Schmachtend liegt ihr Blick auf ihm. Am liebsten würde ich andeuten, mir den Finger in den Hals zu stecken und dabei Würgegeräusche machen.
"Du hast ja wieder Gesellschaft", stellt Adrian lächelnd fest. Ich sauge sein Lächeln praktisch auf, so wenig kann ich das realisieren.
Trotzdem verdrehe ich meine Augen. "Kannst du bitte wieder schlechte Laune haben?", raune ich ihm zu, während er näher an mir ist, um mein Mittagessen abzustellen.
"Ein grimmiger Igel reicht doch", erwidert er schmunzelnd. Und laut.
Anni seufzt auf, doch ich verziehe nur mein Gesicht.
"Warum bist du heute so verdammt gut drauf?", frage ich anklagend.
Er zuckt mit den Schultern. "Ich habe eine tolle Nachricht bekommen. Morgen dürfte ich aber wieder der Alte sein, keine Sorge."Nochmal dieses Zwinkern, während er mir einen guten Appetit wünscht, ein Lächeln an Anni, dann ist er weg.
Mit geweiteten Augen starrt sie mich an. Ihre Pupillen haben einen unnatürlich großen Durchmesser, die ihre Iris beinahe nur als dünnen Kranz darstellt.
"Ich glaube, du brauchst noch ein Lätzchen, wenn das so weitergeht."
"Hallo?", stößt sie empört hervor und blinzelt. "Ich weiß ja nicht, wie groß und dick die Tomaten auf deinen Augen sind, aber hast du ihn dir mal genau angeguckt?"
Ich hebe eine Augenbraue. "Natürlich. Ich hatte schon öfter das Vergnügen mit ihm. Aber es gibt attraktivere Erscheinungen, als sein mürrischer Blick und seine 'Mir-ist-alles-egal'-Haltung."
Verständnislos schüttelt Anni den Kopf. "Du hast echt keinen Sinn für das Aussehen, oder?"
"Du kannst ihn haben." Versöhnlich hebe ich meinen rechten Arm. "Er ist bestimmt single."
"Er und single? Dann bin ich ein Victoria Secret Model." Überlegend guckt sie mich an. "Aber wenn er das wirklich sein sollte... klärst du mir seine Nummer?"
"Anja!" Ich haue auf ihr Bein, welches sie auf das Bett gelegt hat. Würde für andere vielleicht ungemütlich aussehen, aber ich weiß, wie beweglich sie ist.
Sie pfeift durch ihre Zähne. "Wann hast du mich das letzte Mal Anja genannt? Als ich mit acht Jahren ausversehen deine Sandburg zerstört habe und du weinend zu Phil gerannt bist, der aus Mitleid am liebsten mitgeweint hätte?"
"Du bist unmöglich", seufze ich kopfschüttelnd. "Ich möchte mit diesem Miesepeter nichts am Hut haben, wenn er mich nicht zwingend versorgen muss."
"Miesepeter?", wiederholt Anni glucksend.
"Miesepeter", bestätige ich trocken.Leider muss ich Annis Geschwärme über alle möglichen Typen unterbrechen, als Alex mich anruft.
Schmollend hält sie ihre Klappe, obwohl sie gerade an der spannendsten Stelle angekommen ist. Laut ihren Aussagen. Ob das jetzt wirklich so spannend ist, welche Frisur an Karl-Heinz-haste-nicht-gesehen am besten aussieht, ist fraglich."Alex? Was ist los?"
"Ja, hey Fine, wie geht es dir?" Seine Stimme ist ungewöhnlich dünn und hört sich auf eine falsche Art fröhlich an.
"Mir geht es ganz gut", antworte ich ehrlich, bleibe jedoch ziemlich skeptisch. "Was gibt's denn, weshalb du mich anrufst?"
"Weißt du..." Er holt Luft, dann höre ich plötzlich ein dumpfes Geräusch, ehe es sich anhört, als würde ein Auto anfahren.
"Sag mal, fährst du gerade?", frage ich erschrocken.
"Ich hab' mein Handy nicht in der Hand, keine Sorge", entschärft er die Situation sofort. "Der eigentliche Grund des Anrufs ist ein anderer."
"Na ja", schnaube ich und lache kurz auf. "Ich habe jetzt auch nicht damit gerechnet, dass du mich anrufst, um mir mitzuteilen, dass du Auto fährst."
Sein tiefes Lachen klingt ganz und gar nicht erheitert, sondern eher pflichtbewusst. "Eigentlich wollte ich bei dir bleiben. Also in unmittelbarer Nähe, falls etwas sein sollte."
Mein Herz schlägt schneller. Was hat er vor?
"Aber ich habs zu Hause ehrlich gesagt nicht mehr ausgehalten. Ich fahre für eine Woche zu meinen Eltern, hab' mir dafür ganz spontan unbezahlten Urlaub genommen. Falls etwas sein sollte, kannst du mich aber jederzeit anrufen und ich bin in zwei Stunden bei dir, okay?"
Die Worte verhallen in meinem Kopf, finden keinen Anschluss. Nicht mehr ausgehalten. Was darf ich mir darunter vorstellen?
"Was ist passiert?", frage ich mit zittriger Stimme, die jedem verrät, dass ich mal wieder kurz vor dem Weinen stehe. Anni guckt mich besorgt und gleichzeitig planlos an. Natürlich, sie weiß ja nicht, was Alex mir soeben eröffnet hat.
"Nichts, mach dir keine Gedanken. Es ist nur so..." Kurz entsteht eine Pause, in der sich die Tränen schmerzhaft ankündigen.
Seufzend fasst er wohl einen Entschluss. "Ich brauche einfach mal 'ne Woche Abstand zu Franco, dann wird das wieder, mh?"
"Ich glaube, das ist viel leichter gesagt", flüstere ich.
"Kopf hoch, Paula und Phil haben sich wieder ausgiebig lieb. Ich habe doch gesagt, dass die beiden nicht lang ohne einander können."
Freut mich. Freut mich wirklich sehr, doch das ist nur ein kleines Puzzleteil des ganzen Bildes, welches noch in Einzelteilen vor uns liegt.
Ich schlucke den dicken Kloß runter, der mir droht, die Luft zu nehmen. Dafür lasse ich die Tränen lieber stumm über meine Wangen laufen, verabschiede mich von Alex und starre nach vorn.
Wann wird das ein Ende haben?Schweigend betrachte ich meine Finger, die sich ängstlich in die Bettdecke krallen, als würde sie mich vor allem schützen. Vor allen Wahrheiten, vor all den Dingen, die mir nicht bekommen.
"Ich weiß es nicht. Ehrlich." Papas Stimme hat etwas von Ratlosigkeit, doch gleichzeitig klingt er so unbeeindruckt. "Ruhe tut uns allen wohl mal gut."
Langsam schüttle ich meinen Kopf. "Du verstehst es nicht. Kannst es nicht verstehen, vielleicht willst du das auch einfach nicht verstehen." Ich beiße mir auf die Zunge, um mich zu zügeln. Nicht ausfallend werden. Ein Streitpunkt mehr bringt keinen nach vorn.
"Was soll ich nicht verstehen?"
Ich schließe meine Augen. Hole Luft, doch finde nicht die passenden Worte. "Ich hätte gern meine Ruhe", sage ich schließlich. "Bitte Papa. Ich muss allein sein."
Sein Blick brennt sich auf meinen Körper ein, doch ich erwidere ihn nicht. Zu viel Wut fließt durch meine Adern. Wut über diesen sinnlosen Streit."Okay, ich merke es", seufzt Papa nach einer Weile. "Phil hat heute Nachtschicht in der Notaufnahme. Falls es irgendetwas gibt, was dich nicht schlafen lässt, kannst du es ja mal bei ihm probieren." Geräuschvoll schiebt er seinen Stuhl nach hinten, steht auf und gibt mir einen Kuss auf den Kopf. "Ich komme morgen wieder vorbei."
Nickend zeige ich ihm, dass ich ihn verstanden habe, doch ein dicker Kloß verwehrt mir die Fähigkeit, zu sprechen.
Umso lauter hallt das Schließen der Tür in meinem Kopf nach.
Ich komme mit Streit nicht klar. Schon gar nicht, wenn dieser zwischen den wichtigsten Personen meines Lebens herrscht.
Wäre es unmöglich, dass Alex nie wieder bei uns wohnt? Dass sie diesen Streit nie wieder ausgebügelt bekommen?
Mit brummendem Kopf lasse ich mich nach hinten sinken. Der Schmerz meiner Rippen macht mir deutlich, dass der ganze Tag aus zu vielen Tränen bestand.Pro und Contra liefern sich einen Kampf.
Contra überwiegt - die Angst überwiegt. Doch welche Angst? Angst davor, dass der Streit zwischen Alex und Papa nie erlischt?
Oder ist es vielmehr die Angst, die langsam meinen Körper hinaufgekrochen kommt, die mir leider allzu bekannt vorkommt. Die Angst vor der einen Nacht.
Mein Kopf ist voller ungesagter Worte, die ich so gern loswerden würde. Phil kommt mir da am ehesten in den Sinn.
Wenn ich mich langsam aus dem Zimmer schleichen und unten gucken würde, ob Phil gerade Zeit hat. Oder meinetwegen jemanden hier auf der Station fragen, ob er mir Auskunft darüber geben kann. -Angenommen, mein Kreislauf und meine Rippen spielen dieses Spiel mit.-Doch dann schieben sich die Bilder vor mein inneres Auge.
Die Person in schwarzer Kleidung, der feste Druck um meinem Hals, das verschwommene Bild vor meinen Augen, weil ich keine Luft mehr bekommen habe.
Das Messer an meinem Hals.
Plötzlich fährt wie automatisch meine rechte Hand an die dünne Haut meines Halses, genau an die Stelle, an der ich einen leichten Schnitt hatte. Das Brennen kommt zurück.
Doch brennen die Gedanken in meinem Kopf nicht mehr? Die Gedanken um den Streit, um dieses völlig versaute Verhältnis?Ohne wirklich zu wissen, was ich da tue, schiebe ich die Decke von meinen Beinen.
Meine Handytaschenlampe spendet mir das nötige Licht, um mich nirgendwo zu stoßen.
Ich schnappe nach Luft, als ich stehe, möchte diese bösen Gedanken einfach aus meinem Kopf verbannen.
So lang habe ich nicht mehr daran gedacht. So lang ging das alles gut. Warum muss genau jetzt alles wieder hervorkommen und mich zum Zittern bringen?
Mein Unterbewusstsein hat den Übergriff wohl noch lange nicht verarbeitet.Mit festem Ziel vor Augen mache ich den ersten Schritt, den zweiten, den dritten.
Bis ich vor der Tür stehe. Das kühle Metall der Klinke schickt mir einen leichten Stromschlag durch den Arm. Ich zucke, zische vor Schmerz, drücke die Klinke runter.
Der Flur ist leer, keine Menschenseele unterwegs. Zu dieser Uhrzeit auch verständlich. Die Schwestern haben gerade erst ihre Runde beendet.Ich schließe leise die Tür und gehe. Gehe zielstrebig zum Treppenhaus.
Doch auf halbem Weg bleibe ich stehen, halte den Atem an.
Waren das Schritte?
Ein Zittern durchfährt mich, es ist, als würde mich ein kalter Windzug packen, der mir eine unangenehme Gänsehaut beschert. Mein Magen dreht sich um.
Alles nur Einbildung, rede ich mir ein und setze den nächsten Schritt.Doch als ich hinter mir ein "Pscht!" höre und sich im nächsten Moment eine Hand um meinen Oberarm legt, schreie ich. Fange ich einfach an zu schreien.
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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...