Das Papier reibt rau an meiner Stirn. Krampfend klammert sich meine rechte Hand in die Kälte, als würde allein sie mir zeigen, dass ich im Hier und Jetzt bin.
Meine linke Hand zittert, liegt auf meinem Bein und zuckt immer unkontrollierter.
Unkontrolliert. Ein Wort, welches meinen ganzen Zustand kurz und knapp zusammenfassen könnte.
"Beruhige dich." Jemand greift nach ebendieser Hand und drückt sie fest. Zwischen Papas warmer Hand und meiner eisigen Kälte liegen Welten. "Es ist alles gut. Dir ist nichts passiert."
Seine Worte rauschen durch meinen Kopf, scheinen jedoch kaum etwas zu erreichen. Mir ist mehr passiert, als es nach außen hin wirkt.
Nur ich kann die Ausmaße des Tages spüren. Die Beule an meiner Stirn lässt nicht ansatzweise erahnen, welche Wunden in mir aufgerissen wurden.
"Und wo sind wir gelandet?", bringe ich zitternd hervor, ehe sich die erste Träne auf den Weg über meine Wange macht. Nicht die erste des Abends - die erste für die letzten zehn Minuten.
Auch wenn meine Augen geschlossen sind, kann ich an Papas erschrockenem Einatmen erkennen, dass er die Frage nicht als rhetorisch aufgenommen hat. "Wir sind-"
"Ich weiß, wo wir sind", unterbreche ich ihn mit bebender Stimme. "Wieder und wieder landen wir hier. Ich kann das nicht mehr, Papa. Ich-" Meine Stimme versagt. Meine Gedanken versagen.
Ich habe versagt."Mir gefällt nicht, dass du kurz bewusstlos warst", seufzt Phil besorgt und nimmt seine Hände von meinem Kopf. Sofort drücke ich wieder das Kühlpack gegen meine Stirn und genieße die wohltuende Kälte.
"Warum musst auch ausgerechnet du gerade Dienst haben", murre ich und kann mir ein Augenrollen nicht verkneifen. "Jeder andere Arzt würde akzeptieren, wenn ich sage, dass ich einfach nach Hause will. Mir geht es prima."
Doch Phil schüttelt eisern den Kopf. "So würde das nicht laufen. Sei froh, dass ich gerade Dienst habe. Jeder andere Arzt hätte dir gleich ein Bett reserviert. Da Franco, Alex und Paula aber zu Hause sind, knicke ich ein. Unter der Bedingung, dass du bei einem von denen die Nacht verbringst."
"Natürlich, Herr Papa. Immer nach Ihren Anweisungen." Ich springe von der Liege, verliere dabei jedoch mein Gleichgewicht und falle auf Phil, der mich im letzten Moment noch abfangen kann.
"Oder ich sollte mir das doch noch anders überlegen", murmelt er ernsthaft überlegend.
Ich schüttle meinen Kopf. "Auf gar keinen Fall. Komm, Papa." Mit großen Schritten verlasse ich den Behandlungsraum und lasse zwei völlig überbesorgte, seufzende Männer zurück.
"Diese Stimmungsschwankungen... Sind die besorgniserregend?"
"Ich weiß nicht", erwidert Phil auf Papas Frage.
Zum Glück haben die Ahnung davon, was in mir vorgeht.Ich habe nicht gemerkt, wie ich ins Haus gekommen bin.
Ich habe kein Wort gesprochen, als ich am nächsten Tag neben Paula aufgewacht bin.
Ich habe keinen Bissen beim Frühstück in meinen Magen befördern können.
Ich habe mich bis zum Montag, mein erster Schultag nach der kurzen Krankschreibung wegen meines Turnunfalls, nur über die nötigsten Sachen mit den anderen verständigt.
Ich habe in diesen Tagen nur zwei Sachen gemacht: Mir den Kopf bis zum Weinen zerbrochen und für mich festgelegt, dass nun auch der erste April ein Pechtag für mich ist. So wie jeder andere in diesen verfluchten sieben Jahren.Es ist wie immer. Mein Bein wippt ungeduldig unter dem Tisch, während der Sekundenzeiger der Uhr auf Schlaftabletten ist.
In meinem Kopf spielen sich Szenen ab, die mir Kopfschmerzen bereiten.
Szenen, die sich schmerzhaft in mein Herz bohren.
Fragen, die ich zur Seite schiebe und die trotzdem noch die größte Präsenz haben.
"Dir geht es immer noch schlecht", flüstert Anni in einem feststellenden Tonfall. "Geh nach Hause und ruh dich aus."
Mit einer Handbewegung gebe ich ihr zu verstehen, dass sie einfach ihren Mund halten soll. Ich komme gegen meine Gedanken nicht mehr an und kann keine weitere Stimme im Hintergrund gebrauchen.Halbherzig beiße ich in der Pause vom Brot ab, welches Alex mir am Morgen noch voller Liebe geschmiert hat. Mein Appetit ist nicht an der Spitze angekommen, doch wegschmeißen möchte ich das Essen auch nicht.
Bei Anni sieht das ganze schon anders aus. Sie hat in der letzten Pause schon alles vernichtet, was sie dabei hatte.
"Hier." Ich gebe ihr eins meiner Brote. "Alex steht dafür extra fünf Minuten früher auf. Dann will ich das nicht wegschmeißen."
"Wann hast du das letzte Mal so emotionslos geredet?", fragt Anni mit gehobenen Augenbrauen, greift jedoch sofort zum Brot. "Wir müssen das ändern", legt sie fest. "Am Wochenende bin ich auf eine Geburtstagsparty eingeladen. Und du kommst mit."
Die Entschlossenheit in ihrer Aussage verleitet mich dazu, dass ich mich an einem Krümel verschlucke und erstmal nach Luft japsend vor ihr sitze.
"Ich?", krächze ich und muss mich räuspern. "Zu einer Party? Dieses Wochenende?" Schnaubend drehe ich mich von ihr weg. "Sicher. Klar. Warum auch nicht."
"Super. Ich übernachte Freitag bei dir und am Samstag machen wir uns gemeinsam fertig."
"Das war Ironie", schreite ich ein. "Ich gehe zu keiner Party. Außerdem bist du eingeladen, nicht ich. Kenne ich diese Person überhaupt?"
Sie wiegt ihren Kopf etwas zur Seite. "Ich soll eine Freundin mitnehmen. Und du kennst diese Person nur von Erzählungen, aber hey, du kommst raus und lernst neue Leute kennen. Das brauchst du gerade einfach", probiert sie, mir das schmackhaft zu machen.
"Schön, dass du anscheinend besser weißt, was ich brauche, als ich."
"Ich bin deine beste Freundin. Natürlich weiß ich das besser", grinst sie und steht auf. "Also war das ein Ja von dir. Ich freue mich." Mit diesen Worten steuert sie auf das Schulgebäude zu und lässt mich auf der Bank zurück.
Wie einfach sie sich alles macht. Kaum zu glauben.Anni schafft es immer wieder.
Tatsächlich stehe ich am Samstag vor meinem Kleiderschrank und starre mit aufgeplusterten Wangen auf unzählige Oberteile.
Die Gedanken um das Turnen habe ich in einen Tresor gestopft, der leider nur auf Zeit seine Tür geschlossen hält. Früher oder später überfallen sie mich wieder, doch bis dahin habe ich für mich selbst beschlossen, die Zeit zu genießen.
Anni hat recht. Ich brauche diese Zeit und muss mal rauskommen. Wer auch immer auf der Party ist, es kann schön werden. Ich muss nur etwas daraus machen.
"Du schleppst mich schon mit, dann kümmere dich wenigstens um mein Aussehen", jammere ich verzweifelt, nachdem ich alle Shirts schon fünfmal mit meinem Blick gescannt habe.
"Es ist wichtig, dass du dich darin wohlfühlst. Zieh das an, was du anziehen würdest, wenn du jemanden triffst, den du sehr gern magst. Wer weiß, welcher Junge da auf dich wartet."
Ich lache auf und erwische mich dabei, wie meine Gedanken zu Adrian abweichen. Nein, ich mag ihn nicht. Er ist Geschichte.
Und es weiß wirklich keiner, wer auf dieser Party auf mich wartet.
Seufzend greife ich zu. "Bist du fertig?"
Von Anni kommt ein zustimmendes Murmeln.
Da haben wir wohl zum ersten Mal im Leben die Rollen getauscht."Wo soll es hingehen?" Phil dreht sich von vorne zu uns um.
"Hier." Anni drückt ihm ihr Handy in die Hand. "Zu dieser Adresse bitte."
"Dann mal los. Und ihr wisst, wenn-"
"Ja Phil, wir wissen", rede ich ihm dazwischen. "Wenn klein Anni von der Party will, rufen wir dich an."
"Sehr schön."Als der Bewegungsmelder des Lichts vor dem Haus angeht, packen mich doch Zweifel.
War das die beste Idee, Anni blind zu folgen? Nicht, dass ich ihr nicht vertraue. Damit hat es nichts zu tun, aber...
"Los jetzt, es wird lustig", reißt Anni mich aus meinen Gedanken. Ihre Augen funkeln beinahe schon voller Freude, als sie die Klingel betätigt.
Und mein Herz setzt aus, als mein Gehirn den Nachnamen des Hausbesitzers aufgenommen hat.Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle umgedreht und wäre nach Hause gerannt, doch es ist, als steckten meine Füße am Boden fest.
Ich kann mich keinen Millimeter bewegen.
Im nächsten Moment höre ich nur noch Anni, wie sie der aufgehenden Tür ein übersteuertes "Happy Birthday" entgegenschreit.
Wie konnte sie nur?-------------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...