60. Mehr Macht

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Die Dunkelheit schien die Bewohner Myr Rybas aus dem Hinterhalt überfallen zu haben

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Die Dunkelheit schien die Bewohner Myr Rybas aus dem Hinterhalt überfallen zu haben. Auch nach Sonnenuntergang herrschte auf den Gassen und Straßen der Stadt noch geschäftiges Treiben. Doch anders als sonst waren es nicht das Jungvolk und die Vagabunden, die die Nacht zum Tag machten, sondern die Stadtwächter, Gendarmen und Handwerker. Mauern und Stadttore wurden verstärkt, die Hafenanlage und die alten Befestigungen am Fellmonte wieder auf Vordermann gebracht. Bei den Werften, in den Fabriken und Bankhäusern fanden Razzien statt. Waren, Zettel, Waffen und Schiffe wurden beschlagnahmt. Im Grunde alles, was nicht den Einheimischen gehörte.

Inzwischen ließ es sich kaum noch unter den Teppich kehren: Myr Ryba bereitete sich auf einen Krieg vor. Oder auf eine längere Belagerung. Das bedeutete, sie brauchten nicht nur fähige Männer, sondern auch Vorräte. Besonders jetzt, da der Winter vor der Tür stand.

»Habt Ihr schon entschieden, was Ihr tun wollt?«, fragte Sheitani, der sich einen halben Schritt hinter Cyan hielt und beinahe vollständig mit den Schatten im Innern des überdachten Wehrgangs verschmolz.

Cyan seufzte leise. »Nein.« Er zog seinen langen, gerade geschnittenen Wollmantel enger um sich. »Ich meine, es war immer mein Traum, der Magier-Gilde beizutreten, aber unter diesen Bedingungen ...«

»Was meint Ihr?«

»Ich meine, dass Zwanziger nicht zu mir gekommen ist, weil er mich für besonders fähig oder geeignet hält.«

Cyan blieb an einem der kleinen Fenster stehen und sah auf den Wald vor den Toren Rybas hinunter. Die Kronen der Meereskiefern, Asch-Weiden und Kleeulmen wiegten sich im kühlen Herbstwind. Bei der Straße zum Nordentor schimmerte Fackelschein durch das Unterholz. Wie an einer Perlenschnur reihten sich die flackernden Lichter auf. Er wusste genau, was das bedeutete. Flüchtlinge. Sie kamen aus ganz Materra. Noch waren es nur ein paar Dutzend pro Tag, aber es würden schon bald mehr werden. Viel mehr. Und sie mussten entscheiden, ob sie die Menschen aufnehmen wollten.

»Zwanziger hat mich angefleht, den Posten zu übernehmen, weil ich der einzige verbliebene Magier in Myr Ryba bin.« Cyan presste die Lippen zusammen. Die Tragweite dieser Wahrheit wurde ihm nur schleichend bewusst. Er war der einzige Magier in Ryba, vielleicht in ganz Materra – Kanto Dan de Nowy und seine Waffenbrüder mal ausgenommen.

Sheitani raschelte ungeduldig mit den ledrigen Flügeln, als erwartete er eine Erklärung.

»Wir Magier beziehen unsere Macht von euch Myrkuren«, erläuterte Cyan. »Ohne euch sind wir gar nichts.« Er setzte seinen Weg entlang des Wehrgangs fort. »Und so wie es aussieht, haben deine Brüder beschlossen, uns Magier im Stich zu lassen. Sie erscheinen nicht mehr, wenn man sie herbeiruft, und ihre magischen Kräfte sind versiegt.«

Cyan und Sheitani verließen den überdachten Bereich des Wehrgangs und traten in die kalte Nacht hinaus. Rechts von ihnen die Finsternis des Modderwalds, links die Lichter Myr Rybas. Von dieser Position aus konnte Cyan die Laterne auf dem Dach der Magier-Gilde sehen. Kein Feuer brannte darin. Etwas weiter nördlich ragten die Orgelpfeifen-Schlote der Fischfabriken in den Himmel und dahinter erstreckte sich der Häuserdschungel von Niederdamm.

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt