42 - Das eine Lächeln

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Oder auch nicht.

Meine Augen brennen verräterisch, während ich schmerzerfüllt nach Luft schnappe.
Mein Arm fühlt sich an, als wäre ein Riese darauf herumgesprungen, von meinen Rippen will ich erst gar nicht reden. Sie machen jeden Atemzug zu einer Höllenfahrt.
Merke: Mein Kreislauf hat noch nicht ganz so viel Lust.

In meinem Kopf gehen mir die verschiedenen Möglichkeiten durch, die mir jetzt bleiben. Auf den kalten Fliesen im Badezimmer liegen zu bleiben klingt von diesen Möglichkeiten wohl am wenigsten verlockend, doch mit eigener Kraft schaffe ich es nicht mehr, mich irgendwie auf die Beine zu stellen. Bei jeder kleinsten Bewegung keifen meine Rippen auf, mein linker Arm ist komplett nutzlos.
Also liegenbleiben und hoffen, dass so bald wie möglich irgendjemand etwas von mir möchte?
Klingt auch nicht nach Urlaub im vier Sterne Hotel, aber besser als der direkte Höllentripp durch meine Rippen.

Ich kann überhaupt nicht schätzen, wie viel Zeit vergeht, bis ich die Zimmertür höre, die sich öffnet.
Die Schritte enden abrupt. "Josefine?"
Ich hole Luft, verziehe jedoch mein Gesicht und spüre die ersten Tränen, die unter dem Brennen hervortreten. Ich weiß nicht, ob ich jetzt zum Sprechen in der Lage bin.
"Josefine?" Nochmal.
Soll ich mich unter dem Bett versteckt haben oder was?

Als sich die Schritte auch noch mir nähern, springt mein Herz vor Freude in die Luft. Schmerzmittel wären gerade wie der Himmel auf Erden. Wohl das einzige Mittel, welches mich aus der momentanen Rundfahrt durch die Hölle retten könnte.
Langsam öffnet sich die Tür vor meinen Augen. Nur Stück für Stück. Ich sehe Adrian früher, als er mich sieht.
Sein Blick gleitet grob durch das kleine Badezimmer, ehe er auf den Boden fällt. Er reißt seine Augen auf. "Ach du Scheiße", murmelt er und kniet sich sofort zu mir.
Ach du Scheiße. Was du nicht sagst.
"Kommst du nicht mehr allein hoch?"
Ha. Ha. Ha. Ob er mich lachen hört? Würde ich allein hochkommen, dann würde ich wohl schon lange wieder in meinem Bett liegen. Oder legt er sich manchmal aus Spaß auf die Badezimmerfliesen? Man weiß ja nie.

Ein schwaches Kopfschütteln bringe ich zustande, bis der nächste Atemzug an der Reihe ist und mich die nächsten Tränen kostet.
"Was ist denn passiert?", fragt er, während er mir behutsam unter die Arme greift.
"Au", jaule ich auf, beiße im nächsten Moment jedoch meine Zähne zusammen. Vor ihm kann ich mich nicht so zeigen, als würde ich nichts aushalten.
"Ich weiß, es wird jetzt Schmerzen geben, aber du hast es gleich geschafft", sagt er beruhigend, mit einer Stimme, die ich von ihm nie erwartet hätte, während er mich langsam auf die Beine zieht.
"Mein Kreislauf", flüstere ich knapp unter diesen Schmerzen. "Aber Sie sagen ja, dass ich das allein kann." Ich komme nicht drumherum, das zu sagen. Da nehme ich auch eher die Schmerzen in kauf, als mir diesen Satz zu verkneifen.
Seine Arme zucken unter mir, doch er erwidert darauf nichts. "Schaffst du es, bis zum Bett zu gehen? Nur ganz vorsichtig, kleine Schritte."
Mir entweicht ein gequältes Geräusch, welches meiner Meinung nach als Zustimmung durchgehen könnte.
"Komm, wir probieren es. Du schaffst das schon", spricht er mir gut zu, ehe er langsam losläuft, mich fest im Griff. "Danach bekommst du sofort etwas gegen deine Schmerzen."
Da könnte mir glatt das Wasser im Mund zusammenlaufen, so verlockend klingt das.

Wir sind nicht mal wirklich vom Fleck gekommen, als die Tür zum Zimmer erneut aufgeht. "Fine?", kommt es sofort panisch aus dem Raum.
"Phil", zische ich. Das hat mir ja gerade noch gefehlt.
"Wir sind gleich da", ruft Adrian, während wir kleine Schritte vorwärts gehen.
"Gleich", äffe ich ihm nach. "Mhm."
Und dann höre ich hinter mir eine Art lachen. Schwach und zurückhaltend, aber es hört sich tatsächlich an wie ein Lachen.
Zu schade, dass ich das nicht sehen konnte.

Phil taucht vor meinen Augen auf, der zischend Luft holt, als er mich ebenfalls sieht. "Was ist denn mit dir passiert?", fragt er aufgeregt.
"Sie war wohl auf Toilette und hatte dann Kreislaufprobleme. Wirklich viel kam von ihr noch nicht", erklärt Adrian und bringt mich meinem ersehnten Ziel immer näher.
"Könnten Sie einen Arzt holen? Sie kommen doch aus der Notaufnahme, oder?"
Ich gucke an Phil herunter, der in Arztkittel im Zimmer steht.
"Ja, Notaufnahme. Bin schon unterwegs", bestätigt Phil.
"Woher kennst du ihn eigentlich? Immerhin saßen hier ja ein Haufen Ärzte während der Zeit an deinem Bett. Und deinen Vater habe ich auch mal als Sanitäter gesehen."
"Da haben Sie das doch", presse ich hervor. "Mein Vater. Wir wohnen alle zusammen."
"Das klingt ja ziemlich interessant", gibt Adrian von sich. Und es hört sich ehrlich an. Bekommt er vielleicht Schuldgefühle, weil er mich auf die Idee gebracht hat, mich allein auf Toilette zu begeben?

"Müsste gleich besser werden. Aber um ein Röntgen kommst du nicht." Charlotte reicht die leere Spritze an Adrian weiter.
Phils Stirn liegt mal wieder in besorgten Falten. "Warum hast du nicht geklingelt und bist mit Hilfe auf Toilette gegangen?"
Ich gucke zu Adrian, dessen Gesicht binnen Sekunden rot wird.
"Weil ich dachte, dass ich das schon allein kann. Ich wollte nicht mehr auf Hilfe bei jeder Kleinigkeit angewiesen sein", entscheide ich mich für die Variante, die Adrian schonend umgeht. Auch wenn das eine halbe Lüge war. Oder eben die halbe Wahrheit, denn der alleinige Toilettengang kommt mir schon ziemlich ansprechend vor.
Adrians Mund klappt auf, doch er behält seine Gedanken für sich. Wäre auch zu blöd von ihm, wenn er mir jetzt widersprechen würde.
Charlotte seufzt. "Nächstes Mal holst du dir Hilfe, okay?"
Phil nickt sofort, doch beide lächeln mich an.
"Adrian, bringst du sie zum Röntgen?", wendet sich Charlotte an ihn.
Er nickt knapp und macht sich auf den Weg, einen Rollstuhl zu holen.
"Dann war mein Besuch wohl von sehr kurzer Dauer", stellt Phil fest. "Ich probiere, nachher nochmal vorbeizuschauen. Wenn nicht, dann spätestens nach meinem Dienst, okay?"
Ich nicke. "Kein Stress, alles mit der Ruhe." Diese Erleichterung, dass das Schmerzmittel wirkt, hebt meine Laune um Etagen an.

Ich würde eher sagen, dass Charlotte mir ein Wundermittel verabreicht hat, denn ich komme leichter in den Rollstuhl, als ich gedacht hätte.
Bevor Adrian jedoch wirklich etwas macht, guckt er mich kurz an. Es liegt beinahe etwas wie Verlegenheit in seinem Blick. "Danke, dass du mich nicht im Zusammenhang mit deinem Sturz erwähnt hast", murmelt er. "Es tut mir wirklich leid. Hätte ich nicht so blöd auf deine Frage reagiert, wäre das wohl gar nicht passiert." Nervös fährt er sich durch seine braunen Haare, die nicht mehr ganz so perfekt liegen, wie sie es heute Morgen noch getan haben.
Ich seufze. "Von Ihnen kann man wohl keine ordentlichen Antworten erwarten."
"Oha, das ist aber sehr lieb", kommt es ironisch zurück. Doch ich glaube meinen Augen kaum. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem zurückhaltenden Lächeln, welches schnell hinter meinem Rücken verschwindet, bevor ich noch länger ungläubig starren könnte.

Schweigend schiebt er mich über den Gang.
Ich wüsste nicht, was ich sagen soll, und auch Adrian scheint das wohl unangenehm zu sein, dass ich seinen Arsch gerettet habe, obwohl er so ein Idiot war.
"Du kannst mich übrigens duzen. Ich bin gerade mal knappe drei Jahre älter als du", bricht er unerwartet das Schweigen.
"Woher wissen Sie... weißt du das denn?"
Wieder dieses leichte Lachen, welches ich vorhin von ihm schon gehört habe. "Weil ich ein Hellseher bin."
Okay, meine Frage war vielleicht wieder durchaus dumm.
Aber jetzt hoffe ich erst mal, dass nichts bei diesem Sturz passiert ist.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt