51 - Verantwortungslos, aber immerhin

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"Was auch immer passiert ist. Es wird wieder gut", flüstert Adrian und streicht mir über den Arm.
"Tut mir leid", nuschle ich zwischen zwei heftigen Schluchzern. "Aber ich kann einfach nicht mehr. Es hört nicht mehr auf. Immer wieder kommt etwas Neues, obwohl ich jedes Mal denke, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann."
"Dir muss gar nichts leid tun", sagt Adrian sofort. "Es ist völlig okay, dass du weinst. Das zeigt keine Schwäche, falls du das denkst."
"Aber wir kennen uns nicht mal wirklich. Mir ist das alles gerade so unangenehm", gebe ich zu und wische mir über das Gesicht, was in seiner Umarmung ziemlich umständlich ist.
"Ich weiß, dass du ein grimmiger Igel bist. Muss ich viel mehr über dich wissen?", fragt er mit einem Anflug eines Schmunzelns.
"Es gibt nicht viel, was man über mich wissen muss", stimme ich ihm zu. Meine laufende Nase ist ziemlich geräuschvoll und lässt mich keinen Satz ohne ein Hochziehen beenden.
Adrian merkt das und hält mir ohne Umschweife ein Taschentuch vor die Nase.
"Woher hast du das denn jetzt gezaubert?", frage ich verwundert, nehme es aber dankend an. Auch wenn es eine kleine Herausforderung ist, sich nur mit einer Hand ordentlich die Nase zu putzen.
"Ich habe mit der Zeit gemerkt, dass das ziemlich nützlich ist, immer ein Taschentuch in der Hosentasche zu haben."

"Warum sitzt du hier und kümmerst dich um mich? Du hättest doch bestimmt so viele andere Dinge, die du tun könntest." Mein Blick ist starr auf einen Baum gerichtet. Die Zweige bewegen sich sanft im leichten Wind und lassen nicht ahnen, welcher Sturm in mir herrscht.
Diesen Moment, in dem meine Tränen versiegt sind und nur noch der klebrige Film auf meinen Wangen haftet, genieße ich. Ich weiß bereits jetzt, dass ich in den nächsten Stunden und Tagen wohl noch ziemlich viele Tränen vergießen werde.
"Weil ich weiß, wie wichtig das ist, jemanden an seiner Seite zu haben. Ich weiß, du hättest Phil und Paula, aber es ist auch mal wichtig, jemanden neben sich zu haben, der nicht immer im unmittelbaren Umfeld ist." Er schluckt und ich traue mich kaum, ihm ins Gesicht zu gucken. Nur zu gut kann ich mir vorstellen, dass ich Schmerz in diesem erkennen würde. "Ich hätte auch oft jemanden gebrauchen können, der mich versteht. Oder wenigstens da ist und mir zuhört. Doch so eine Person hatte ich nie."
Zu gern würde ich wissen, was hinter seiner oft so mürrischen Fassade steckt. Was sich hinter diesem doch so verletzlichen Adrian verbirgt.
Das werde ich wohl nie erfahren.
"Danke", hauche ich und belasse es bei diesem einen Wort. Manchmal reicht ein einziges Wort.

Ich traue mich nicht, ihn erneut nach dem Grund zu fragen, weshalb er außerhalb seines Dienstes hier ist. Eigentlich liegt es auf der Hand.
Ich muss ihm kein Salz in die Wunde streuen. Das habe ich vorhin wohl schon genug gemacht.
Ein Wunder, dass er nochmal zurückgekommen ist und mir nicht für immer den Rücken kehrt.

"Du solltest langsam mal zurück in dein Zimmer. Komm, ich bringe dich", löst Adrian diese ganze Situation auf.
Enttäuschung flammt in mir auf.
Ich hatte die unrealistische Hoffnung, diesen Moment festhalten zu können. Auch wenn mich meine Gedanken quälen und an mir nagen, tat dieses Schweigen mit ihm an meiner Seite so unglaublich gut.

Mit jedem Schritt, der uns näher an die Klinik führt, bahnen sich alle Gefühle an und kommen unaufhaltsam auf mich zu.
Wie die Wellen auf dem offenen Meer. Sie stauen sich an, werden immer größer, rasen mit steigender Energie auf mich zu.
Doch mir fehlen die Wellenbrecher. Die von Gefühlen überfluteten Wellen werden mit voller Wucht bei mir ankommen und ihr übriges Leid anrichten.

>Kommst du mal wieder deine Lieblingsschwester besuchen? :D<
Die Buchstaben gehen in meinen salzigen Tränen unter.
"Wo bist du?", flüstere ich und schlucke. Möchte alles runterschlucken.
Seit zwei Tagen gibt es kein Zeichen von ihm.
Die Erkenntnis, dass ich auch noch Stunden auf mein Handy starren und meine letzte Nachricht durchlesen kann, ohne eine Antwort zu bekommen, ist wie ein Fall in ein unendlich tiefes Loch.

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt