37 - Vielleicht

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Phils Sicht

Der Weg bis zur Intensivstation kommt mir unendlich vor, doch gleichzeitig nicht lang genug, um passende Sätze bereitzuhalten. Ich komme vor Tonis Zimmer zum Stehen, bin jedoch am Anfang. Jeden Satz habe ich verworfen.
Fine hatte einen Unfall, aber keine Sorge.
Mir kommt beinahe die Galle hoch, so heuchlerisch wie das klingt. Keine Sorge.
Man kann dem Rentner von nebenan erzählen, dass er sich keine Sorgen machen muss.

Meine Hand schwebt vor der Tür. Es ist, als würde ich von der Tür abgestoßen werden. Mir scheint es schier unmöglich zu sein, anzuklopfen und einzutreten.

Ich nehme einen tiefen Atemzug. Der Geruch nach Desinfektionsmittel sticht scharf in meiner Nase, auch wenn ich ihn sonst nicht mehr rieche. Plötzlich ist er so präsent wie zu meinen Anfangszeiten im Krankenhaus.

Wie festgewachsen stehe ich auf dem Gang und starre auf die weiße Tür vor meinen Augen. Das Bedürfnis, meinen Kopf einfach mit Schmackes dagegen zu donnern und alles vergessen zu können, drängt mich dazu, endlich zu klopfen.
Mein zaghaftes Klopfen, welches ich direkt bereue, geht in Paulas Lachen unter. Es schnürt mir die Kehle zu, schickt mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper.
Ich liebe ihr Lachen, doch ich weiß, dass ihr dieses in wenigen Augenblicken trocken im Hals steckenbleiben wird.
Ich liebe Paula von ganzem Herzen. Und vielleicht spielt mir das gerade negativ in die Karten, denn allein der Gedanke daran, wie fassungslos und leer sie mich gleich anstarren wird, zerreißt mir das Herz.
Ich habe Angst. Angst um Fine, Angst um unser ungeborenes Baby. Was ist, wenn sich das alles so negativ auf Paula auswirkt, dass etwas passiert?

Ich bezweifle, dass mein Klopfen gehört wurde, weshalb ich die Tür schlussendlich einfach öffne.
Toni liegt in seinem Bett und zieht ein beleidigtes Gesicht, während Paula sich lachend zu mir umdreht.
"Was hast du eigentlich für eine unmögliche Freundin angeschleppt?", fragt Toni mit belustigtem Unterton.
Unter allen Umständen hätte ich gelacht und vielleicht etwas wie 'Das frage ich mich auch manchmal' aus Spaß erwidert, doch meine Zunge liegt wie gelähmt in meinem Mund, meine Lippen sind nicht dazu in der Lage, sich wenigstens zu einem schrägen Lächeln zu verziehen.
Toni geht es augenscheinlich gut, doch was werde ich wohl mit der Nachricht bei ihm auslösen.

Paulas Lachen ebbt ab und erstickt schließlich im Keim eines besorgten Gesichtsausdrucks. "Alles okay bei dir?"
Ich antworte nicht direkt auf diese Frage. Kein Nicken, kein Kopfschütteln. "Kannst du kurz mit rauskommen?", frage ich stattdessen mit ungewöhnlich hoher Stimme.
"Phil, was ist los? Irgendwas ist doch passiert", kommt es sofort von Toni, der ebenfalls jegliche Belustigung verloren hat. Sein Puls schießt in die Höhe, was ich am Monitor sehen kann.
Ich hebe meine Schultern. "Gleich."

Paula und ich entfernen uns ein paar Schritte vom Zimmer, ehe ich beginnen kann. Meine Hände wissen nicht, wo sie hin sollen. Nervös vergrabe ich sie in meinen Hosentaschen, ziehe sie im nächsten Moment jedoch wieder hervor und knete sie.
"Schatz, was ist passiert?" Paula greift nach meinen Händen, um sie zur Ruhe zu bringen.
Ihre Augen gucken mich völlig ratlos und gleichzeitig so besorgt an.

"Fine hatte einen Unfall beim Turnen", entscheide ich mich für die direkte Variante. Kurz und schmerzlos, würde ich jetzt sagen. Wie ein Pflaster. Nur mit dem Unterschied, dass ein Pflaster eine bereits heilende Wunde verdeckt. Und ich habe bei Paula gerade eine ganz neue eröffnet. Mit großen Schmerzen.
Ihr Mund klappt auf. Langsam schüttelt sie den Kopf. "Aber das wird doch nicht so schlimm sein, oder?" Sie lacht unsicher auf.
"Ich weiß nicht so ganz, was passiert ist. Jedoch ist sie fast direkt in den OP gebracht worden. Innere Blutungen, Knochenbrüche,... Ich... weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Aber es sah wohl nicht wirklich gut aus." Ich schnappe hektisch nach Luft, doch mein Herz möchte keine Ruhe geben. Unter Paulas Blick, der mich ungläubig durchbohrt und mir jämmerlich beweisen will, dass ich einfach nur ein Spinner bin, zieht sich bei mir alles zusammen.

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt