80. Steinzeit

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Es regnete Stein und Bein, wie man in Neromonte zu sagen pflegte

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Es regnete Stein und Bein, wie man in Neromonte zu sagen pflegte. Sturmböen peitschten über die feuchten Salzwiesen und zerrten an den Zäunen und Ziegeldächern der Farmhäuser, von denen die Stadt am Rand der Wodlandberge umgeben war. Die grauen, windzerfurchten Wolken hingen so tief, dass sie wie ein Deckel über dem Tal lagen.

Gefangen in einem Kochtopf, dachte Iris. So mussten sich die Krustentiere in Myr Ryba fühlen, kurz bevor sie gekocht wurden. Doch davon waren sie derzeit weit entfernt. Die herbstliche Kälte war so angriffslustig, dass sie mit dem Wind durch alle Ritzen fuhr und sich wie Nadelspitzen in jede ungeschützte Hautstelle grub.

Neromonte, die Stadt der Steinbeißer und Minenarbeiter, lag am Ende einer zerklüfteten Talfurche, die der Riu Ida ins Land gegraben hatte. Reiche Schwarzeisensteinvorkommen färbten die steilen Felshänge pechschwarz und reflektierten das gleißende Licht der Blitze, die über den fast ebenso dunklen Himmel tanzten. Der Riu Ida wälzte sich schäumend und brodelnd durch das sumpfige Flachland, vorbei an unzähligen Wassermühlen und kleinen, von niedrigen Sträuchern umfassten Gemarkungen, die im Auftrag des Neromonter Hochadels von einfachen Bauern und Landarbeitern bewirtschaftet wurden. Seit dem fast vollständigen Versiegen der Minen waren der Anbau und Verkauf von Sumpfrüben und Wildrhabarber beinahe die einzigen Einnahmequellen der völlig verarmten Adeligen.

Von dieser akuten Geldnot war jedoch auf den ersten Blick nichts zu erahnen. Die hell erleuchtete Stadt ergoss sich beidseits des Fjellmarbre wie ein künstlicher Sternenhimmel über die scharfkantigen Felshänge der Wodlandberge. Die Anwesen der gut situierten Bürger – Zeugnisse einer besseren Zeit – waren direkt in den Stein geschlagen worden und bildeten etwas, das Iris jedes Mal an einen besonders prächtigen Insektenbau erinnerte. Niemand konnte so genau sagen, was sich im Innern der Berge, hinter den hochherrschaftlichen Fassaden, abspielte. Es hieß jedoch, es gäbe einen geheimen Weg, der von hier aus ins Gebirge führte, durch das Labyrinth des gefürchteten Waldleu bis in die nördlich gelegenen Wodlande.

»Hier.« Tuna stellte einen Krug mit Swartbeer vor Iris auf dem Tisch ab.

Iris fasste den klebrigen Henkel und zog den Krug zu sich heran.

Swartbeer hält die Innereien warm, hatte ihnen der Wirt augenzwinkernd versichert und Iris hoffte, dass er Recht behalten würde. Nach ihrem langen Marsch durch den Sturm konnte sie etwas Wärmendes gut gebrauchen.

Während Iris einen vorsichtigen Schluck von dem starken Gebräu nahm, wanderte ihr Blick zum Fenster hinaus. Sie befanden sich in einem heruntergekommenen Gasthaus am Fuß der Wodlandberge, in der Unterstadt Neromontes, wo der abfällig als Gesindel bezeichnete Teil der Neromonter Bevölkerung in einfachen Steinhäusern lebte und sich mit Handwerkstätigkeiten oder Handlangerdiensten über Wasser hielt. Hier würde es den Soldaten des Königs hoffentlich schwerfallen, sie und Tuna aufzuspüren. Mit ihren zerschlissenen Kleidern und zerzausten Haaren gingen sie problemlos als Tagelöhnerinnen, Bettlerinnen oder Dirnen durch.

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt