8. Herbstbrüter

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Zander zog den mottenzerfressenen Vorhang zurück und spähte durch die gelblich verfärbte Scheibe auf die Gasse vor dem Gasthaus hinunter

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Zander zog den mottenzerfressenen Vorhang zurück und spähte durch die gelblich verfärbte Scheibe auf die Gasse vor dem Gasthaus hinunter. Um die öffentliche Ordnung und das empfindliche Straßenpflaster zu schützen, ließ die Stadtwache von Selva derzeit keine Kutschen und Fuhrwerke von außerhalb mehr in die Stadt. Ausnahmen galten lediglich für Ortsansässige und besonders Privilegierte, die es sich leisten konnten, den Wächtern ein paar Paluder Schillinge zuzustecken. 

Aus dieser strengen Anordnung resultierten verstopfte Handelsstraßen und ganze Zeltlager auf den Hügeln rund um Selva, sowie viele missmutige Menschen, die ungeduldig darauf warteten, dass sie ihren Weg nach Myr Paluda fortsetzen konnten. Die schlechte Stimmung hing förmlich greifbar in der Luft - und sie wurde sicher auch nicht besser, wenn die Wartenden sahen, dass eine prächtig verzierte Kutsche mit einem modernen Faltverdeck in die Stadt eingelassen wurde. Von seiner Position aus konnte Zander sehen, wie die Stadtwächter mit dem Kutscher verhandelten. Nach kurzer Diskussion schien man sich auf einen Preis geeinigt zu haben und die Wächter ließen die Kutsche passieren. Das auffällige Gefährt rauschte die Hauptstraße hinunter, vermutlich zum Haus des Stadtverwalters, der Selva im Auftrag des Königs regierte. 

»Zander...?«

Salmon lag im einzigen Bett des schäbigen Gasthauszimmers, in dem sie nach ihrer Rückkehr aus dem Wald Zuflucht gesucht hatten. Sein Kopf ruhte auf einem Sägemehl-Kissen, sein Körper war in eine raue Wolldecke eingewickelt. Er fieberte hoch und war nur gelegentlich bei Bewusstsein. Vor etwa einer Stunde war ein Doktor bei ihm gewesen, der seine Wunde von Schmutz und Eiter befreit und ordentlich versorgt hatte. Anschließend hatte er dem Jungen einen Kräutersaft eingeflößt und Zander eine lange Liste mit Anweisungen und hilfreichen Rezepten ausgehändigt.

»Zander...?«, wiederholte Salmon mit schwacher Stimme.

Zander löste sich vom Fenster und ging zu ihm. »Ich bin hier«, sagte er, sank in die Hocke und fasste Salmons Hand. »Keine Sorge. Ich bin hier.«

»Ist der Doktor schon wieder weg?«, fragte Salmon verwirrt.

»Ja, schon seit einer Weile«, antwortete Zander wahrheitsgemäß.

»Und was hat er gesagt?«, wollte Salmon wissen. Der Anblick seiner bleichen Lippen und seiner unruhig zuckenden Augen nagte an Zanders Seele. Er kannte den Jungen schon seit knapp zwölf Jahren. Sie waren etwa gleichzeitig zu den Forellis gekommen. Ein störrischer Fünfjähriger, der keine fremde Vaterfigur akzeptieren wollte, und ein verunsicherter Vierundzwanzigjähriger, der nicht wusste, wie er eine Gabel halten sollte. Es mochte komisch klingen, aber er hatte sich viel von Salmon abgeschaut und Salmon vermutlich auch von ihm.

»Du wirst wieder gesund werden«, sagte Zander, nahm den feucht-warmen Lappen von Salmons Stirn und tränkte ihn mit Wasser aus dem Eimer, der neben dem Bett stand.

»Und wo ist der Haken?«, wollte Salmon wissen. Er kannte ihn wirklich viel zu gut.

»Kein Haken«, erwiderte Zander mit einem flüchtigen Lächeln. »Du musst dich einfach nur auskurieren bis das Fieber verschwunden ist.« Er wrang den Lappen mit beiden Händen aus. »Und natürlich benötigst du ein wenig Medizin.«

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt