68. Ich stelle die Fragen

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»Also ich finde das albern«, bemerkte Iris, während sie ihren Blick durch den leeren Aufenthaltsraum schweifen ließ

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»Also ich finde das albern«, bemerkte Iris, während sie ihren Blick durch den leeren Aufenthaltsraum schweifen ließ.

Die Mannschaftsmesse verströmte eine eigentümliche Mischung aus Zweckmäßigkeit und Gemütlichkeit, mit dem Resultat, dass sie weder das eine noch das andere zu sein schien. Vier einfache, am Boden festgemachte Tische und acht dazugehörige Bänke boten Platz für ungefähr sechzehn Mannschaftsmitglieder. Durch zwei verglaste Luken in der Decke fiel gräuliches Tageslicht herein. Die rückwärtige Wand verschwand hinter Regalbrettern, in denen sich zerfledderte Bücher und Zeitschriften stapelten.

Bei ihrer Ankunft hatte Iris einen Blick riskiert und festgestellt, dass viele davon einen eher fragwürdigen Inhalt besaßen. Allerdings hatte sie auch eine alte Ausgabe von "Die frivolen Abenteuer des Fräulein Amanda" entdeckt. Das bedeutete, die Seemänner mussten zumindest einen Hauch von Geschmack besitzen, auch wenn Tuna vermutlich etwas anderes behauptet hätte.

Über ihren Köpfen waren diverse Musikinstrumente mit Schnüren an der Decke befestigt und schaukelten sanft vor sich hin. An den Wänden hingen riesige, präparierte Fische, zusammen mit Fangdatum und Namen des glücklichen Anglers. Alle Tische waren mit einem Spitzendeckchen und einer Blumenvase geschmückt. Es wirkte wie der verzweifelte Versuch, einen Ort heimisch wirken zu lassen, an dem es bestialisch nach Rauch, fettigem Essen und kaltem Maschinenöl stank und an dem von früh bis spät das Bollern des Dampfkessels und das Stampfen der Antriebskolben zu hören war.

»Was findest du albern?«, fragte Tuna, die sich mit beiden Händen einen Brei aus gekochten Geisterkartoffeln und zerhackten Rüben in den Mund schaufelte. Dazu gab es trockenes Maisbrot und gebratene Struisen-Eier, die in dieser Gegend als Delikatesse galten.

»Dass wir hier alleine essen müssen«, antwortete Iris und nippte an ihrem Getränk, irgendeiner bis zur Unkenntlichkeit verdünnten Biersorte.

»Ich find's nicht so schlecht«, erwiderte Tuna. Vermutlich gefiel es ihr, nicht auf ihre Manieren achten zu müssen.

Iris seufzte und stützte den Kopf in die Hände. Sie hatte keinen richtigen Hunger. Unablässig kreisten ihre Gedanken umher, wie Geier über einem Tierkadaver. Ihre Familie. Zander. Ihre Kräfte. Die Flügel, die aus ihrem Rücken gewachsen waren. Sincopes Vision. Der brennende Tempel. Das Schicksal Materras. In den vergangenen Tagen hatte sie die Ereignisse im Wickerbau so gut es ging verdrängt, doch jetzt kehrte alles zu ihr zurück. Was hatte es mit Sincopes Geschichte auf sich? Und mit den Bildern, die sie Iris gezeigt hatte? Wer hatte den Wickerbau so hergerichtet? Jemand, der gewusst hatte, dass sie eines Tages dorthin zurückkehren und Marron töten würde? War alles, was bisher geschehen war, vorhergesagt worden? Bedeutete das, dass es keinen Ausweg mehr gab? Dass Myrkurs Reich kommen und sie alle von Nunmenschen überrannt und in einer Feuersbrunst vernichtet werden würden? Wenn das stimmte, was war dann ihre Aufgabe? Sollte sie den Untergang Materras verhindern oder besiegeln?

Ihr Blick wanderte zu dem traurig wirkenden Butterveilchen, das vor ihnen in der Blumenvase stand. Sie konzentrierte sich auf den hängenden Kopf, die schlaffen Blätter und die halb vertrockneten Blüten. Doch nichts geschah. Kein Vibrieren in ihrem Körper, kein Flüstern oder Summen. Die Welt war still und einsam. Nur Materie, ohne Seele. Ohne Verbindung.

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt