Grinsend verdrehe ich die Augen über den typischen Vaterwitz, den Papa gerade gebracht hat. Toni guckt nur peinlich berührt durch die Gegend und stellt scheinbar erleichtert fest, dass ihn keiner gehört haben kann, den er kennt.
"Was ist mit dem Kleid dort drüben?", fragt Paula und deutet mit ihrem Zeigefinger auf ein schlichtes blaues Kleid mit dünnen Trägern.
Meine Aufmerksamkeit verlässt Papa, doch auf dem Weg, das Kleid aus nächster Nähe zu begutachten, fällt etwas anderes in meinen Blickwinkel. Oder besser gesagt jemand anderes.
Mit zwei großen Schritten erreiche ich die nächstbeste Säule, die eine Stütze für den Laden bildet. Und für mich, denn ich drücke mich an sie, als gäbe es keinen anderen Halt mehr für mich.
Bevor Paula ihre Frage aussprechen kann, ziehe ich sie am Arm zu mir und gucke sie aus geweiteten Augen an.
Genervt stöhnt Toni auf und rollt mit den Augen, während er keine Anstalten macht, mich in meiner Deckung zu unterstützen. "Willst du das mit ihr nicht vielleicht einfach mal klären, statt ein Versteckspiel zu beginnen?"
Ich kneife meine Augen kurz zusammen, um mich zu fassen. "Kann doch keiner wissen, dass Anni genau heute auf die Idee kommt, hier ebenfalls einkaufen zu gehen."Es ist knapp zwei Wochen her, dass ich von meinem leider verlängerten Aufenthalt in den Bergen zurück zu Hause bin.
Zwar bin ich sehr froh, dass sich das Verhältnis mit Papa wieder einigermaßen eingerenkt hat, doch mit Anni habe ich seitdem kein Wort gewechselt. Meine jetzige Reaktion kann ich mir auch nicht ganz erklären, bin in der nächsten Sekunde jedoch noch dankbarer, dass ich die inzwischen nicht mehr ganz so kalte Säule in meinem Rücken spüre.
Als hätte ich geahnt, dass Anni mit Adrian unterwegs ist - und ihm will ich nun wirklich noch weniger begegnen.
Paula hebt ihre rechte Augenbraue und öffnet ihren Mund, scheint jedoch nicht recht zu wissen, wie sie ihre Frage formulieren soll.
Indes spüre ich das Blut in meine Wangen schießen. Sie werden glühend heiß und ich bin froh, das Ausmaß nicht sehen zu müssen. Mehrere Emotionen brodeln in mir auf, die ich gar nicht erst zu sortieren probiere.
"Lasst uns einfach weiter in die Babyabteilung", sage ich hastig mit Blick zu Anni und Adrian, die sich gerade über irgendetwas ziemlich amüsieren und keinen Anschein erwecken lassen, dass sie uns gesehen haben, und greife nach Paulas Hand, die einfach nur noch ihren Mund zuklappen lässt und den Kopf schüttelt.
"Und was ist jetzt mit dem Kleid?", fragt Papa hinter mir, während er Mühe aufbringen muss, um mit meinen großen und schnellen Schritten mithalten zu können.
Ich hebe meine Schultern, jegliche Lust, nach Kleidern für mich zu gucken, hat sich in Luft aufgelöst. "Hab doch eh genug Klamotten zu Hause", gebe ich nuschelnd zurück, während die Wut in mir leicht in den Vordergrund rückt.
Warum kann ich nicht einfach die Sache mit Anni klären? Und warum stört es mich so dermaßen, dass sie scheinbar ein so gutes Verhältnis zu Adrian pflegt?
Weil er für mich da war, als es mir schlecht ging. Nicht für sie, schießt es mir durch den Kopf. Und jetzt habe ich zu keinem von beiden eine wirklich gute Bindung."Das ist aber viel", lacht Phil, als er uns die Tür öffnet.
Paula grinst ihn an, doch ihr Grinsen verzieht sich schnell zu einem schmerzhaften Ausdruck. Ihre Hand wandert direkt zum inzwischen großen Babybauch - nicht zum ersten Mal heute.
