Tropfenförmig perlte der silbrige Glanz durch das dichte Blätterdach. Zäh und süß wie Fraland-Honig und mindestens ebenso wertvoll. Er schien die Blätter der Wickererlen zu umgarnen und sich mit sanften Schmeicheleien seinen Weg zum Erdboden zu bahnen. Dort wurde er bereits sehnsüchtig erwartet.
»Hah!«, rief Iris und deutete mit ausgestrecktem Arm in den Himmel. »Siehst du?«
»Ich seh gar nichts«, brummte Tuna, die auf der anderen Seite der kleinen Lichtung am Stamm einer Wickererle lehnte und die Augen geschlossen hatte.
»Dann mach die Augen auf! Unser Stern ist wieder da.«
»Unser Stern ...« Wie immer gelang es Tuna mühelos, ihrer Stimme so viel Spott und Hohn beizumischen, dass es Iris zur Weißglut trieb.
»Ja, unser Stern«, beharrte sie energisch. »Er wacht schon über uns seit wir Myr Ryba verlassen haben.«
»Und jetzt denkst du, es ist wieder eine von diesen ...« Tuna machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wie heißen sie noch gleich?«
»Granfeja.« Iris zupfte am Saum ihres zerfetzten Kleids herum. Inzwischen machte sich ihre Beinwunde wieder unangenehm bemerkbar und auch die Mixtur aus Baumrinde, Kristallmoos und Kamille, die Tuna am Morgen auf die Wunden an ihrem Rücken geschmiert hatte, schien ihre schmerzstillende Wirkung verloren zu haben. »Wobei ich sie vermutlich Silfeja nennen müsste.« Iris zwirbelte ihre Unterlippe. »Granfeja sind eher so etwas wie Getreidefeen. Sie sorgen dafür, dass das Korn gut wächst. Silfeja dagegen sind Feen der Wälder und kümmern sich im dichten Unterholz um das Gedeihen der-«
»Bei den Göttern«, grollte Tuna und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Kannst du nicht einmal die Klappe halten?« Sie funkelte Iris durch ihre gespreizten Finger zornig an. »Was muss denn noch alles passieren, damit mir wenigstens mal ein paar Minuten Ruhe vergönnt sind? Ich meine ...« Tuna löste die Hände von ihrem Gesicht und zählte an den Fingern ab. »Du wirst von Banditen entführt, verwandelst dich in eine riesige Motte, kommandierst eine Armee von Ungeziefer und tötest den Mann, der dir schon dein ganzes Leben lang Albträumen bereitet hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Kannst du vielleicht jetzt kurz still sein, damit ich mich ausruhen und nachdenken kann?«
Iris zog einen Schmollmund, verschränkte die Arme vor dem Körper und legte den Hinterkopf gegen den Baumstamm. Vielleicht hatte Tuna Recht. Seit ihrem Kampf mit den Banditen war sie seltsam aufgedreht. Sie rief sich den finalen Moment ihrer Auseinandersetzung in Erinnerung. Wie das Blut aus der Wunde in Marrons Brust gequollen war. Erst ganz wenig, aber dann – nachdem sie das Messer herausgezogen hatte – ein ganzer Schwall. Sprudelndes, dunkelrotes Blut.
Ein Schauer durchlief ihren Körper. Nur an das Blut zu denken, ekelte sie bereits an, aber gleichzeitig war da auch noch ein anderes Gefühl. Etwas sehr viel Dunkleres. Etwas, für das sie sich in feinerer Gesellschaft mit Sicherheit geschämt hätte. Etwas, das sie unwillkürlich an Zander denken ließ und daran, wie sehr sie ihn vermisste. Nicht allein seine amüsante Gesellschaft, sondern vielmehr seine körperlichen Vorzüge und wie er damit umzugehen wusste.
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Die Forelli-Dynastie: Göttlicher Zorn
FantasyNach den dramatischen Ereignissen des letzten Buchs gehen die junge Landadelige Iris Dan de Lion und der Unterhändler Zander Arryba getrennte Wege. Während es Zander und Salmon auf der Jagd nach dem Hofmagier Kanto Dan de Nowy ins verschneite Myr Pa...