83 - Verhängnisvolle Vorahnung

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Alex' Sicht

Die Hand der Krankenschwester drückt mir auf unangenehme Weise in den Oberarm, als sie ihren Griff verstärkt, nachdem ich meine gerade Linie auf dem Boden nicht mehr so ganz verfolgen konnte.
„Geht's?", fragt sie mit misstrauischem Blick in mein Gesicht.
„Ich würde gern wissen, wann ich zu Josefine kann", übergehe ich ihre Frage und bleibe kurz stehen, um einen tiefen Atemzug zu nehmen. Wäre ich die Krankenhausluft nicht gewohnt, würde mir jetzt wohl Desinfektionsmittel in der Nase stechen, doch mein Gefühl dafür ist genauso leblos wie die Stimme in mir, die mir eigentlich zu sagen hätte, dass ich meiner Gesundheit zuliebe nicht hier herumlaufen sollte.
Ich meine, langsam Ungeduld in ihrer Antwort wahrzunehmen. „Hören Sie, Josefine ist momentan im OP. Viel mehr kann und darf ich Ihnen auch gar nicht sagen. Es ist davon auszugehen, dass es noch eine Weile dauern kann." Mit bestimmtem Druck lenkt sie mich in die Richtung der Wartesitze nahe Notaufnahme. „Da Sie momentan, wenn ich das so ausdrücken darf, zu stur sind, um in ein Zimmer zu gehen und sich hinzulegen, dann setzen Sie sich eben hier hin und warten. Sobald Sie zu ihr können, melde ich mich bei Ihnen. Sollte vorher noch ihr Vater eintreffen, werden Sie sicher auch weitere Informationen bekommen."

Ohne Gegenwehr lande ich etwas unsanft auf einem Sitz, was mich daran erinnert, dass ich mit meinen Verletzungen vielleicht doch nicht ganz so umgehen sollte, als wären sie eine Lappalie. Stumm nehme ich ihre Antwort so hin und werfe einen Blick auf die Uhr. Es müssten nun um die drei Stunden seit dem Unfall vergangen sein.
Seufzend sinke ich etwas tiefer in den Sitz, verschränke meine von Schürfwunden übersäten Arme ineinander und schließe meine Augen.

Ein leichtes Ruckeln an meiner Schulter lässt mich hochfahren. Ich muss wohl eingenickt sein, denn als ich probiere, die Situation zu erfassen, brauche ich ein paar Anläufe mehr.
„Fine", kommt es dann jedoch direkt aus mir heraus, als ich ihre Lehrerin vor mir stehen sehe. In ihrer rechten Hand hält sie meinen Rucksack.
Mit einem leichten Kopfschütteln gibt sie mir zu verstehen, dass es keine neuen Informationen gibt. Kraftlos sacke ich wieder in mich zusammen. Es ist gerade mal eine halbe Stunde mehr vergangen.

„Ich habe Herrn Funke erreicht. Er ist schon mit Josefines Vater auf dem Weg hierher, es kann jedoch noch etwas dauern, bis sie ankommen." Ihre Mimik wirkt unruhig und vor allem aufgebracht. Sie räuspert sich. „Hier ist der Rucksack."
Mein Blick ruht etwas länger auf Frau Gerlach, während ich meinen Rucksack entgegennehme und neben mir zu Boden gleiten lasse. In ihren Augen spiegelt sich Sorge wider, was nicht verwunderlich ist. Keiner wird damit gerechnet haben, dass die Klassenfahrt eine solche Wendung nehmen würde. Außer ich.

Unsicher gucken wir uns einen Moment lang in die Augen, bis sie schwach neben mich deutet. „Darf ich?", fragt sie mit leiser Stimme.
„Selbstverständlich."
Ihr tiefes Ausatmen, als sie neben mir Platz nimmt, lässt Mitleid in mir aufsteigen. Sie macht wohl gerade eine Erfahrung durch, die kein Lehrer erleben möchte.

„Ich möchte hier auf Herrn Fabiano warten, sonst wäre das ein unnötiges Hin und Her", rechtfertigt sie sich nach kurzer Stille für ihre Anwesenheit, was keineswegs nötig gewesen wäre. Im Gegenteil, es tut gut, hier nicht allein sitzen zu müssen.

Weitere zwei Stunden vergehen, die sich anfühlen, als würde ich in einem Stau stehen - so machtlos über diese Situation zu sein, die einfach nicht vorüber sein will. Eingeengt zwischen etlichen Gedanken.

Die Schmerzen in meinem Kopf nehmen wieder langsam zu. Ich wäge schon ab, ob ich nach einer weiteren Dosis Schmerzmittel fragen soll, als ich leise Stimmen höre. Eine bekannte Stimme, doch ich kann sie keinem um mich herum zuordnen. Reflexartig fasse ich mir an den Kopf und kneife meine Augen zusammen. Mein Herz beschleunigt sein Tempo, während leichte Panik in mir hochkommt. Vielleicht hätte ich doch mal etwas mehr auf einen anderen Arzt hören sollen, statt meinen eigenen Willen durchzusetzen und die Vernunft außer Acht zu lassen. Die Folgen bekomme ich gerade wohl zu spüren.
„Herr Hetkamp, was ist-", setzt Frau Gerlach an, kommt jedoch nicht weiter, denn ihr wird ins Wort gefallen.
„Alex! Du siehst ja gar nicht gut aus."
Mir werden die Hände vom Kopf genommen, bevor ich es selbst tun kann. Und noch nie im Leben war ich so erleichtert, in Phils Augen zu gucken. Hinter ihm kommt mit etwas Entfernung Franco an, der mit einem Arzt spricht. Die Stimmen sind also doch keine Einbildung gewesen.

Mit leichter Verwirrung wechselt mein Blick von Phil zu Franco, von Franco zu Phil zurück.
„Was ist mit dir passiert?", fragt Phil sorgenvoll und greift an seinen Oberschenkel. Doch dann hält er Inne und zieht seine Augenbrauen zusammen. „Ich wollte gerade allen Ernstes nach einer Pupillenleuchte greifen und dir in die Augen leuchten", murmelt er kopfschüttelnd. „Du siehst wirklich nach einem Unfall aus, da kann der Arzt in mir einfach nicht anders."
Es tut gut, dass er sich um Lockerheit bemüht, auch wenn ihm nicht danach ist, wie ihm jeder ansehen kann.
Es braucht keine Worte, damit Phil versteht, dass ich Fine vor meine Gesundheit stelle und er erst Informationen über mich bekommt, wenn ich welche über Fine habe.

„Was ist jetzt Sache?" Plötzliche Energie überkommt mich, die mich ohne Schonung aufstehen lässt, was Phil dazu veranlasst, direkt und bestimmt nach meinem Arm zu greifen. Er traut meinem Zustand nicht – und das kann ich ihm nicht verübeln.
Francos Blick trifft meinen, doch er ist noch mit dem Arzt im Gespräch.

Die Minuten vergehen. Phil hat mich wieder zurück auf den Stuhl gedrückt und sich dann ebenfalls gesetzt. Frau Gerlach erzählt ihm erneut ein paar Einzelheiten, verstummt aber direkt, als Franco sich dankend vom Arzt verabschiedet und die letzten Meter zu uns aufschließt.
„Sie ist stabil", ist alles, was er herausbekommt, bevor ich die Tränen in seinen Augen sehen kann. Eine Mischung aus Erleichterung und trotzdem weiterer Sorge wird uns gerade alle durchfahren, denn wir wissen, dass solche Situationen sehr dynamisch sind. „Sie hatte eine Pfählungsverletzung am Bauch, die operativ versorgt werden musste. Zwischenzeitlich ist ihr Kreislauf etwas abgesackt, der konnte aber relativ schnell wieder auf ein gutes Niveau gebracht werden. Ihr Kopf ist wie durch ein Wunder ziemlich verschont geblieben." Er schluckt kräftig und guckt zu mir. „Vielleicht war das auch kein allzu großes Wunder, wenn ich dich so ansehe. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll." Francos Stimme bricht. Er dreht sich von uns weg, doch ich sehe trotzdem, dass er sich über die Augen wischt.

Wir geben ihm die Zeit, die er braucht, bis er weiterreden kann. „Ich darf jetzt zu ihr. Erst mal allein, aber das versteht ihr sicherlich. Wenn Fines Zustand es zulässt, hole ich euch nach." Mit unserem verständnisvollen Nicken geht er schnellen Schrittes zur Krankenschwester, die etwas weiter von uns weg scheinbar auf ihn gewartet hat. In ihrer Begleitung verschwindet er aus meinem Sichtfeld.
Mit gemischten Gefühlen sitze ich nun zwischen Phil und Frau Gerlach.

„Ich muss Paula anrufen und ihr das irgendwie beibringen", sagt Phil nach geraumer Zeit eher zu sich selbst und steuert auf den Ausgang zu. Seine Aufgabe würde ich nun ungern übernehmen, nicht zuletzt, weil die Unsicherheit in mir noch immer nicht abgenommen hat. Fines stabiler Zustand gibt mir eine gewisse Ruhe, doch dafür breitet sich allmählich ein anderes Problem in mir aus.

Mein Versuch, dieses mit ganz logischen und selbstverständlichen Antworten zur Seite zu schieben, scheitert mit den Schritten, die mich ablenken.
Die Person, die sich kurz darauf zeigt, lässt mich erstarren. Sie lässt meine Gedanken erstarren. Und in dem Moment bin ich mir sicher, dass es nicht mehr lange dauert, bis es kracht – mit einem gewaltigen Schaden zur Folge.

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Lang ist es her, aber hier ist ein neues Kapitel für alle, die an dieser Geschichte noch interessiert sind.

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt