41 - Kunstvoller Abgang

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Alex' Anblick verwundert mich. Er hat Dienstkleidung an. Aber hatte Papa gestern nicht gesagt, dass er Dienst hat?
"Bist du über meinen Besuch so überrascht?", fragt er lachend und setzt sich auf einen Stuhl.
"Papa meinte gestern Abend, dass du Dienst hast und deswegen nicht mitkommen konntest", erwidere ich.
Seine Mundwinkel rutschen ab. "Schön, dass er das so gesehen hat. Ich war zu Hause, nicht arbeiten."
Und spätestens dieser Satz beweist mir, dass es zu Hause ziemlich gekracht haben muss. Und es wohl immer noch tut.

Meine rechte Hand fährt unruhig über das Bettlaken. Ich bin ja wohl der einzige Grund, der das alles ausgelöst haben kann.
Alex räuspert sich. "Ich hoffe, dass mein Melder jetzt mal eine Weile still ist. Wie geht es dir?"
Ich lege meinen Kopf etwas schief, schaffe es jedoch nicht, Alex direkt anzugucken. "Bis eben ging es mir eigentlich ganz okay."
"Bis eben?"
"Bis eben", bestätige ich. "Was ist zu Hause los? Warum habt ihr euch so in den Haaren, dass du morgens in deinem Dienst zu Besuch kommst, statt Phil und Papa abends zu begleiten?"
"Nicht so wichtig", wehrt er ab. Denkt er ehrlich, dass ich jetzt locker lassen würde?
Und dieses nicht so wichtig hätte er sich auch klemmen können. Deswegen sieht er auch so fertig aus. Deswegen möchte er dem Thema umgehen. Deswegen wurde er sofort nervös, als ich Papas Lüge aufgedeckt habe. Und überhaupt - warum lügt Papa mich an? Anstatt er einfach die Wahrheit sagt.

Ich hole tief Luft, was ich sofort bereue. Meine Rippen mögen das noch immer nicht so wirklich.
"Ich bin der Auslöser, oder?"
Alex weitet seine Augen. "Nein, bist du nicht. Warum solltest du?"
"Du weißt das wohl am besten. Hätte ich einfach auf dich gehört, wären euch sehr viele Sorgen erspart geblieben."
Sein Kopf schüttelt sich, doch das kommt mir eher wie gesteuert vor. Gesteuert von sämtlichen Stimmen in seinem Kopf, die mir keine Schuld geben wollen. Er will mir keine Schuld geben. Keiner will das, doch mein Gewissen bleibt trotzdem und unterdrückt jegliche Versuche, das zu leugnen.
"Es ist nur so..." Nervös fährt Alex sich durch die Haare. "Wir haben sehr viel diskutiert. Dabei hat jeder Sachen im Affekt gesagt, die nicht richtig waren. Eigentlich verhalten wir uns wie..." Er verstummt, während eine leichte Röte sein Gesicht erobert und mich anstrahlt. "Wie pubertierende Teenager", stellt er leise fest.

"Also du gegen Papa und Phil", vermute ich nach einer Weile, in der ich nachgedacht habe. Oder zumindest den Versuch in die Hand genommen habe. "Du wolltest mich ja durchgängig abhalten."
Seine Hände fallen auf seine Oberschenkel, sein Seufzen kratzt am Rande der Verzweiflung. "Ich mache mir eigene Vorwürfe. Ich hätte dich vielleicht abhalten können, ich hätte mehr mit den anderen reden sollen, ich hätte..."
"Alex", unterbreche ich ihn scharf. "Du hättest. Ich hätte. Papa und Phil hätten. Wir hätten alle, okay? Ich hätte auf dich hören können. Papa und Phil hätten sich von dir beeinflussen lassen können. Wir haben das nicht gemacht. Wir hätten das aber nicht wissen können, verstehst du? Keiner kann etwas dafür, und am ehesten bin ich wohl diejenige, die es bis hierhin gebracht hat."
Alex vergräbt seine Hände umständlich in den Hosentaschen. "Nein. Ich hätte mehr machen können. Immerhin hatte ich das geahnt und..."
Wieder unterbreche ich ihn. Ich kann nicht hören, wie er sich insgeheim die Schuld gibt. Denn wenn hier einer erstrecht keine Schuld trägt, dann ist das Alex. Mit ganz großem Abstand. "Ich liege hier, kann mit dir reden und kann aufstehen. Auch wenn letzteres ziemlich wackelig ist. Grob gesagt bin ich mit einem blauen Auge davongekommen", gebe ich ihm zu verstehen, obwohl er das wohl eher weniger gedanklich umsetzen wird.
Doch er bleibt still und erwidert nichts mehr.

"Sag mir lieber, auf wessen Seite Paula ist, bevor du weiter in deinen Schuldgefühlen versinkst und ich dich schlussendlich gar nicht mehr retten kann", greife ich das Gespräch nach wenigen Minuten wieder auf.
"Nein", jammert er unerwartet und kneift seine Augen zusammen. Überrascht gucke ich ihn an.
"Du musst immer aufs schlimme, oder?" Er verzieht gequält sein Gesicht.
Mein Herz stolpert. "Ist etwas mit dem Baby?"
"Um Himmels willen, nein", verscheucht er diesen äußerst schrecklichen Gedanken wieder. "Aber diese ganzen Streitereien haben die Beziehung zwischen Phil und Paula ziemlich krieseln lassen."
Ich hebe meine Augenbrauen. Bitte? "Wie darf ich mir das vorstellen?"
"Phils neues Bett ist seit zwei Tagen die Couch."
"Sag ihm bitte, dass er auch in meinem Bett schlafen kann", schiebe ich ein, obwohl Alex gerade weiterreden wollte.
Er nickt. "Mach ich. Na ja, jedenfalls fordert Paula von Phil, dass er sich bei mir entschuldigt. Sie steht auf keiner Seite und hält sich mit Toni zusammen aus dieser Angelegenheit raus, doch sie ist wohl ziemlich erschrocken darüber, was wir uns so an die Köpfe geworfen haben."
Wow. Damit hätte ich jetzt am wenigsten gerechnet.
Im Grunde entspringt dieser Streit bei mir. Auch wenn ich weiß, dass ich nichts dafür kann, fühle ich mich wie das schwarze Schaf in dieser Angelegenheit. Der machtlose Auslöser.
"Das wird wieder", ergänzt Alex zuversichtlich. "Denkst du ehrlich, dass Phil und Paula lange die Hände voneinander lassen können?"
An dieser Stelle würde ich gern mit den Schultern zucken, doch mein linker Arm macht mir da einen Strich durch die Rechnung.
"Ich würde da eher ein großes Problem zwischen deinem Vater und mir sehen", gibt er zu.
In mir bahnen sich gemischte Gefühle an. Das kann ja noch heiter werden.

Mein Kopf schwirrt vor diesen Informationen. Ich bin Alex dankbar, dass er mir das erzählt hat, doch damit hat er auch ein großes Loch eröffnet. Pechschwarz, die Tiefe ist ungewiss. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie sich schnell wieder zusammenraffen können.
Ich überlege krampfhaft, wie ich vermitteln könnte, doch nichts außer ein sinnloses Knäul voller Schwachsinn braut sich in meinem Kopf an.

Alex' Stimme lässt mich beinahe zucken, so unerwartet ergreift er wieder das Wort. "Wie vertreibst du dir eigentlich die Zeit hier?"
Ich greife nach rechts zum Nachttisch, auf dem mein Buch liegt, gucke dabei jedoch zu Alex. "Paula hat mir ge-" Meine Stimme wird vom Klirren verschluckt.
Alex und ich zucken synchron zusammen, was mich aufkeuchen lässt. Diese unvorhersehbaren und ruckartigen Bewegungen erinnern mich immer wieder daran, weshalb ich im Krankenhaus liege.
"Ein komischer Zeitvertreib", stellt Alex schmunzelnd fest und steht auf, um auf die andere Seite des Bettes zu gehen. "Wird auf Dauer teuer, wenn du immer wieder Gläser auf den Boden wirfst."
"Aber besser als Spiegel, oder?"
Alex grinst mich an. "Besser als Spiegel, auf jeden Fall. Ich hole mal schnell was zum Auffegen."
Die Tür ist nicht mal hinter ihm geschlossen, da schreit sein Melder plötzlich los. "Oder eher jemanden, der das macht. Machs gut, wir sehen uns." Er lächelt mich ein letztes Mal an, ehe er davon ist.

Ein paar Minuten später öffnet sich die Tür. Und ich kann mir ein leises Aufstöhnen nicht verkneifen.
"Wo liegt das Glas?", fragt Adrian in bester Laune.
Ich deute nach rechts. "Sorry", entschuldige ich mich kleinlaut.
"Der Azubi ist dafür doch immer gut", schnaubt er genervt, während er die Scherben beseitigt. Vielleicht kann man von Glück reden, dass das Glas immerhin leer war. "Dir werde ich ab jetzt wohl nur noch Becher geben."
"Zum Glück haben wir nicht mehr lange das Vergnügen miteinander", rutscht es mir heraus. Ich schnappe nach Luft. Eigentlich kenne ich ihn nicht mal, aber er ist mir trotzdem unsympathisch.
Er erwidert nichts mehr, fegt klimpernd die Scherben auf und steht auf.

"Eine Frage hätte ich noch", ringe ich mich doch dazu ab.
Mit erhobener Augenbraue guckt er mich abwartend an. Dass sein Fuß ungeduldig auf dem Boden wippt, ignoriere ich so gut es geht.
"Wenn ich auf Toilette muss, soll ich dann klingeln?" Ausgesprochen klingt die Frage im Nachhinein so offensichtlich dämlich, dass ich sie am liebsten zurückziehen würde.
Verwundert guckt er mich an, doch nicht mal über meine Dämlichkeit können seine Mundwinkel zucken.

"Kannst du aufstehen und das machen? Ist ja schon... selten auf Intensivstationen?"
Ich hebe eine Augenbraue. "Morgen soll ich vielleicht schon verlegt werden. Ich konnte das mit Hilfe bis jetzt machen, ja." Langsam wird mir das hier wieder unangenehm.
Er mustert mich kurz prüfend, scheint jedoch auch etwas verwirrt zu sein. "Dann willst du mir erzählen, dass du das nicht alleine schaffst?"
Ich öffne meinen Mund, doch irgendwie wandert jedes Wort meinen Hals bergab. Der muss doch wissen, weshalb ich hier liege. Aus Spaß an der Freude jedenfalls nicht.
Brummend wendet er sich ab, nachdem meine Antwort wohl zu lange dauert. Ich bezweifle auch, dass ich noch irgendein Wort über meine Lippen bringen könnte.
"Tu was du nicht lassen kannst, wir sind immer für dich da", murmelt er eine Spur spöttisch, bevor er die Tür ins Schloss zieht.

Dann schaffe ich das wohl wirklich allein, wenn der Herr das meint. Er muss es ja besser wissen.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt