„Was machst du hier?"
Ich nehme an, dass Papa vor der Tür nicht beabsichtigt, jedes Wort lauter als nötig auszusprechen, doch daraus lässt sich schließen, dass die anderen lauten Schritte, die vor der Tür zum Stehen gekommen sind, zu Astrid gehören. Meiner Mutter.
Die Antwort, die zurückkommt, bestätigt meinen Rückschluss. Auch sie kann wohl kaum etwas an sich halten, denn ich verstehe jedes einzelne Wort. Leider. „Wonach sieht es denn aus? Ich möchte mich persönlich erkundigen, wie es Josefine geht. Meiner Tochter."
Mein sowieso schon flauer Magen krampft sich zusammen. Nein. Alles daran klingt falsch.
„Deiner was?", fragt Papa eine Stufe lauter. „Allein ihren Namen aus deinem Mund zu hören klingt nach Abschaum. Du hast dich 15 Jahre einen Dreck um sie gekümmert! Das soll sich plötzlich ändern?" Seine Stimme hat einen zittrigen Unterton, den ich lang nicht mehr bei ihm wahrgenommen habe. Papa muss dort draußen gerade vor Wut kochen.
Ich kann das folgende Geräusch nicht ganz zuordnen. Entweder hat Astrid sehr laut sehr verächtlich geschnaubt, oder es war ein unterdrücktes Husten ihrerseits.
„Ich habe immerhin gesehen, wie sie verunglückt ist. Natürlich lässt mich das als Mutter nicht kalt."
Es schüttelt mich, mein Magen dreht sich um.
Jetzt ist es Papa, der kurz auflacht. Und dann nimmt er richtig Fahrt auf. „Du hast nicht mal gewusst, wen du da vor dir hast, bis du mich hier getroffen hast und eins und eins zusammenzählen konntest! Meine Kinder sind alles für mich und mir würde es im schlechtesten Traum nie einfallen, sie einfach zu verlassen. Und da mir schon der kleinste Schaden meiner Kinder selbst einen höllischen Schmerz verursacht, ist es in meinem Interesse, Fine vor weiteren Enttäuschungen und Verletzungen zu wahren, also verschwinde!"Nichts. Ich höre nichts mehr. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die Decke über meinem Kopf wirklich alle Geräusche von mir abschirmt, oder ob jemand diesem Desaster auf dem Flur ein Ende gesetzt hat. Mir ist es egal. Ich höre nichts mehr. Und das war mein Ziel.
„Fine." Papas Stimme dringt gedämpft zu mir durch und lässt mich vor Überraschung zucken. Ich habe nicht gemerkt, wie er in mein Zimmer gekommen ist.
Seine sanfte Berührung, die durch die Decke an meinem Kopf ankommt, lässt die Tränen schneller nach draußen, als sie sowieso schon unterwegs sind.
„Tut mir leid, ich wollte nicht so laut werden, aber mich konnte gerade nichts mehr halten. Diese Frau kommt geradewegs aus der Hölle." In seiner Stimme schwingt so ein Übermaß an Reue mit, dass ich schon so etwas wie Mitgefühl verspüre, auch wenn ich eigentlich sauer und wütend auf ihn bin, während die Enttäuschung mein Gefühlschaos fest ummantelt.Da ich regungslos unter meiner Decke verbleibe, macht sich Papa den Geräuschen nach irgendwann seufzend daran, alles für die Entlassung vorzubereiten. Viel Arbeit bleibt ihm da nicht mehr, was wiederum bedeutet, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, in meinem gerade ruhigen Bereich zu bleiben.
„Möchtest du vorne oder hinten sitzen?" Papa guckt mich unsicher an.
Wortlos öffne ich eine der hinteren Türen seines Autos und lasse mich regelrecht auf den Sitz fallen. Ich habe kaum Kraft in meinen Muskeln, allein der Weg aus dem Krankenhaus zum Parkplatz glich einem Halbmarathon für meinen Körper.
Er nimmt es so hin und wirkt nicht verwundert, während er sich hinter das Steuer setzt. Alex guckt mich fragend an, doch nach meinem angedeuteten Kopfschütteln setzt er sich nicht zu mir nach hinten. Ich möchte einfach halbwegs meine Ruhe haben.
Phil ist bereits mit dem Zug nach Hause gefahren. Sie wollten Paula in ihrer zum Ende gehenden Schwangerschaft nicht so lang allein bei Toni lassen, denn er wäre mit der Situation womöglich sehr schnell überfordert, sollte es zur Geburt kommen.Die Fahrt vergeht überwiegend schweigend. Nicht mal Phil und Papa tauschen die großen Worte aus.
Dafür zieht sich die Fahrt, wie meine nicht enden wollenden, elendigen Gedanken, ins beinahe Unendliche.Es grenzt an ein Wunder, als wir in unsere Straße biegen. Unbeschadet. Ich habe die ganze Fahrt eigentlich nur darauf gewartet, dass uns etwas passiert. Doch als würde das Schicksal einmal eine Pause von mir haben wollen, parkt Papa ohne einen weiteren Kratzer vor dem Haus.
Ich sehe mich als erstes in Paulas Armen wieder, als ich das Haus betrete.
„Mir tut das alles so leid", flüstert sie mir ins Ohr und drückt mich noch ein wenig fester an sich. „Ich habe Phil einen gewaltigen Einlauf verpasst, als er zurückgekommen ist, glaub mir. Mich konnte nichts mehr halten."
Das bringt mich zum Schmunzeln. Und es ist das wohl wärmste Gefühl seit dem Unfall, das sich gerade in mir ausbreitet. Ich bin ihr so dankbar.
„Glaub mir", nuschele ich an ihrer Schulter, „Papa und Alex haben einen größeren verdient als Phil. Er ist wohl, nach dir und Toni natürlich, das kleinste Übel in der Geschichte."
Paula lacht leise. „Mach dir darum mal keine Sorgen, ich hab noch mehr als genug für die beiden übrig."Nachdem ich auch von Toni ausgiebig in den Arm genommen wurde, wende ich mich der Treppe zu, um weg von hier zu kommen.
Doch auch ohne zu sehen, wessen Hand sich in diesem Moment auf meine Schulter legt, weiß ich, dass es Papas ist.
„Bitte lass uns jetzt darüber reden. Danach darfst du ausrasten, mich anschreien oder mich ignorieren, ich hätte für alles Verständnis, aber ich möchte mich dir erklären. Das ist schon lange überfällig, ich weiß es."
Seine Stimme wirkt brüchig. Es ist eher das aufkeimende Mitleid und die plötzliche Frage, wer von uns beiden hier eigentlich das größere Opfer ist. Der Mann, der augenscheinlich mit zwei kleinen Kindern auf sich allein gestellt war, oder bin ich es, die einfach nur nie über etwas erfahren durfte, was sowieso eine unwichtige Rolle gespielt hat.
Mit großer Mühe schlucke ich alle bissigen Widerworte runter und nicke langsam. „Lass mich bitte nur kurz duschen gehen."------------
Es war selbst für mich spontan, dass ich heute etwas geschrieben habe. Aber ja, hier ist es.
Ich hoffe, es geht euch gut :)Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |2/2|
Fanfiction|2/2| ~Der zweite Teil von '7 Jahre Pech'. Um die Zusammenhänge verstehen zu können, ist es notwendig, den ersten Teil gelesen zu haben.~ Josefine hat das erste Jahr Pech nach ihrem Spiegelunglück überstanden - wenn auch ziemlich chaotisch. Doch m...