29. Tiefer hinab

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»Woher weißt du überhaupt von diesem zweiten Testament?«, raunte Cyan, während sie in der Diele des Wohnhauses auf den Notar warteten, der kurz gegangen war, um sich salonfähig zu machen

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»Woher weißt du überhaupt von diesem zweiten Testament?«, raunte Cyan, während sie in der Diele des Wohnhauses auf den Notar warteten, der kurz gegangen war, um sich salonfähig zu machen. Was auch immer das bedeuten mochte.

Morena ließ ihren Blick über eine Garderobe aus geschnitztem Fischbein, einen antik wirkenden Schuhschrank mit Einlegearbeiten aus Bernstein und die obligatorische Rybala Havfruese aus hellroter Edelkoralle wandern, die über dem Türsturz hockte. Herr Marlin besaß ganz offenbar einen Hang zu erlesener Einrichtung. Auch der gemusterte Teppich unter ihren Schuhen war äußerst hochwertig. Von der Decke hing eine Novomagica-Laterne, die ebenfalls teuer gewesen sein musste. Allerdings wusste Cyan, dass die Bewohner des Sudkyste-Viertels, das vornehmlich aus Holzhäusern bestand, beim Kauf dieser Laternen von der Stadt unterstützt wurden. Eine Maßnahme, die nun schon seit fünfzehn Jahren größere Brandkatastrophen verhinderte.

»Unser Herr Notar hat eine junge Gehilfin, die Schreibarbeiten für ihn erledigt«, antwortete Morena schließlich.

»Und du hast das Mädchen gefoltert, um herauszufinden, was sie weiß?«, fragte Cyan entsetzt. Er hatte ja gewusst, dass Zander und Tuna so vorgingen, aber von Morena hätte er eine derartige Brutalität nie erwartet.

Seine Stiefmutter warf ihm einen schrägen Blick zu. »Natürlich nicht. Ich habe mich bei ihr eingeschmeichelt und sie ausgehorcht.«

»Oh«, machte Cyan und kratzte sich verlegen an der Schläfe.

»Du hast eindeutig zu viel Zeit mit Gesindel wie Zander verbracht.«

»Er ist kein Gesindel«, widersprach Cyan.

Bevor ihre Diskussion in eine Auseinandersetzung ausarten konnte, erschien Herr Marlin auf der Treppe. Er hatte sich nicht nur angekleidet, sondern regelrecht herausgeputzt. Sein schmächtiger Körper steckte in einem graublauen Satinkaftan, wie er in östlichen Gegenden getragen wurde. Darunter trug er ein weißes Hemd mit gerüschten Ärmeln, die aus dem Kaftan hervorlugten. Seine Hände waren wie sein Gesicht: weich und zart. Er hatte müde wirkende, hellblaue Augen und schüchterne Lippen, die zu einem nervösen Lächeln erstarrt schienen. Von den Falten rund um die Mundwinkel abgesehen, war seine Miene erstaunlich knitterfrei. Vor allem seine hohe, von dünnen, grauen Strähnen umrahmte Stirn war so glatt, dass sicher manches alte Weib vor Neid erblasst wäre.

»Frau Forelli... Herr Forelli... wenn ich mit Ihrem späten Besuch gerechnet hätte...«, stammelte er und deutete einladend auf die Tür, die in die Wohnstube führte. Auch dort fanden sich einige hübsche Möbelstücke: ein massives Kabinett aus Nussbaum mit antiken Muschelgriffen, eine dazu passende Vitrine, vergoldete Konsolen, gepolsterte Sessel und Salontischchen aus Rosenholz. Cyan korrigierte seine Einschätzung von Marlins Charakter. Der Mann war nicht nur ein Käufer und Kenner, sondern auch noch ein Sammler. Trotzdem war es ungewöhnlich, in dieser Gegend auf jemanden zu stoßen, der wertvolle Möbelstücke hortete. Entweder war Marlin sehr leichtsinnig oder er hatte entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen.

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt