Im letzten Moment drehe ich mich zur Bank, doch weiß gar nicht, ob ich es noch schaffe.
Mir wird schwarz vor Augen, mein Körper scheint im Raum zu schweben. Er wurde ausgestellt.Es darf sich nur um wenige Sekunden gehandelt haben, als das Gefühl in meinen Körper zurückkehrt. Der pulsierende Schmerz in meinem Kopf, der von meinem Hinterkopf ausgeht. Sich von dort in Wellen verteilt. Das Stechen in meiner Seite, welches sich noch immer durch meinen gesamten Körper zieht.
Aufrichten muss ich mich nicht mehr. Ich bin genau neben der Bank zusammengesackt, sodass ich an dieser lehne. Leider hat diese nicht verhindern können, dass mein schon im Vornherein schmerzender Kopf ungebremst gegen die Wand knallt.
Meine Sicht ist verblasst, flimmert, zerläuft. Ich sehe meine Klasse, deren Blicke alle auf mir liegen. Und dann Anni.
Ich bin mir sicher, dass es sich dabei um Anni handelt, weil nur sie dieses knallig türkise Shirt trägt.
Sie rennt los, während alle anderen weiterhin erstarrt auf mich gucken. Doch sie liegt schneller, als jemand reagieren kann.
Das Geräusch, welches sie dabei erzeugt, lässt mich zucken.
Ich kneife meine Augen fest zusammen, um meine Sicht irgendwie auf die Reihe zu bekommen.
Öffne meine Augen. Blinzele. Und sehe Anni immer noch auf dem Boden liegen. Unweit der Reckstange.Mit zittrigen Muskeln, die sich nicht beruhigen wollen, probieren meine Beine, mich irgendwie zu tragen.
Auch das Abstützen an der Bank richtet nicht viel aus.
Das war alles zu schnell für meinen Kreislauf, denn kaum stehe ich ansatzweise, zieht mich eine ungemeine Kraft nach unten, gegen die ich keinerlei Chancen habe.Stimmengewirr verläuft mit dem Rauschen meiner Ohren. Ich fühle mich zu schwach, um meine Augen zu öffnen. Am liebsten schlafen und einfach alles ausblenden.
"Okay, alle mal ruhig. Der Rettungsdienst ist verständigt, ihr geht jetzt in die Umkleiden", dringt die Stimme meiner Lehrerin leider lauter an mich heran und reißt mich so aus meinem Dämmerzustand.
"Mir ist schlecht", nuschelt jemand neben mir.
Ein anderer zieht scharf die Luft ein. "Musst du dich übergeben?"
"Ich weiß..."
Im nächsten Moment verziehe ich mein Gesicht. Das Geräusch hat für sich gesprochen.
Die Quelle des Geräuschs lässt meinen Verstand auf der Stelle klarer werden. Mein Körper möchte schon beinahe hochschnellen, doch ich werde bestimmt zurückgedrückt.
"Nochmal zusammenklappen ist nicht", sagt Leon an meiner Seite.
"Geht schon", wehre ich mich und richte mich langsamer auf.
"Dann lass mich dich wenigstens stützen", beschließt er etwas ängstlich und hilft mir, mich auf die Bank zu setzen. Neben Anni.
Auf ihrer Stirn ist ein mieser Cut, aus dem es munter blutet. Und vor ihr... mir steigt die Übelkeit selbst hoch.Alina hockt neben Anni, während Leon nicht von meiner Seite weichen möchte. Und Frau Meier? Sie wartet womöglich auf den Rettungsdienst.
Ich drehe meinen Kopf zur Seite und mustere Anni, die benommen nach vorn starrt.
"Was ist mit ihr passiert?", frage ich an Leon gewandt. Immerhin habe ich nur mitbekommen, dass sie plötzlich auf dem Boden lag. Aber einen Grund dafür konnte ich mir nicht zusammenreimen.
"Sie wollte zu dir rennen, als du hier auf den Boden gesunken bist", seine Mundwinkel zucken beim Reden verdächtig, "aber sie hat die Reckstange übersehen. Die genau auf Stirnhöhe war. Tja, das Resultat siehst du ja."
Ich würde in lautes Gelächter fallen, wenn Anni nicht so übel aussehen und auch ich mich nicht ganz so bescheiden fühlen würde.
Vielleicht können wir später darüber lachen. Hoffe ich.Ich starre zum Eingang der Turnhalle. Jeden Moment müsste der Rettungsdienst durch die Türen kommen, denn die Sirene wurde gerade abgestellt.
Phil kommt in schnellem Tempo in die Halle und bleibt bei unserem Anblick abrupt stehen, sodass Flo, der bis eben hinter ihm lief, mit vollem Einsatz in ihn läuft.
Mit einem Ausfallschritt hält Phil sich auf den Beinen, doch Flo, der somit die Stütze verloren hat, fliegt hin.
Verwirrt dreht sich Phil um und blickt auf seinen Kollegen. "Habe ich jetzt drei Verletzte?", fragt er ziemlich ernst und reicht Flo die Hand, um ihn wieder auf die Beine zu ziehen.
"Was bleibst du auch einfach stehen", meckert Flo und bewegt probehalber seine Handgelenke.
Phil übergeht das jedoch und wendet sich an Frau Meier. "Wurde nicht eine bewusstlose Person gemeldet? Wer von den beiden war bewusstlos?"
"Ich dachte, Josefine wäre bewusstlos", erklärt sie ziemlich aufgebracht.
Flo hat Phil überholt und möchte auf geradem Weg zu uns, übersieht dabei fast die Reckstange und duckt sich gerade noch unter dieser hindurch.
"Die Stange hats den Leuten echt angetan", höre ich Anni neben mir flüstern."Wer war das?" Phil deutet auf Annis Malheur.
"Sie", ich zeige auf Anni, "mir geht es super."
Phil zieht eine Augenbraue hoch. "So siehst du auch aus. Was ist passiert?"
Ich zucke schlapp mit den Schultern. "Bin nach dem Rennen einfach nur ein bisschen umgekippt, aber geht schon wieder." Eigentlich geht gar nichts wieder.
"Pupillen sind unauffällig, aber der Cut schreit nach Nähen", kommt es von Flo, der vor Anni hockt und schon weiter ist als Phil.
"Kann es sein, dass du heute auch wieder echt wenig getrunken hast?", vermutet Phil und tastet nach meinem Puls.
"Ähm... na ja, also das ist schon möglich", gebe ich zögernd zu, vermeide dabei jedoch den Blickkontakt zu Phil. Meine Augen brennen, würden am liebsten einfach zufallen.
"Wie war das heute Morgen? Du sollst auf dich achten und aufpassen." Seufzend schüttelt er den Kopf. "Ich lege dir einen Zugang und dann gibt es Flüssigkeit. Wie ging es dir denn, bevor du umgekippt bist?"
"Hey, immerhin habe ich fünfzehn Punkte", wende ich ein, ohne auf seine Frage einzugehen.
"Super, aber deine Gesundheit ist wichtiger als eine Note. Also los, wie ging es dir denn davor, wie geht es dir jetzt?"
"Mir geht es beschissen", gebe ich zu und schließe meine Augen. Kraft für irgendwelches Gezeter fehlt mir einfach.
"Augen auf, nicht einschlafen", ruft Phil sofort und kneift mir in den Handrücken.
Mit später Reaktion ziehe ich meine Hand weg. "Bin doch wach", murre ich.
"Bist ja heute wieder richtig zickig. Hast du deine Tage?", stichelt Phil spaßig.
Doch es ist mir wie eine Erleuchtung.
"Ja", jammere ich und kneife meine Augen zusammen. Daher weht das Ziehen in meinem Unterleib."Weißt du was?", flüstere ich im RTW, während Phil mir einen Zugang legt.
"Ich weiß vieles. Achtung, wird jetzt kalt, du kennst das ja."
Trotz der Warnung zucke ich. Und auch der folgende Pikser kommt mir heute viel intensiver vor.
"Schon vorbei, alles gut", sagt Phil in ruhigem Ton, als er mein verzerrtes Gesicht bemerkt. "Was soll ich denn jetzt wissen?"
"Ich wünsche dir, dass dein Kind keinen Spiegel zerschmettert. Angenehm ist definitiv anders."
Phil, der vor mir hockt, guckt zu mir hoch. "Denkst du, dass meine ständigen Sorgen um dich angenehm sind? Das wird sich nicht viel von einem eigenen Kind unterscheiden.""Es war alles soweit unauffällig", schließt Frederik die Ergebnisse meiner Untersuchungen ab. "Anni bleibt auf jeden Fall mindestens eine Nacht hier. Aber Fine könnt ihr eigentlich mitnehmen. Wenn nochmal etwas sein sollte, ist sie bei euch ja gut aufgehoben."
Papa und Alex nicken, während Anni neben mir leise wimmert, jedoch zu schwach scheint, um einen Protest einzuleiten.
Dass es mir nach der Infusion an sich zwar besser geht, mir nichtsdestotrotz hundeelend ist, erwähne ich wohl lieber nicht. Ich spüre, dass die Erkältung in großer Welle anrollt und spätestens morgen wie eine Sturzflut über mir einbrechen wird."Ich hole Paula kurz von Station, geht ihr schon mal ins Auto?", fragt Alex uns, was Papa bejaht. Dagegen habe ich nichts, denn sitzen klingt so verlockend.
"Paula kann schon wieder gehen?", hinterfrage ich stattdessen überrascht bei Papa.
Er nickt. "Eigentlich wollten wir so oder so in die Klinik und sie holen. Du hast uns also keine Umstände bereitet."
"Da bin ich aber froh. Wäre ja schrecklich gewesen, wegen deiner Tochter in die Klinik zu kommen", merke ich mit ironischem Unterton an.
"Und wie schrecklich das gewesen wäre", bestätigt Papa und grinst mich an. "Gut siehst du trotzdem nicht aus."
Was eine Wendung.
Ich seufze. "Meine Beine tragen mich immerhin."------------------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...