"Alles gut?" Phil zieht besorgt seine Augenbrauen zusammen, doch Paula winkt ab.
"Übungswehen. Alles im normalen Bereich", sie deutet zu den vollen Tüten, um zum eigentlichen Thema zurückzukommen, "Zum Glück warst du nicht dabei, sonst wäre es sicher die doppelte Menge geworden."
Wo sie recht hat, hat sie recht. Phil ist kaum zu stoppen, wenn er eine Babyabteilung betritt.
Papa schiebt sich mit den vollen Tüten an Phil vorbei. "Musst du nicht langsam los zum Dienst?", fragt er, während er sich die Schuhe auszieht.
Phil wirft einen Blick auf seine Armbanduhr und verzieht überrascht das Gesicht. "Oh, du hast recht. Die Zeit ist mal wieder verflogen."
Er schlüpft schnell in seine Schuhe, gibt Paula einen flüchtigen Kuss und verabschiedet sich mit einem Winken von Toni und mir, ehe er nach draußen zu seinem Auto geht.
"Und du gehst jetzt auch gleich weg?" Ich beobachte, wie Papa kurz in seiner Bewegung erstarrt, bevor er sich langsam aufrichtet und nickt.
Nur mein hartes Schlucken kann einen lauten Seufzer unterdrücken.
Tonis Blick liegt besorgt auf mir, doch ich streiche ihn mit einer fahrigen Bewegung weg und setze ein bemüht lockeres Lächeln auf. "Ich wünsche dir viel Spaß", kommt es mit einer ungewollt dünnen Stimme von mir.
Papa guckt mich entschuldigend an. "Ich weiß, dass es schwer für dich ist und dass das Timing nicht perfekt ist. Wenn du möchtest, bleibe ich zu Hause und sage das Treffen ab."
"Ach quatsch", ich schüttle den Kopf, "ich hoffe, dass du glücklich wirst. Wenn du das bist, bin ich das auch."
Ich sehe an Papas Blick, dass er mir das nicht ganz abkauft, allerdings kommt er nicht dazu, etwas einzuwenden. Alex ist schneller.
"Wenn du noch zwei Minuten hast, kann ich dich zum Date fahren, ich muss sowieso einkaufen!", ruft er von oben, kurz darauf sind seine Schritte zu hören.
Leise stöhnt Papa auf. "Können wir bitte dabei bleiben, es nicht 'Date' zu nennen? Danke!" Zähneknirschend über Alex' Wortwahl schielt er zu mir, um meine Reaktion einzufangen. Was ihm nicht ganz gelingt, denn ich drehe mich rechtzeitig zur Seite.
Bei dem Wort Date nimmt der Kloß in meinem Hals an Umfang zu. In der Hoffnung, dass Papa mir nicht noch mehr ansieht, wie wenig ich momentan damit klarkomme, dass er sich mit einer Frau trifft, drücke ich mich schnell an Alex auf der Treppe vorbei und flüchte in mein Zimmer.Unschlüssig trommeln meine Finger auf dem Schreibtisch, während ich auf mein Handy starre.
Toni hatte vorhin recht, ich sollte langsam mal Kontakt zu Anni aufnehmen. Das klären. Aber irgendetwas in mir hindert mich daran.
Seufzend schweife ich mit dem Blick zum Fenster und gucke in den Himmel. Die Wolken nehmen eine immer dunklere Farbe an, dabei könnte ich die Sonne gerade so gut gebrauchen.
Um mich besser zu fühlen, nehme ich das düstere Wetter als Entschuldigung für meine nachdenklichen Gedanken.
Es ist mir nicht schlüssig, was da zwischen Anni und Adrian läuft. Wie das zustande kommen konnte. Die Erkenntnis, dass ich wohl nie Antworten darauf bekommen werde, wenn ich keinen Kontaktversuch zu Anni starte, trifft mich so hart, wie die ersten Regentropfen gegen mein Fenster prasseln. Dabei war meine Laune heute Vormittag noch so gut und voller Sonnenstrahlen.Toni verabschiedet sich schlussendlich mit einem kurzen Rufen auch noch aus diesem Haus, sodass Paula und ich kurzerhand allein sind.
Ehe ich in meinen Grübeleien wie im Watt versinken kann, stehe ich auf, um Paula etwas Gesellschaft zu leisten. Sie tut mir immer gut, wenn meine Gedanken mal wieder bedrohlich viel werden.Als ich ins Wohnzimmer komme, sitzt Paula erneut mit einem schmerzverzerrten Gesicht auf der Couch. Ihre leicht nach vorn gelehnte Haltung lässt mich nun doch unruhiger werden. Das soll normal sein?
"Alles gut, wirklich", sagt Paula unerwartet. "Ihr müsst euch keine Sorgen machen, das ist ganz normal."
Mit viel Optimismus deute ich es als gutes Zeichen, dass sie meine Anwesenheit überhaupt bemerkt hat, und gehe auf sie zu.
Meine Stirn muss noch immer von Sorgenfalten überzogen sein, wenn ich Paulas Ausdruck richtig deute. "Guck nicht so, als würde ich hier jeden Moment eine Sturzgeburt erleben. Das Baby hat noch Zeit, und die nimmt es sich auch."
"Paula." Sie hebt eine Augenbraue. "Wenn es jetzt losgeht, dann bin ich allein mit dir hier." Und das will ich mir gar nicht ausmalen. Die Überforderung übermannt mich allein bei dem Gedanken daran.
Ich schüttle mich, um auch das dabei aufkeimende Unwohlsein loszuwerden. "Hat Alex gerade die Liebe seines Lebens beim Einkaufen kennengelernt oder warum braucht er so lang?"
Paula lacht auf. "Das wäre ihm immerhin gegönnt."
Ich hebe meine Schultern und nicke es innerlich ab. Ja, das wäre es. "Möchtest du auch einen Joghurt?"
Kaum schüttelt Paula den Kopf und ich setze meinen Weg in die Küche fort, klingelt es.
"Bleib sitzen", sage ich fast eine Spur panisch, als Paula Anstalten macht, sich schwerfällig aufzurichten, und trete eilig den Rückweg an.
Bei jeder Regung ihrerseits hab ich Angst, dass etwas passieren könnte, was nicht passieren sollte. Nicht, wenn ich allein mit ihr bin.Mit der vollen Überzeugung, einem Paketboten die Tür zu öffnen und ein Paket anzunehmen, drücke ich die Türklinke runter.
Mein nett aufgesetztes Lächeln gefriert binnen Millisekunden, als würde ein eiskalter Windzug durch die offene Tür fegen. Es ist Spätsommer.
Mein Herz setzt einen Schlag zu viel aus.
Ich erstarre."Wer ist das?", fragt Paula.
Ich weiß, dass ich hier zu lang regungslos stand.
"Äh...." Ich räuspere mich, doch meine Zunge weigert sich plötzlich, seinen Namen auszusprechen.
Adrians zaghaftes Lächeln schlägt um. Es scheint, als würde er begreifen, was für eine seltsam unangenehme Idee es war, hier aufzuschlagen. Obwohl ich nicht mal weiß, warum er vor meiner Tür steht.
Ein leises Ächtzen aus dem Wohnzimmer ist zu hören. Und es dauert keine fünf Sekunden, bis das Ächzen in ein undefinierbares Gemisch aus Flüchen und panischem Gestammel umschlägt. "Scheiße, nein, nein, nein, das geht nicht."
Und wenn Adrian von Paulas Schwangerschaft weiß, und dazu noch eins und eins zusammenzählen kann, wird ihm jetzt bewusst, was wohl passiert sein muss.
Sein Blick sagt mir jedenfalls, dass er meinen Gedanken teilt.
Ihm bleiben genau zwei Sekunden, um die Flucht zu ergreifen.---------------
Ein wirklich langes Kapitel, aber ein anderes Ende kam mir einfach nicht in den Sinn xD
Ich hoffe, ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen :)
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
DU LIEST GERADE
7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...