegen, denn schneller als ich reagieren kann, kippt er um. Einfach so. Gerade stand er noch da, hat sich vermeindlich nicht zwischen dem Klopapier entscheiden können, und jetzt liegt er da.
Mein Kopf stellt sich aus, handelt von allein. Ich springe vom Hocker und eile zu ihm herüber.
Seine Jacke, die neben ihm auf dem Boden gelandet ist, schiebe ich achtlos weg.
Die Worte der anderen fliegen in meinem Kopf durcheinander. Wie geht man vor? BAK.
"Hallo, können Sie mich hören?", frage ich laut und deutlich, nebenbei rüttele ich an ihm. Doch nichts.
Es kommt auch nichts dabei raus, als ich mich mit Blick auf seinen Brustkorb über seinen Mund und seine Nase beuge. Keine Atmung, nichts. Scheiße.
Meine Hand wandert panisch an seinen Hals. Wieder nichts. Herzstillstand.
Eigentlich meinte ich meinen Satz zu Anni, ein Leben retten, nicht ernst.Mir fliegen etliche Gedanken durch den Kopf, die ich alle zu verbannen versuche.
Meine Finger wählen binnen Sekunden den Notruf, doch ehe ich anrufen kann, prescht ein junger Mann um die Ecke. Besser gesagt der Junge, der mich gerade noch aufgefangen hat. Zufälle gibts.
Ich drücke ihm mein Handy in die Hand, die Leitstelle ist inzwischen dran. "Herzstillstand, Rea läuft, wir brauchen keine Anweisung", spule ich runter, reiße nebenbei das Hemd des Mannes auf und beginne ohne Weiteres mit der Wiederbelebung.Ich verfolge den Notruf nicht. Zu sehr konzentriere ich mich darauf, meine Arme durchzustrecken und tief genug zu drücken. Die ganzen Übungen, die ich im Thema Reanimation gemacht habe, sind im Gegensatz zu einem richtigen Fall nichts. Darauf kann man sich nicht gut genug vorbereiten.
Das Knacken einer Rippe, das hat man nicht an einer leblosen Übungspuppe.Der unbekannte Junge, der anscheinend immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kniet sich zu mir und legt mein Handy auf den Boden.
"Kannst du das?", frage ich ziemlich gepresst. Meine Kräfte sind wirklich langsam schon am Ende.
"Ja, denke schon."
Ich wende ihm einen skeptischen Blick zu und sehe seine Unsicherheit. Aber ich kann wirklich nicht mehr.
"Geh auf die andere Seite", weise ich knapp an, was er sofort befolgt.
"Auf fünf wechseln wir."
Ich zähle und nehme bei fünf meine Hände weg. Sofort macht er weiter. Zu meiner Erleichterung einwandfrei.
"Zähle ab 27 laut mit, bei 30 beatme ich zweimal, okay?" Ich knie mich an den Kopf des Mannes.
Ich bekomme ein Nicken als Antwort.
Tiefe Atemzüge probieren, mich zu beruhigen. Mund-zu-Mund-Beatmung ist nicht etwas, was ich jemals in meinem Leben einmal machen wollte, aber wenn jemandem aus meiner Familie etwas zustoßen würde, würde ich auch wollen, dass die Ersthelfer alles tun, was ihnen möglich ist.Eine Verkäuferin ist auf uns aufmerksam geworden und ebenfalls zu uns geeilt. "Gehen Sie bitte an den Eingang und bringen die Rettungskräfte zu uns", weise ich sie ohne das geringste Zögern an. Ein komisches Gefühl, älteren Menschen Anweisungen zu geben, aber in solch einer Situation eben notwendig.
Sofort verschwindet sie wieder.
"27, 28, 29, 30."
Augen zu und durch.
Zweimal beatmet und der Junge drückt sofort weiter.Wir wechseln uns nach ungefähr drei Minuten wieder ab, aber auch er führt die Beatmung ohne jegliche Einsprüche durch.
Wieso braucht der Rettungsdienst so lang?Es kommt mir wie eine nicht enden wollende Ewigkeit vor, bis ich anrennende Schritte hinter mir höre. Ich bin gerade erneut mit dem Drücken an der Reihe. In meiner dicken Winterjacke bekomme ich gerade die Motten.
Neben mir werden Taschen und Geräte abgestellt, jemand wechselt mit dem Jungen den Platz am Kopf des Mannes. Ein anderer, grell bekleideter Mensch kniet sich mir gegenüber.
"Auf fünf wechseln wir?", frage ich automatisch.
"Ja", kommt die knappe Antwort. Und trotzdem höre ich an diesem einen Wort, dass Papa vor mir hockt.-------------------
Das BAK-Schema ist wohl das simpelste Schema, mit dem man schon Leben retten kann, wenn man nach diesem geht.
Erste Hilfe ist wirklich enorm wichtig, denn schon die ersten drei Minuten sind in Extremfällen entscheidend.Mich würde interessieren, ob ihr etwaige Kurse belegt habt oder vielleicht sogar in einem Schulsanitätsdienst tätig seid, in denen ihr in der ersten Hilfe geschult worden seid oder noch geschult werdet? Wenn ihr möchtet, könnt ihr mir gern eure Berührungen mit erster Hilfe in die Kommentare schreiben :)
Ich finde es sehr wichtig, mit diesem Thema auch praktisch (durch regelmäßige Übungen/Auffrischungen) in Kontakt zu kommen, um so die Hemmschwelle in einem realen Fall vielleicht etwas leichter überwinden zu können. Wobei ich aus eigener Erfahrung sagen kann, dass selbst wöchentliche Übungen einen im ersten Ernstfall alles vergessen lassen kann.
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...