Vorab: Gestern kam ein Kapitel, für alle, die das noch nicht gesehen haben. Es wurde mal wieder nicht angezeigt.
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"Du lässt das Training heute aber nicht links liegen, oder?", beginnt Anni in der ersten Pause nach einem kurzen Schweigen.
Ich runzle meine Stirn. "Was für ein Training denn?" Allein bei dem Wort Training scheint mich die Nervosität erneut einzuholen. Was da alles passieren kann, möchte ich mir gar nicht ausmalen. Wenn ich den Tag heute überhaupt bis zum Training aushalte.
Von ihr kommt ein lautes Seufzen, welches ich schon in die genervte Kategorie einordnen würde. "Stufenbarren. Wir haben uns dafür gemeldet. Mit drei anderen. Zum intensiven Üben. Also außerhalb der normalen Trainingszeit", erklärt sie abgehackt und klingt ziemlich gereizt. "Fine, dir kann immer was passieren. Guck nicht so, als wäre das Training heute dein Todesurteil. Nur, weil dir heute vor einem Jahr der Spiegel kaputtgegangen ist, heißt das nicht, dass es heute den Knall gibt. Alex hat da echt keine gute Arbeit geleistet."
"Ich muss das mit Papa besprechen", rede ich mich aus der jetzigen Situation und hoffe inständig, dass Papa vielleicht etwas für den heutigen Tag geplant hat.
Bis mir auch diese Hoffnung im nächsten Moment zerspringt. Wie der Spiegel vor einem Jahr in kleinste Teilchen. Papa hat Schicht, da ist nichts mit Planung.
"Mhm, mit Franco, genau. Dass er das alles schon letzten Monat abgesegnet hat, ist dir wohl zwischen deiner inneren Panik entfallen, was? In Wirklichkeit möchtest du mit Alex reden."
Ertappt schaue ich zum Gang, auf dem ein reges Treiben herrscht.
"Ich bin sauer auf dich, wenn du das fallen lässt. Daraus mache ich kein Geheimnis", macht Anni mir klar und steht auf. "Los, lass uns schon zum nächsten Raum gehen."
"Du musst mit den Schuldgefühlen leben, wenn mir was passiert", flüstere ich ebenfalls ziemlich angekratzt. Dass das von mir ungerecht ist, möchte ich nicht einsehen. Keiner könnte etwas dafür, wenn mir was passiert. Also zumindest kann ich das jetzt noch nicht wissen.
Anni überhört meine Aussage wohl für den zwischenmenschlichen Frieden.Die letzten zwei Blöcke verlaufen ohne jeglichen Anflug von Pech. Kein plötzlicher Herzinfarkt, der mir die Luft zum Atmen nimmt. Nicht mal ein ausgelaufener Stift. Dabei habe ich mich darauf eingestellt, heute in allem irgendein Pech zu haben und darin zu ertrinken.
Mein Handy habe ich ohne große Worte wieder.
"Du, ich würde meine Sachen holen und dann zu dir kommen. Damit wir zusammen zum Training gehen, okay?", bestimmt Anni. Eigentlich ist das keine Frage, auf die ich beliebig antworten kann, so wie ihr Ton das angibt. Sie hat einfach Angst, dass ich doch abspringe.
"Mach das", nicke ich ab, während ich konzentriert auf mein Handy starre und sehnlichst warte, dass es komplett an ist. Es ist nicht so, dass ich süchtig bin. Ich möchte einfach sehen, was Papa und Alex mir geschrieben haben.
Alex' Nachricht kommt mir zuerst entgegen.>Ich würde mich nicht in Sicherheit fühlen. Pass trotzdem auf dich auf.<
Ach, wow, wie lehrreich.
"Er macht es aber auch nicht besser", schnaubt Anni, die die Nachricht ebenfalls gelesen hat.
Papas Nachricht, oder besser Nachrichten, beschleunigen mein Herz jedoch.
Angefangen bei der einfachen Erinnerung an mein Training, welches ich nicht ausfallen lassen soll, bis hin zur letzten Nachricht.>Ich hoffe, es ist alles okay bei dir. Ruf mich bitte an, sobald du kannst.<
Ich gucke zu Anni auf.
"Wird nicht so schlimm sein. Na dann, wir sehen uns nachher."
Sie umarmt mich kurz und verschwindet dann.
Mit zitternden Fingern wähle ich sofort Papas Nummer. Und mich beunruhigt noch mehr, dass er direkt abhebt.
"Papa? Was ist?"
"Alles okay bei dir?", fragt er, statt auf meine Frage einzugehen.
"Ja, was sollte sein. Warum soll ich dich anrufen?"
Papa holt Luft, während ich Alex im Hintergrund leise Es kann vieles sein murmeln höre.
"Hör zu", beginnt Papa. "Wundere dich nicht, dass Toni nicht zu Hause ist. Er hatte einen kleinen Unfall, aber..."
"Was? Wie geht es ihm?", falle ich Papa ins Wort. Ich bleibe mitten auf dem Weg stehen, fühle mich unfähig, weiterzugehen, solang Papa mir nicht antwortet. Toni kann keinen Unfall gehabt haben.
"Fine, alles gut. Ihm geht es den Umständen entsprechend. Bitte geh nachher einfach zum Training und denk nicht daran, okay? Wirklich, alles gut. Er ist in der Klinik und wird überwacht."
Überwacht. Das Wort hallt in meinem plötzlich leergefegten Kopf nach. Überwacht klingt alles andere als beruhigend.
"Ich würde nicht zum Training gehen", höre ich erneut Alex im Hintergrund.
"Halt deinen Mund", brummt Papa genervt, "heute ist ein Tag wie jeder andere."
Ich atme tief durch und muss mich kurz sammeln. "Du hörst dich nicht überzeugt an, was Toni angeht", sage ich schließlich. Fest entschlossen, dass das mit ihm noch lange nicht in trockenen Tüchern ist.
"Wirklich, mach dir keine Sorgen. Es... es ist alles okay." Ein lautes Piepsen durchschneidet seine Stimme. "Du, ich muss zum Einsatz. Bis dann, hab dich lieb."
Aufgelegt.
Ich starre noch kurz ungläubig auf mein Handy, auf dem Papas Anruf verschwindet.
Mit der beständigen Angst im Nacken mache ich mich auf den restlichen Weg nach Hause.
Was ist, wenn mein Pech heute auf andere übertragen wird?
Ich schüttle meinen Kopf über diesen Gedanken. Schwachsinn.
Lieber würde ich wissen, was Toni passiert ist.
In mir steigt eine Übelkeit auf, die mich immer in Momenten Ungewissheit kitzeln muss. Was passiert hier?
Am liebsten würde ich mich zu Hause ins Bett schmeißen und liegen bleiben. Zu groß ist die Angst vor dem restlichen Tag.
Verzweifelt wünsche ich mir einen Schalter herbei, der einfach den Tag vorspult. Doch das ist lächerliches Wunschdenken."Du bist heute ziemlich verspannt", stellt Marc fest, der neben dem Stufenbarren steht und mich aufmerksam beobachtet.
"Gut möglich", ich zucke mit den Schultern, "ich gehe kurz was trinken." Seufzend mache ich mich auf den Weg durch die Halle, spüre Annis Blick in meinem Rücken, ignoriere ihn und stoße die Tür auf.
Vor lauter Verzweiflung öffne ich auch die Tür nach draußen, um kurz frische Luft zu tanken. Vielleicht bringt mich das etwas weiter.
Die Luft schlägt mir kühl entgegen und verpasst mir eine Gänsehaut.
Im Schein der Laternen, die jetzt schon ihre Arbeit leisten, auch wenn es erst um sechs ist, sehe ich eine Gruppe jugendlicher Jungs, die laut und ausgelassen feiern. Um diese Uhrzeit. Es kann sich nur um Dreizehnjährige handeln, die sich cool fühlen.Tief durchatmend stoße ich mich nach nicht mal einer Minute wieder von der Tür ab und gehe zurück in sie Halle, ohne etwas zu trinken.
Mir ist kalt, was bei den Temperaturen draußen kein Wunder ist.
Anni dreht gerade ihre Runden am Stufenbarren. Sieht gut aus. Sie ist darin schon besser geübt als ich.Nervös steuere ich auf den Behälter mit Magnesium zu. Mein Blick ist starr auf das weiße Pulver gerichtet, während ich meine Hände damit einreibe.
Mein Fuß wippt auf dem Boden, ich kann es nicht unterbinden. Es ist, als würde ich dadurch probieren, meinen Körper zu entladen. Wirklichen Erfolg bringt das nicht, doch es lenkt mich in gewissem Maße ab. Dazu wiederhole ich den einfachen Bewegungsablauf der Übung. Nichts, was ich nicht beherrsche. Kein Hexenwerk mehr. Marc steht daneben und passt auf.
Meine Bemühungen, mich allein und still zu beruhigen, verlaufen in schwarzer Leere, die mich von innen beherrscht."Fine?"
Ich zucke und gucke zu Marc. Meine Gedanken waren gerade bei Toni. Paula konnte ich zu Hause nicht finden, und Antworten bekam ich auf keine einzige Nachricht. Egal, wen ich angeschrieben habe. "Mh?"
"Du bist dran. Und diesmal bitte Körperspannung, ja, aber verkrampf dich nicht so. Du weiß doch, wie das geht."
Ich nicke, doch mit der Angst im Kopf, von dem Holmen fliegen und blöd aufkommen zu können, ist das alles nicht so leicht. Ich bin doch sonst nicht so ängstlich.
Voller Konzentration komme ich mit Leichtigkeit auf den niedrigeren Holmen, stelle mich rauf und springe an den höheren.
"Und jetzt ganz ruhig. Ran, hoch, drehen, Schwung", sagt Marc neben mir.
Ich nicke. Mit einem Schwung bin ich oben und stehe im Handstand. Ich spüre seine Hand im Rücken, die mich in eine ordentliche Haltung drückt.
Das Prozedere ist leicht, doch die Blockade in meinem Kopf lässt alles unmöglich wirken.
Meine Hände verkrampfen sich, klammern sich verzweifelt an den Holmen, als würde er mich vor dem Ertrinken retten. Trotz des Magnesiums an meinen Händen habe ich das Gefühl, jeden Moment abzurutschen.
Marcs folgende Worte gehen in meinen Gedanken, die mich anschreien, unter. Es ist, als würden sie mich warnen wollen. Warnen vor der kommenden Runde.
Ich kneife meine Augen zusammen, spüre, dass meine Arme gleich zittern, wenn ich mich nicht langsam fallen lasse.
"Und jetzt nach vorn... genau."
Marcs Worte geben mir den nötigen Stoß, denn mein Körper hat sich gegen seine Hand gesträubt.Doch in der nächsten Sekunde bringt ein ohrenbetäubender Knall die Halle praktisch zum Beben. Und auch mich scheint der Knall zu erschüttern. Erschrocken lasse ich los. Die ganz falsche Handlung.
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...