4 - Geschenkt

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Der Wechsel funktioniert reibungslos und ich lasse vom Mann ab. Ein Stückchen weiter sinke ich jedoch zu Boden. Meine Kräfte sind irgendwo im Nirgendwo.

"Hey, alles gut bei dir?" Jemand hat sich neben mich gesetzt. Ein angenehmer Parfumgeruch umhüllt diese Person. Der andere Ersthelfer.
"Ja, bin nur völlig fertig", erwidere ich. "Hast du aber wirklich gut gemacht. Woher kannst du das?" Ich gucke dem Jungen ins Gesicht, um mir nicht die weitere Wiederbelebung anzugucken. Am liebsten würde ich hier jetzt einfach verschwinden, aber dazu fehlt mir gerade noch die Kraft.

"Hab schon mehrere Erste-Hilfe-Kurse mitgemacht. Finde das wirklich wichtig", sagt er.
Ich nicke. "Und wie wichtig das ist. Sieht man ja. Wirklich danke für deine Hilfe."
"Das ist selbstverständlich."

Ein weiteres Team kommt angerannt. Ich blicke auf. Die RTW-Besatzung ist da. Es handelt sich um Jacky und Flo, die sich sofort zu Papa und Phil hocken. Natürlich sind mal wieder alle vertreten, wie soll es auch anders kommen?

In den nächsten Minuten stehe ich total neben mir. In meinem Kopf kreisen Gedanken, die ich keinem wünsche. Schon jetzt beginnen Vorwürfe mir gegenüber, falls der Mann das nicht schaffen sollte. Das wäre doch dann meine Schuld.
Mein Mund wird immer trockener, bis ich irgendwann auch noch husten muss.
"Alles okay bei dir?", werde ich sofort von dem Jungen gefragt. Auch Papas Blick hat reflexartig zu mir geschielt, aber er hat gerade alle Hände voll zu tun.
"Ja, mein Hals ist nur etwas trocken", winke ich ab. Immerhin musste ich nur kurz husten, unmittelbar vor uns wird einer wiederbelebt.
Die Mitarbeiterin, die das Rettungsteam zu uns gebracht hat, steht auch noch immer erschrocken in der Nähe herum, hat das gehört und bringt mir kurzerhand eine Flasche Wasser.

"Stopp kurz, Analyse", höre ich Phil sagen. Sein angestrengter Blick ist auf den Monitor gerichtet. "Okay, Schock", gibt er dann an die anderen weiter.
Und kurz darauf kommen die schönsten Worte, die ich gerade wohl hören könnte: "Wir haben ihn wieder."
Phil wischt sich den Schweiß von der Stirn, so wie alle anderen. Und das im tiefen Winter.

Es folgen noch ein paar Medikamente,  Jacky holt die Trage und er wird in den RTW gebracht.
Papa und Phil kommen auf uns zu.
"Er scheint jetzt stabil zu sein. Wenn ihr nicht geholfen hättet", Phil kniet sich zu mir runter, "hätte er keine Chance gehabt. Mit euch alles gut?" Seine Stirn liegt in leichten Sorgenfalten, während er an mein Handgelenk greift.
"Bin nur völlig geplättet", gebe ich leise von mir.
"Und ihr habt auch beatmet?", fragt Papa, sein Gesicht strahlt puren Stolz aus.
Ich werfe ihm einen komischen Blick zu. "Natürlich. Ich weiß, ihr meint immer, lieber nur drücken statt gar nichts, aber wir waren ja zu zweit. Da habe ich nicht lang gezögert."
Eine Augenbraue des Jungen wandert langsam nach oben.
"Wie der Vater so die Tochter", sagt Phil und grinst erst Papa, dann mich an.
Die zweite Augenbraue des Jungen folgt der anderen gen Haaransatz.
Ich muss schmunzeln.

"Soll Franco dich mitnehmen? Ich würde dich ungern jetzt allein nach Hause fahren lassen. Du bist ziemlich blass. Und schnell unterwegs dazu", wird Phil wieder ernster.
Ich zucke schwach mit den Schultern. "Da sind noch Bilder, die ich bezahlen muss. Hab ich doch für Anni ausgedruckt."
Phil steht auf. "Na ja, könnt ihr ja noch kurz besprechen, ich muss los. Du hast uns angemeldet?"
Papa nickt. "Klinik am Südring."
"Gut, bis gleich. Und dich will ich eigentlich auch lieber sehen, Fine." Damit dreht er sich um und verschwindet schnellen Schrittes nach draußen.
Ja ja, mich wollen sie alle sehen.

Der namenslose Junge, der mir noch immer entfernt bekannt vorkommt, steht nun auch langsam auf, was ich ihm am liebsten nachmachen würde, aber ich kann nicht. Meine Beine zittern vor Aufregung, die leichte Übelkeit, die natürlich durch diese nervenaufreibende Aktion ausgelöst werden musste, macht das alles nicht gerade besser.
"Papa, könntest du mir bitte helfen?", reiße ich ihn aus seinen Gedanken, wo auch immer die waren.
"Natürlich."
Er zieht mich auf die Beine.
"Wirklich vielen Dank, dass du auch geholfen hast. Du hast meinen größten Respekt", bedankt sich Papa dann erneut bei dem Jungen, während ich etwas mit meinem Kreislauf zu kämpfen habe.

Mein Körper fühlt sich unnatürlich schwer an, wäre beinahe wieder unkontrolliert weggesackt, hätte einer hier heute nicht schon zum zweiten Mal seine Reflexe spielen lassen.
Schon wieder habe ich zwei Hände an meinen Oberarmen, die mich fest im Griff haben.
"Okay Fine, keine Widerrede, du kommst mit mir mit", bestimmt Papa vollkommen überzeugt.
"Mhm", brumme ich nur. "Aber die Bilder."
"Pass auf, ich gehe sie schnell bezahlen. Sie können mit ihr schon nach draußen gehen, ich bringe ihr die Bilder", kommt es überraschend spontan vom Jungen.
"Vielen Dank, das ist lieb", sagt Papa und übernimmt mich. "Was ist denn los mit dir?" Eine Hand wandert schon wie gewohnt zu einem meiner Handgelenke.
"Weiß nicht. Ich fühle mich einfach ausgelaugt."
Papa seufzt und stützt mich Richtung Ausgang. "Ist ja physisch und psychisch nicht leicht. Mit ein bisschen Ruhe wird das bestimmt wieder."

Er parkt mich auf dem Beifahrersitz des NEFs und bleibt noch vor geöffneter Tür stehen, bis der mysteriöse Junge nach kurzer Zeit nach draußen kommt. In seiner Hand dieser typische Umschlag, in dem man die Fotos kauft.
"Hier sind deine Bilder." Er zwinkert mir zu und reicht sie mir ins Auto.
Papa holt gerade sein Portemonnaie raus, um ihm das Geld wiederzugeben, doch da ist der Typ schon verschwunden.
Papa zuckt mit den Schultern, nachdem seine Rufe ignoriert wurden. "Mh, vielleicht hat er es eilig."
Kann ich Anni ja sagen, dass die Hälfte ihres Weihnachtsgeschenkes von einem dahergelaufenen Typen bezahlt wurde.

Phil steht bereits wartend vor der Klinik, als wir mit dem NEF vorfahren.
Die Beifahrertür wird von ihm geöffnet. "So junges Fräulein, was machen wir jetzt mit dir?"
"Ich sollte vielleicht einfach mal wieder was essen", ziehe ich in Erwägung. Und meine es vollkommen ernst. Mein Bauch hört und fühlt sich an wie ein kampfbereiter Hund.

Phil scheint kurz zu überlegen. "Gut, wir nehmen dich mit zur Wache, wo du was essen und dich hinlegen kannst. Wenn mit dir noch was sein sollte, hast du ja das richtige Personal da. Solange wir nicht alle auf einmal im Einsatz sind." Phil schlägt die Tür zu und steigt hinten ein.
"Ach, wie geht es dem Mann eigentlich?", frage ich etwas ängstlich bei Phil nach.
"Er ist stabil, sieht wirklich gut aus. Und das nur dank eurer Hilfe, das habt ihr wirklich super gemacht."
Ein Gefühl von Zufriedenheit durchströmt mich augenblicklich und setzt eine Welle an Wärme aus. Ich habe womöglich ein Menschenleben gerettet.

Und so finde ich mich wenig später mit Papas Mittagessen auf der Wache wieder. Ich merke sofort, dass ich das Essen wirklich nötig hatte.
Nachdem ich alles brav aufgegessen habe, Phil hat das genauestens kontrolliert, habe ich mich in einen Ruheraum zurückgezogen, wo ich mir die Bilder in Ruhe und gemütlich auf dem Bett angucken will.
Doch mit den Bildern, die ich aus dem Umschlag nehme, segelt ein kleines Stück Papier mit raus. Es ist weiß, zumindest die eine Seite.
Verwundert lege ich die Bilder beiseite und nehme das Papier hoch. Auf der Rückseite steht tatsächlich etwas. Eine Handynummer. Darunter:

Falls du dich bedanken möchtest, weil ich dir die Bilder gekauft habe. Simon ;)

Ein paar Sekunden starre ich verwirrt auf den Zettel, lese mir immer wieder diesen Satz durch. Simon also.
Ich lege den Zettel auf den kleinen Nachttisch und gucke dann die Bilder durch. Jedoch bin ich irgendwie verwirrt.

"Fine, hey, aufwachen."
Phil, nein, ich... das passt nicht zum Traum.
"Mhm", murre ich und drehe mich auf die andere Seite. Da muss ich wohl eingeschlafen sein.
"Hallo, Franco und ich haben Feierabend, wir würden gern nach Hause", lacht Phil und kneift mir in den Arm.
"Aua!", brumme ich und setze mich langsam auf. "Sind Reanimationen immer so anstrengend?"
Phil schmunzelt. "Du hast das noch nie gemacht, das war auch emotional eine total neue Erfahrung. Es ist normal, dass du dich so platt fühlst."
Er dreht sich zum Nachttisch, um die Bilder wieder in den Umschlag zu machen. Doch er entdeckt auch den Zettel. Seine Stirn legt sich in Falten, während er den Schnipsel zwischen seine Finger nimmt und interessiert dreht. "Simon? Wer ist Simon?"
Ich reiße ihm automatisch den Zettel aus der Hand. "Äh ... Dieser Typ, der mit mir reanimiert hat."
"Ach so, Franco hat schon gesagt, dass er deine Bilder bezahlt hat." Seine Mundwinkel zucken nach oben.
Was der schon wieder für Gedanken haben muss.

Paula ist schon zu Hause, als wir kommen. Sie erzählt mir, dass der Mann weiterhin stabil blieb und bis jetzt alles danach aussieht, dass er es schafft. Sie hatte ihn in der Klinik aufgenommen.
Mir wird von allen noch etliche Male beim Abendbrot gesagt, wie stolz sie auf mich sind und wie super ich das gemacht habe. Meine Gedanken sind jedoch bei diesem Zettel, sodass ich gar nicht wirklich hinhöre.
Ich sollte mich bei Simon bedanken. Und vor allem herausfinden, wo ich ihn schon mal gesehen habe. Mache ich gleich nach dem Essen.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt