25 - (Böse) Überraschung

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Ich hätte dabei zugucken können, wie sich die Zahlen auf dem Kalender ändern. Und jeder Tag hat sich so schmerzlich lang angefühlt.
Zwei Wochen. Vierzehn Tage, die ich ununterbrochen auf Tonis Aufmerksamkeit gewartet habe. Aber jeder Tag verstrich. Jedes Mal war es ein 'Sorry, muss lernen' oder auch 'Treffe mich heute mit meinen Freunden, wir haben uns schon ewig nicht mehr gesehen'.
Schön, ich habe auch schon ewig keine Zeit mehr mit meinem Bruder verbracht.

Während der Zeit beschlich mich das Gefühl, dass Papa ihn bearbeitet hatte. Woraus ich schließe, dass Toni sehr wohl etwas mehr darüber weiß. Aber warum möchte Papa diese Informationen so konsequent von mir fernhalten? Das macht für mich keinen Sinn.
Nur ein einziger Grund fällt mir für sein Verhalten ein: Er rückt sich dadurch allein ins schlechte Licht.

"Stopp!" Schlitternd komme ich vor Toni zum Stehen.
Seine Haare kleben ihm nass auf der Stirn, sein Rucksack hat auch mal trockenere Tage gesehen und von seiner Kleidung, die nass bis auf die Haut sein muss, will ich gar nicht erst anfangen.
"Was möchtest du schon wieder von mir?", fragt er eher weniger freundlich, während er seine Tasche von der Schulter gleiten lässt. Mit einem Klirren kommt diese auf dem Boden auf, woraufhin seine Augenbrauen beinahe Ballett tanzen. "Scheiße, die Flaschen", flucht er und kniet sich hin. Die sind jetzt wohl futsch.
Interessieren tut es mich jedoch nicht. "Schon wieder?", beginne ich dafür ziemlich empört und stämme meine Arme in meine Hüften. "Was soll das heißen? Die letzten zwei Wochen bist du mir doch komplett aus dem Weg gegangen."
Und auch diesmal schafft er es, wenigstens vorerst aus dieser Situation zu flüchten. Er schneidet sich an einer Scherbe. Scheinen seine Flaschen wohl wirklich zerbrochen zu sein. Geschieht ihm recht.
"Papa?", ruft er im nächsten Moment durchs Haus. Beim Aufstehen knacken seine Knochen. Hoffentlich hat das weh getan.
Ich muss mich selbst kurz schütteln. Diese Gedanken passen nicht zu mir. Aber ich würde langsam echt gern mal Antworten haben, um mein inneres Chaos wenigstens etwas besänftigen zu können.

Papas Schritte nähern sich schnell dem Flur. Schon auf einen Blick kann er die Lage richtig erfassen. "Mitkommen", weist er Toni an und verschwindet mit ihm nach oben.
Vielen Dank für nichts und wieder nichts.

Eine zu große Ungeduld lenkt mich. Ich kann nicht warten, bis Toni auf mein Klopfen reagiert.
Als ich in sein Zimmer trete, steht er gerade an seinem geöffneten Schrank. Der Verband von gestern ist weg, dafür hat er noch ein Pflaster auf dem Schnitt.
Ja, gestern hat es Toni mal wieder geschafft, mir aus dem Weg zu gehen. Nach der missglückten Landung seines Rucksacks und die folgende, ebenfalls erfolglose Bergung war er wieder mal weg.
"So. Darf ich dir jetzt ein paar Fragen stellen? Es wird auch sicher schnell gehen", versuche ich es zum gefühlt tausendsten Mal in nun fünfzehn Tagen.
Toni denkt gar nicht daran, mir einen Blick zu schenken. Seine Augen starren in seine Stapel voller Klamotten, als könnten sie allein die Kleidung herausholen.
Ich fackel nicht lang und wähle den direktesten Weg. "Was weißt du über unsere Mutter, das ich nicht weiß?"
Seine Antwort lässt auf sich warten. Er zuckt nicht mal mit der Wimper, als er mal wieder abblockt. "Sorry, hab keine Zeit. Ich muss zu einem Kumpel, wir lernen zusammen."
"Du kannst doch nicht andauernd lernen müssen!", schreie ich plötzlich drauf los. "Warum kannst du mir nicht einfach mal antworten?"
Mein Kopf beginnt zu schwirren. Alle Gedanken fliegen unsortiert von A nach B. Sie machen mich kirre.

Die Tür hinter mir wird aufgestoßen. "Was ist denn hier los?"
Nun wendet sich Toni das erste Mal von seinem Schrank, guckt jedoch zu Papa, der hinter mir steht. "Nichts. Ich wollte gerade gehen." Ohne letztendlich etwas aus dem Schrank zu nehmen, lässt er Papa und mich einfach stehen und verschwindet.
Schwungvoll drehe ich mich um, verliere beinahe mein Gleichgewicht dabei. Papa packt mich am Arm und gibt mir Halt. Doch ich winde mich schnell aus seiner Berührung. "Du hast ihn doch bearbeitet", zische ich in einem völligen Gefühlschaos und lasse Papa allein im Zimmer zurück.

Gibt es keinen Ausknopf?
Die schräge Melodie von Happy Birthday frisst sich in meinen Kopf. Jammernd drehe ich mich auf die andere Seite und ziehe mir meine Decke über den Kopf, doch die Stimmen wollen nicht leiser werden.
"Ey du Schlafmütze, aufwachen", fällt eine Stimme aus der Reihe. Kurz darauf wird mir von derselben Person die Decke weggezogen. Zuerst sehe ich nur Phils Locken, mit denen meine Augen vor dem Fenster kämpfen müssen. Zu hell. Zu viel. Zu früh.
Sein Gesicht wird klarer, sein Grinsen deutlicher. Woher nimmt er diese gute Laune?
"Wenn ihr keine gute Laune als Geschenk habt, könnt ihr wieder gehen", brumme ich und probiere, gegen Phils Kräfte anzukommen. Doch er hält die Decke zu fest.
Ich habe eher weniger Lust, nach Tonis erneuter Abfuhr gestern die gute Laune zu spielen. Diese herrscht gerade höchstens in meinen Haarspitzen.
Phil hebt seine Schultern. "Guck nach, vielleicht ist ja gute Laune dabei."
Skeptisch wandern meine Augenbrauen nach oben. Das glaube ich nicht. Aber mir bleibt ja nichts anderes übrig. Ich kann mir nicht jeden Tag davon versauen lassen.

Schwerfällig richte ich mich auf, nachdem ich von zehn runtergezählt habe. Der Sinn bleibt auch für mich verschwommen, doch irgendwie hat das was gebracht.
"Alles Gute zum Geburtstag. Warum bist du schon so groß?", sind Papas erste Worte. In seinen Armen bin ich wie automatisch gelandet.
Mich ekelt der Gedanke selbst an, dass ich nächstes Jahr achtzehn werde.
Ich genieße seine Umarmung und probiere, den Stress der letzten Tage und Wochen zu verdrängen. Einfach mal ausschalten, auch wenn das leichter gesagt ist. Die Umsetzung wird eine Herausforderung.
Nachdem Papa mich freigegeben hat, werde ich auch von den anderen beglückwünscht und umarmt. Sogar Toni schließt mich herzlich in seine Arme, was mir schon wieder auffällig vorkommt.

Papas Kuchen, der mich auf dem Küchentisch anlacht, gibt mir wirklich gute Laune. Ich halte kurz inne und atme tief durch. Das kann ein schöner Tag werden, wenn ich es nur zulasse.
Die Geschenke lasse ich erst mal stehen. Auch wenn sie mich in ihrer blauen, glitzernden Verpackung fies angrinsen, möchte ich sie später auspacken, wenn wir alle nicht mehr im Stress sind. Nur Paula hat heute frei, der Rest muss gleich los zur Arbeit und ich zur Schule, da kann ich das einfach nicht richtig genießen.

"Alles Gute zum Geburtstag!", ruft mir Anni schon von weitem zu. Ihre Schritte kommen schnell näher, und kaum versehe ich mich, hat sie mich in einer festen Umarmung. "Dein Geschenk bekommst du heute Nachmittag, damit das klar ist", sagt sie, nachdem sie sich gelöst hat, und grinst mich breit an.
"Wie immer", erwidere ich lächelnd und ziehe sie ins Schulgebäude. Anfang Februar ist es einfach noch zu kalt.

Es ist wie ein Geschenk, dass der letzte Block ausfällt.
Anni verabschiedet sich schnell von mir, um nochmal kurz nach Hause zu gehen, bevor sie zu mir kommt.
Also führt mich mein Weg vorerst allein nach Hause, wo mich dann aber Paula empfangen müsste.

"Hatte Ausfall!", informiere ich Paula durchs Haus, in der Hoffnung, einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort zu bekommen. Doch eine Antwort bleibt aus.
"Paula?", rufe ich nochmal. Keine Antwort.
Verwirrt ziehe ich meine Schuhe aus und gehe ins Wohnzimmer, doch da sitzt sie nicht. Auch in der Küche gibt es keine Spur von ihr.
"Paula?" Mein Herz beschleunigt sich und ich probiere zaghaft, mich mit dem Gedanken, sie könnte eventuell einkaufen sein, zu beruhigen. Doch als ich sie auch oben nicht finden kann, merke ich, dass meine missglückte Beruhigung nicht am Zaghaften liegt. Denn der Versuch, sie anzurufen, endet damit, dass ich ihr Handy klingeln höre. Sie vergisst ihr Handy nie.

"Paula?" Meine Schritte lassen die Treppe unter meinen Füßen laut klingen. "Paula!"
Ich muss mich im Flur kurz bremsen und tief durchatmen. Das ist hier wahrscheinlich alles Sorge umsonst. Völlig umsonst. Gleich kommt sie aus dem Keller und freut sich, dass ich schon da bin... Keller. Vielleicht ist sie einfach im Keller mit der Wäsche beschäftigt.
Unvorsichtig reiße ich die Kellertür auf und gehe die ersten Stufen. Mehr brauche ich nicht, um Paula zu entdecken.
Happy Birthday.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |2/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt