62. Die Stille von Myr Paluda

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Zander erwachte mit dem Gefühl, von irgendetwas geweckt worden zu sein

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Zander erwachte mit dem Gefühl, von irgendetwas geweckt worden zu sein. Vielleicht von einem Geräusch oder einer Berührung. Doch als er die Augen aufschlug, war er vollkommen alleine im Schlafsaal der Königlichen Akademie von Myr Paluda. Es herrschte eine drückende, mehrlagige Stille, die – wenn man die äußeren Schichten abkratzte – zuerst ein geheimnisvolles Murmeln und schließlich gedämpfte Stimmen offenbarte. Zander vermutete, dass jenseits der dicken Steinmauern noch immer geschäftiges Treiben herrschte. Auch in Myr Ryba konnte man hinter den Fenstern der Akademie zu jeder Tages- und Nachtzeit Studenten und Gelehrte mit magischen Laternen herumschleichen sehen.

Bei der Erinnerung fiel es Zander siedend heiß ein. Salmon! Er musste dem Jungen in die Stadt helfen, damit sie ihre Aufgabe erfüllen und Kanto Dan de Nowy töten konnten.

Sofort fiel die verbliebene Schläfrigkeit von ihm ab. Er setzte sich auf und blinzelte in das fahle Mondlicht, das durch die hohen Bleiglasfenster hereinfiel. Offenbar war es noch mitten in der Nacht. Oder ganz früh am Morgen. Zander hätte es nicht mit Sicherheit sagen können. In Myr Ryba wusste er immer, wie spät es war, so vertraut waren ihm der Lauf der Gestirne und das Auf und Ab der Gezeiten. Aber Myr Paluda war unerforschtes Gewässer.

Langsam – um kein Geräusch zu verursachen – stand er auf und schlich zur Tür. Dort saß ein junger Mann mit einem Filzhut auf dem Kopf und einem Wollschal um den Hals. Er blätterte in einem dicken Wälzer und machte sich ab und zu Notizen in ein Büchlein, das neben ihm auf dem Kachelboden lag. Man hätte ihn für einen arglosen Studenten halten können, aber die Art, wie er trotz seiner Lektüre die Tür zum Schlafsaal im Blick behielt, verriet Zander, dass er auf ihn angesetzt worden war. Vermutlich wollte Xyla ganz sichergehen, dass er sich an ihre Warnung hielt und die Akademie nicht verließ. Offenbar war sie scharfsinniger als die meisten Männer ihr zugetraut hätten. Aber Zander würde ihr beweisen, dass er kein stumpfsinniger Wilder aus dem Süden war. Er mochte ja kein Gelehrter sein, aber er wusste so einiges über das Ein- und Ausbrechen. 

Zurück im Schlafsaal vergewisserte er sich, dass alle Fenster verglast und mit verzinnten Bleisprossen in die Wandöffnungen eingepasst waren. Es gab also keine Möglichkeit, auf diese Weise ins Freie zu gelangen. Doch selbst wenn es ihm möglich gewesen wäre, eines der Fenster zu öffnen, hätte ihn auf der anderen Seite ein steiler, etwa fünfzehn Meter tiefer Abgrund erwartet. Die Fassade der Akademie bot zwar genug Firlefanz, um eine Kletterpartie zu ermöglichen, aber Zander misstraute seinem geschwächten Körper, der Kälte und dem Baumaterial. Daher entschied er sich für den einfacheren Weg. 

Er nahm die Wolldecke vom nächstgelegenen Bett, schob die Strohmatratze beiseite und löste einen Teil des darunterliegenden Drahtgeflechts.

Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er das Tuch, das in seiner Hosentasche steckte. Er zog es heraus. Es war das Seidentuch, das die Schneehexe ihm gegeben hatte. Möglicherweise war es doch nicht Iris gewesen, die ihn sicher durch das eiskalte Wasser nach Myr Paluda geleitet hatte. Wie auch immer, das Tuch mit Xylas Initialen kam ihm gerade recht.

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt