38 - Rauschende Wellen

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Alex' Sicht

Meine Augen suchen den Behandlungsraum panisch nach Nierenschalen ab.
Auch Phil und Franco werden nervös, als sie sehen, wen ich mitgebracht habe.
"Ähm... Frederik?", frage ich mit erstickter Stimme.
Mit erhobenen Augenbrauen dreht er sich zu mir.
"Wo habt ihr hier Nierenschalen?"
Seine Augenbrauen kratzen am Haaransatz, so irritiert wird er von meiner Frage sein. "Wofür brauchst du die denn?"
"Zur Sicherheit", verharmlose ich und bemühe mich um eine lockere Haltung. Ob die zum Einsatz kommen, kommt ganz darauf an, was Frederik uns nun übermitteln wird.
"Ich hoffe doch mal ganz stark, dass du die nicht brauchen wirst. Obwohl du ehrlich nicht gut aussiehst." Er hält inne und guckt auch Phil und Franco an. "Ihr beide übrigens auch nicht. Aber das ist ja kein Wunder, schätze ich."

Mit den Nierenschalen in griffbereit gehalten, kann Frederik meinetwegen beginnen.
Ich weiß nicht, ob ich das alles hören möchte. Hören kann.
Fines Bild möchte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ihr Gesicht, in dem ich beinahe etwas wie Schmerz erahnen konnte. Ihre Atmung, die ich gerade so sichern konnte. Nicht zum ersten Mal musste ich bei ihr punktieren. Spannungspneumothorax. Nur, weil irgendein Vollidiot genau neben dem Stufenbarren einen Hocker stellen musste, auf dem sie ganz blöd mit den Rippen voraus aufgekommen ist.
Und dann ihr Arm, der beim Aufprall in einem komischen Winkel abgestanden haben muss, damit sie sich den so brechen kann.
Den Rest, den die gebrochenen Rippen angestellt haben, will ich gar nicht sehen müssen.
Man kann wohl auch nicht beschissener von einem Stufenbarren fallen. Aber mit dem Schwung, den sie gehabt haben muss...
Der Gedanke daran, dass sie sich in der Luft noch verzweifelt gedreht haben muss und dennoch nichts verhindern konnte, bringt meinen ganzen Körper zum Zittern.

Pure Wut bringt mich zum Zittern. Wut auf Phil und Franco. Wut auf diese hirnlosen Jugendlichen. Wut auf ihren Trainer, wobei er dafür wohl am wenigsten kann. Beim Versuch, sie noch irgendwie zu greifen, ist er selbst gestürzt und hat sich wahrscheinlich sein Handgelenk verstaucht, wenn nicht sogar gebrochen.
In einer Hinsicht hatte sie vielleicht Glück. Fine hätte sich auch ganz einfach das Genick brechen können. Dann wäre sie womöglich für immer querschnittsgelähmt. Oder gleich tot gewesen.
Und deswegen habe ich an sich noch nie viel von dieser Sportart gehalten. Wie schnell dort etwas passieren kann.

Frederiks Stimme durchdringt meine Gedanken wie ein Donnerschlag.
"Alex?"
Ich zucke zusammen und mahne mich zur Ruhe. "Mh?"
"Du hast mir gerade gar nicht zugehört, oder?"
In meinem Kopf war es zu laut, seine Stimme ist nicht zu mir durchgedrungen.
Ich schüttle langsam meinen Kopf. "Lebt sie?" Mein Blick wandert von Phil zu Franco. Sie sehen zwar aufgelöst aus, jedoch nicht danach, als hätten sie soeben eine einschneidende Nachricht erhalten.
Frederik räuspert sich. "Ja, aber ihre Werte scheinen sehr labil zu sein. Deswegen haben wir sie erneut ins künstliche Koma gelegt, sind aber guter Dinge, dass das ziemlich zügig wieder aufgehoben werden kann. Den inneren Blutverlust mussten wir mit einer Konserve ausgleichen."
"Die Milz?", frage ich, obwohl ich mir eigentlich ziemlich sicher bin.
Frederik nickt. "Die Milz. Aber wir konnten sie retten."

Die Übelkeit ebbt nicht ab. Ich kann mich nicht daran erinnern, mich mal vor Aufregung übergeben zu haben. Außer nach meiner ersten Reanimation, die nicht geglückt ist. Doch jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich das alles zurückhalten kann.
"Alex", Frederiks Hand legt sich auf meine Schulter, "ich muss dir nicht sagen, welche Komplikationen noch auftreten können. Du hast sie gesehen, du hast die erste Versorgung vorgenommen. Die Lunge wird sich wieder erholen. Wir konnten den Arm ordentlich richten und ihre Rippen auch ordentlich zusammenbauen, aber das wird natürlich seine Zeit dauern, bis das wieder alles verheilt ist." Er macht eine Pause, in der er mich besorgt mustert. "Du hast am Einsatzort alles richtig gemacht, nur deswegen hat sie es bis hier geschafft. Ich denke, dass das größte Problem bei Fine sein wird, dass eine massive Angst bleibt, die sie beim Training vielleicht überwinden kann. Oder eben nicht, aber das werden wir dann sehen."
Frederik nickt Phil und Franco nochmal zu, bevor er den Behandlungsraum verlässt.

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt