47 - Peinlich, peinlicher, Josefine

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Ich beschleunige mein Tempo und werde so nur schneller in meiner Vermutung bestätigt.
Der Kiesweg unter meinen Füßen knirscht, doch Adrian hebt seinen Blick trotzdem nicht.

Wenige Schritte vor der Bank bleibe ich unschlüssig stehen. Was macht er hier außerhalb seines Dienstes und warum sieht er so... niedergeschlagen aus?
Er stützt seinen Kopf auf den Händen ab, seine Ellenbogen drücken sich in seine Oberschenkel, was beinahe schmerzhaft aussieht. Seine braunen Haare, die sonst so perfekt liegen, stehen ihm in alle Richtungen ab.

Still wäge ich ab, ob es überhaupt mein Recht ist, ihn zu fragen, ob ihn etwas bedrückt. Dass ihn etwas bedrückt, ist eigentlich offensichtlich. Aber die Frage, die ich mir stelle, geht eher in...
"Ich sehe dich", nuschelt er plötzlich und hebt seinen Kopf an.
Ich kann einen kleinen Aufschrei nicht verhindern und springe zurück, wobei ich nichts dagegen tun kann, dass mir ein Keuchen entflieht.
Sofort steht er auf und kommt auf mich zu.
"Geht's?" Besorgt greift er nach meinem rechten Arm.
Ich nicke, auch wenn meine Hand automatisch zu meinen Rippen gewandert ist.
"So schnelle und überraschende Bewegungen sind einfach noch nicht drin."
"Das ist verständlich", bestätigt Adrian. "Komm, setz dich."

Wir lassen uns nebeneinander auf die Bank fallen.
Erneut gleitet mein Blick an ihm herunter. Noch nie habe ich ihn in Alltagskleidung gesehen. Und die blaue Jeans steht ihm ausgezeichnet gut, wenn ich diese mit der weißen Diensthose vergleiche.

Er räuspert sich und guckt mich aufmerksam an, was mich dazu verleitet, seinen Blick zu erwidern. Unwillkürlich schieben sich meine Augenbrauen zusammen, als ich seine glasigen Augen sehe. Er hätte gerade auch gekifft haben können, wenn ich es nicht besser wüsste, so rot sind sie. Wobei - weiß ich es denn besser?

"Was machst du hier?", ergreift er das Wort und verzieht seine Lippen zu einem Schmunzeln. Dass seine Augen jedoch ganz andere Bände sprechen, entgeht mir nicht.
"Paula kommt zu Besuch und ich dachte, dass ich vorher noch nach draußen gehe. Ich kann das Zimmer echt nicht mehr sehen. Aber ich würde dir diese Frage auch gern stellen, wenn ich ehrlich bin."
Binnen Sekunden schmilzt sein leichtes Schmunzeln wie ein Eiswürfel in kochendem Wasser.
"Also nicht, dass du darüber reden musst. Aber wegen der Arbeit scheinst du hier nicht zu sitzen", schiebe ich schnell hinterher, nachdem er seinen Blick wieder gen Boden gerichtet hat.
Er bleibt still. Nur seine Atmung ist deutlich angestrengter geworden.
"I-ich kann auch gehen", stottere ich und will schon aufstehen, als er nach meinem Arm greift und mich bestimmend zurückhält.
Wie kann diese Situation mit so wenigen Worten in solch einer Geschwindigkeit kippen? Und zwar kopfüber in die unangenehme Schiene.

Schweigend gucke ich ihn an, während er sich zitternd durch die Haare fährt. Bringen tut das nichts, aber ich frage mich auch, ob er damit etwas bezwecken wollte. Seine Hände wirken mir eher so, als wüsste er nicht wohin mit ihnen.

Die Minuten, in denen keiner etwas sagt, ziehen sich lang. Sehr lang. Und sie scheinen eine Schleimspur zu hinterlassen, auf der ich jeden Moment drohe, auszurutschen, wenn er nicht endlich etwas sagt. Denn bei mir dreht sich jedes mögliche Wort sofort wieder um und bleibt im Hals stecken.
"Hast du mich vermisst?", fragt er schließlich und lacht leise auf.
Ich verziehe mein Gesicht. Da sehe und höre ich lieber seine mürrische Seite, statt dieses gezwungene Lachen, welches ihm sichtlich schmerzt.
Dennoch spiele ich lieber mit. Ich habe Angst, mit meiner ersten Frage bereits alles falsch gemacht zu haben. "Na ja", beginne ich und muss lächeln, "vermisst ist relativ. Sagen wir eher, dass es komisch war, jemanden mit guter Laune an der Seite zu haben."
"Wie charmant du das ausgedrückt hast", bewundert er. "Aber ja, es war wirklich komisch, mal keinen grimmigen Igel zu bedienen", stimmt er mir verschmitzt lächelnd zu.
Sein Fuß bewegt sich nervös auf dem Kiesweg und zeichnet Kreise in den sandigen Boden, was mich mit Nervosität anzustecken droht.

"Aber eine Person hat dich mit Sicherheit vermisst", platzt es aus mir heraus, bevor ich mir über die Folgen der Worte im klaren bin.
Erschrocken beiße ich mir auf die Zunge. Da komme ich wohl nicht mehr raus.
"Ach ja?" Interessiert hebt er eine Augenbraue. Seine typische Handlung in jeglichen Situationen.
"Sie wird mich umbringen", murmle ich und drehe meinen Kopf von Adrian weg. Ich bezweifle nicht, dass er meine roten Wangen schon bemerkt hat, aber einen Versuch ist es wert.
"Wer? Anni, deine Freundin?", hakt er nach.
Ich kneife meine Augen zusammen und gebe das nächste Geräusch nur widerwillig von mir. "Mhmh."
"Mhmh?", echot er. "Mhmhm ja oder mhmh nein?"
"Möglich?", bringe ich eine weitere Antwortmöglichkeit ins Spiel.
"War keine Antwortmöglichkeit", erwidert er und zieht die Luft zwischen seinen Zähnen ein.
Schade aber auch.
"Okay", lasse ich widerwillig raus. "Ja, vielleicht sie. Aber sie geht mir damit so auf die Nerven. Sie meinte sogar schon, dass ich ihr deine Nummer klären soll. Dabei bist du zwanzig und sie... sie..." Was um alles in der Welt rede ich da? Wo ist mein Kopf und was sitzt mir stattdessen auf den Schultern?

Ich beiße mir auf meine Unterlippe und kaue nervös auf ihr herum. Woher kam das gerade bitte?
"Okay, das klingt... ziemlich interessant?" Ich möchte kaum glauben, dass sein Lächeln nun ehrlich wirkt. Oder das ist hoffnungsloses Denken von mir.
"Oh Gott", stoße ich aus und verdecke mein Gesicht mit meinen Händen. "Lass das am besten unkommentiert, danke. Du hast sicher eine Freundin und Anni ist eh total..."
"Nein, die habe ich ehrlicherweise nicht. Dafür hätte ich gar keine Zeit. Aber wie darf ich das sehen, dass du auf diese Schlussfolgerung kommst?" Sein leises Lachen erinnert mich an einen Bären. An einen lieben Bären, der... Stopp.
Mit jedem weiteren Wort, jedem weiteren Gedanken reite ich mich nur mehr in die Scheiße.
"Bei deiner netten Art hätte ich damit gerechnet. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke, könnte dein grimmiger Gesichtsausdruck eher negativ wirken." Gerettet? Ich glaube nicht mehr an eine Rettung.

"Ich lasse das alles wohl wirklich lieber unkommentiert", beschließt Adrian grinsend. "Dir zuliebe, natürlich. Ich würde das an deiner Stelle schätzen. Ich meine, ich bin doch so ein Miesepeter, da kommt das doch ziemlich überraschend, oder?"
Mir klappt der Mund auf. "Miesepeter?", wiederhole ich und hoffe inständig, dass ich mich verhört habe.
"Kreativer Spitzname. Aber da finde ich grimmiger Igel von mir doch etwas liebevoller."
Wo bleibt das schwarze Loch, welches sich genau in diesem Moment unter mir auftun und mich auf Ewigkeit verschlucken sollte? Wo?
"Nächstes Mal solltest du einfach aufpassen, dass du deine Gedanken nicht flüsterst. Ich habe ziemlich gute Ohren", bemerkt er, als wäre das ein nett gemeinter Hinweis.
"Um Himmels willen", nuschle ich zum Boden gerichtet, während ich die Haltung einnehme, in der ich Adrian vorgefunden habe.

"Denkst du, wir halten das noch eine Woche gemeinsam aus? Wann kommst du eigentlich wieder?", probiere ich, vom Thema abzulenken.
"Der Miesepeter kommt morgen wieder zum Dienst." Ich gucke auf seine Schuhe, die ihren Kurs erneut aufnehmen und die Kreise noch runder machen, wenn das überhaupt noch möglich ist. "Also nach Plan. Wenn bis morgen alles glatt läuft", ergänzt er so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstehe. "Aber zu deiner eigentlichen Frage", redet er mit neuem Elan weiter, als wäre jegliche bedrückte Stimmung aus ihm so schnell verflogen, wie sie gerade gekommen ist, "ich weiß nicht, ob du das mit dem Miesepeter noch eine Woche aushalten wirst. Liegt ganz an dir."
"Wenn das so weitergeht, dann gehe ich mich lieber wieder auf die Intensivstation verlegen. Koste es, was es wolle."

Doch scheinbar habe ich genau mit diesen Worten das nächste Fettnäpfchen betreten.
Über sein Gesicht legt sich ein Schatten, welcher mir beinahe eine Gänsehaut verschafft.
Heute ist so gar nicht mein Tag. Wo finde ich den nächsten Sekundenkleber, mit dem ich mir den Mund zukleben kann?

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt