"Femur, tibia und fibula", murmelt Toni, ehe er sich durch die Haare fährt.
"Ist doch echt nicht schwer", nuschele ich mit vollem Mund. "Das weiß sogar ich."
Er blickt von seinem Zettel auf. "Heute ist nicht mein Tag. Mein Kopf dröhnt."
Bevor ich ihm darauf etwas antworte, schlucke ich mein Brot runter und hebe eine Augenbraue. "Du hast das alles doch schon gelernt. Ich verstehe gerade gar nicht, was du da machst." Ich beuge mich etwas über den Tisch, um einen Blick auf Tonis Zettel zu erhaschen. Ein kleines Skelett mit unübersichtlichen Beschriftungen. Da würde ich auch die Krise kriegen.
Toni schnaubt, ehe er seinen Stuhl geräuschvoll vom Küchentisch schiebt und aufsteht. "Tut mir leid, dass ich diese drei Knochen noch immer durcheinanderbringe."
"Wow, immer schön ruhig. Dafür kann ja keiner was", beschwichtige ich seinen aufgekratzten Ton. "Aber den intestinum tenue kannst du dir natürlich super merken, was?", stichele ich.
Irritiert dreht er sich wieder zu mir um. "Nein, mit dem hatte ich vor ein paar Monaten auch noch Probleme. Lass mich jetzt in Ruhe", giftet er.
Okay, ich sollte lieber meinen Mund halten und mich meinem Brot mit Frischkäse zuwenden."Na, alles gut bei euch?" Paula schneit in die Küche, gefolgt von Phil.
"Was soll an einem Sonntag auch so passieren?", stelle ich eine Gegenfrage, während ich meinen Teller in die Spülmaschine stelle. "Ich habe vorhin die Spülmaschine ausgeräumt, Toni hat gelernt und ich habe etwas gegessen", fasse ich die wohl spannendsten Momente des Tages zusammen.
"Danke dafür, war ja echt nicht wenig", stellt Phil richtig fest. Wenig war es in der Tat nicht, nach seinem Geburtstag gestern kam einiges an Geschirr zusammen.
Paula guckt erst Toni, dann mich genauer an. "Aber hier ist alles friedlich zwischen euch verlaufen?", hakt sie skeptisch nach.
"Wir waren friedlich wie zwei Fische in einem ruhigen Gewässer", säuselt Toni und zischt mit seinem Lernzettel ab.
Ich wiege meinen Kopf zur Seite - natürlich nur so weit, wie es mein noch immer schmerzender Nacken zulässt. "Eher wie zwei Piranhas in einem Wasser voller Blut", berichtige ich Tonis Aussage etwas lauter, damit auch er es noch hört.
"Aber...", beginnt Paula leicht erschrocken.
"Nein, alles gut. Er war nur ziemlich gereizt, weil er die drei Knochen des Beines anscheinend nicht auf die Kette bekommt", erkläre ich schnell, bevor Phil und Paula noch auf die Idee kommen, Toni und ich hätten uns gerauft.
Phil guckt mich fragend an. "Das hatte er doch schon lange."
Ich hebe meine Schultern. Weiß ich doch genauso wenig wie er.Paula und Phil waschen sich gründlich ihre Hände. Ich beobachte sie dabei genau. Sie lachen sich gegenseitig an, wirken außerordentlich glücklich miteinander.
Papa und Alex sind arbeiten, aber Phil und Paula waren heute bei Phils Eltern. Deswegen waren Toni und ich auch allein zu Hause.
Was sie wohl bei seinen Eltern wollten?
Paula kommt in besonderen Augenschein. Ihr Oberteil ist ziemlich weit. Soll es vielleicht ihren Bauch verstecken? Wann wollen sie überhaupt offiziell mit der Sprache rausrücken?"Fine?"
"Hä?" Ich zucke und schüttele mich kurz.
Phil seufzt. "Ob du Schmerzen an deiner Hand hast, habe ich gefragt. Wobei ich eher fragen sollte, ob Paula da was hat." Er lehnt sich etwas nach vorn und lässt seinen Blick über seine Freundin schweifen. "Also ich sehe jetzt nichts, was komisch scheint", beschließt er.
"Alles gut", sage ich schnell und gehe ins Wohnzimmer vor.Gelangweilt schließe ich meine Augen und rolle mich auf der Couch zusammen. Ein kleines Nickerchen wäre ja jetzt auch schön, aber es ist schon um sieben. Lohnt sich nicht mehr.
"Könntet ihr vielleicht für morgen Abend einen Wein mitbringen?", spricht Phil plötzlich und übertönt damit die Stimmen aus dem Fernseher.
Ich öffne ein Auge und mustere ihn. Paula liegt in seinen Armen und lächelt vor sich hin, während Phil gerade mit Alex oder Papa zu telefonieren scheint.
Wollen sie morgen etwa die Bombe platzen lassen?
Phils Kopf dreht sich zu mir. "Brauchst du noch was? Franco und Alex sind einkaufen."
"Saure Gurken."
Phils Augenbrauen heben sich. "Schwanger oder was?"
Paula lacht auf, doch ich zeige keine Reaktion. Phil mochte saure Gurken noch nie und stempelt sie immer als 'Essen für Schwangere' ab. Papa und ich hingegen essen sie gerne mal.
Aber Paulas Reaktion hat doch gerade alles gesagt. Und auch Phils Blick auf Paula, als er meinen Wunsch durchgegeben hat, spricht Bände.Anni macht große Augen, obwohl ich gerade erst am Anfang meiner Erzählung bin.
"Schwanger?", rutscht ihr lauter raus, als es eigentlich beabsichtigt war.
Neugierige Köpfe drehen sich zu uns. "Und nächstes Mal ein bisschen lauter, damit das auch Mimi in der hintersten Ecke mitbekommt und das neueste Gerücht verbreiten kann", knirsche ich sie an. Dann drehe ich mich zu meiner Klasse. "Nein, hier ist keiner schwanger. Danke für eure Aufmerksamkeit." Ich grinse schief in die Runde.
Anni kneift mir ins Bein. "Aber wie kommst du denn darauf?", fährt sie mit nun deutlich gesenkter Stimme fort.
"Na wie wohl? Ich habe vorgestern abends ein Gespräch zwischen den beiden mitbekommen. Und ich sag dir, die können über nichts anderes geredet haben."
Mein Gegenüber wickelt sich eine Haarsträhne um den Finger, scheint zu überlegen. "Freust du dich?", fragt sie schließlich.
"Klar, ich..." Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe. Ja, freue ich mich?
Anni guckt mich schräg an. "Klar, du...?" Sie signalisiert mir mit den Händen, ihr langsam eine Antwort zu geben.
"Ich... habe darüber noch gar nicht wirklich nachgedacht", sage ich schließlich. "Klar, ich freue mich super für die beiden, aber..." Wieder pausiere ich kurz. Binnen weniger Sekunden überfällt mich das Gefühl von Egoismus. "Ich meine, was ist, wenn die beiden dann ausziehen?"
Diesen Gedanken scheint Anni ebenfalls bis dato noch nicht gehabt zu haben, denn auf ihrem Gesicht zeichnet sich eine Art Ahnungslosigkeit ab.
"Andererseits ist das einfach nur ein egoistisches Denken von mir", ergänze ich schnell. "Immerhin sollen die beiden glücklich werden, da kann ich nicht an mich denken."
"Nein, ich finde deinen Gedanken nicht so schlimm", erwidert Anni. "Du bist mit ihm aufgewachsen, er gehört zu deiner Familie. Da wäre das für dich natürlich nicht schön, das würde jeder so sehen und verstehen."
Langsam nicke ich.
Auch wenn ich mich selbst für diesen Gedanken verfluchen könnte, lässt mich dieser den ganzen Tag nicht mehr los.Wasser verdampft zischend auf der Herdplatte.
Fluchend dreht Paula die Temperatur runter. "Das wird nachher ein Spaß beim Putzen", murmelt sie.
Weingläser klirren, als Phil sie auf dem Tisch abstellt.
Ich atme tief durch. "Gibt es was zu feiern? Sonst trinkt ihr doch keinen Wein", frage ich zögerlich an Phil gerichtet.
Lächelnd schüttelt er den Kopf. "Wir hatten einfach mal wieder Lust darauf. Und da heute Abend alle da sind, lassen wir es uns mal gut gehen."
Aha. Wer es glaubt.Aufmerksam beobachte ich Paula, wie sie dabei ist, einen Salat zu machen. Ihr Oberteil ist mal wieder auffällig groß.
"Kann ich dir helfen?"
Sie verneint, weshalb ich mich einfach schon mal an den Tisch setze und warte.
Papa und Alex gesellen sich schnell dazu und schenken bereits den Wein ein.
Ich zähle die Gläser. Vier. Trinkt Toni etwa mit? Eigentlich war Wein noch nie sein Fall.Wenige Minuten später muss ich erschrocken feststellen, dass das vierte Glas zu Paula gehört.
Komplett von allen guten Geistern verlassen, starre ich sie an.
"Alles gut mit dir?" Papa stupst mich an, als er den letzten Topf auf den Tisch stellt.
"Trinkst du was?", wende ich mich an Paula, ohne Papa eine Antwort zu geben.
Sie hebt eine Augenbraue.
"Du kannst doch nichts trinken!", empöre ich mich wie aus heiterem Himmel. Für die anderen muss es wie aus heiterem Himmel wirken, für mich ist es gerade selbstverständlich, dass Paula nichts trinken kann.
Eine Hand legt dich auf meine Stirn. "Warm ist sie nicht", stellt Alex irritiert fest. "Geht es dir gut?"
"Ich hätte nicht gedacht, dass du so verantwortungslos bist", platzt es aus mir heraus.
Fünf Augenpaare starren mich verständnislos an.
"Verantwortungslos?", hakt Paula nach.
"Ich habe euer Gespräch mitbekommen. Wolltest du es uns jetzt sagen?", gehe ich über Paulas Verständnisfrage hinweg.
"Welches Gespräch? Und was soll ich euch sagen?"
Mein Blick fällt von Paula auf Phil. "Das an Phils Geburtstag. Nachts", lenke ich sie auf den richtigen Weg.
"Ach, du meinst das Gespräch über den Urlaub, den ich Phil geschenkt habe? Das habe ich den anderen bereits gestern gesagt. Du wusstest ja schon davon."
Ich habe das Gefühl, mich verhört zu haben. "D-du bist nicht... schwanger?", flüstere ich heiser.
Phil und Paula prusten los. "Dann würde ich niemals trinken, was denkst du denn von mir?", fragt Paula lachend und wischt sich ein paar Tränen aus ihren Augenwinkeln.
"Du dachtest die ganze Zeit, Paula wäre von mir schwanger?", hakt Phil ebenfalls lachend nach.
Langsam nicke ich und merke indes, wie heiß mein Gesicht wird.
Das war alles ein Missverständnis. Ein mir im Nachhinein verdammt peinliches Missverständnis.-------------------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...