86. Die Zeit läuft

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Zander stand am Fenster der kleinen Wohnung und behielt die Straße im Blick, während Xyla wie besessen in den Schubladen ihrer Kommode wühlte

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Zander stand am Fenster der kleinen Wohnung und behielt die Straße im Blick, während Xyla wie besessen in den Schubladen ihrer Kommode wühlte.

»Keine Sorge, ich finde es schon«, beteuerte sie wiederholt, doch Zander hörte ihr kaum zu. In Gedanken sah er Kaspar Dan de Lignas sterben. Wieder und wieder.

Normalerweise war er nicht so leicht zu beeindrucken. Er hatte schon den einen oder anderen Menschen sterben sehen und nicht selten war er selbst der Grund dafür gewesen, doch heute ... er konnte die Bilder einfach nicht abschütteln. Die Bilder und die damit einhergehenden Schuldgefühle. Es war alles so schnell gegangen. Er hatte die Karte genommen und nicht über die Konsequenzen nachgedacht. Dabei hätte er es wissen müssen. Er hätte wissen müssen, was geschehen würde, wenn er die Karte nahm. Und nun klebte Dan de Lignas' Blut an seinen Händen. Noch vor ein paar Stunden wäre ihm dieser Gedanke nicht unerträglich gewesen, doch jetzt verspürte er das dringende Verlangen, sich reinzuwaschen ... auf welche Weise auch immer.

»Ich hab's!«, rief Xyla und präsentierte ihm das Geschenk der Schneehexe.

»Wieso habt Ihr es überhaupt aufgehoben?«, fragte Zander.

»Als Beweismittel«, antwortete Xyla und reichte ihm das Seidentuch. »Immerhin wäre der arme Karel beinahe daran erstickt.«

Zander nahm das Beweisstück und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden.

Eine Bewegung vor dem Fenster erweckte seine Aufmerksamkeit, doch es handelte sich nicht um Blankmänner, sondern lediglich um zwei Studenten, die das Wohnheim verließen. Der weitläufige Gebäudekomplex lag am Fuß des Winterbergs zur Seeseite hin, wo er übergangslos mit der Stadtmauer verschmolz. Die Wohnungen waren kalt, dunkel und feucht, aber bei den Gelehrten wegen ihrer Nähe zur Akademie trotzdem heißbegehrt. Auf ihrem langen Fußmarsch zur anderen Seite des Winterbergs hatte Xyla in einem nicht enden wollenden Redeschwall berichtet, dass sie fast zwei Jahre lang auf ein Zimmer im Wohnheim der Akademie gewartet hatte. Zander war nun wirklich kein anspruchsvoller Mieter, aber jeder Kuhstall besaß mehr Charme als diese Absteige, bei der nicht zu sagen war, ob die Muster an den Wänden von der Tapete, von Feuchtigkeit oder von Schimmel herrührten. Dazu kam, dass Xyla nicht viel Zeit und Mühe auf die Einrichtung verschwendet hatte. Nach eigener Aussage kam sie ohnehin nur zum Schlafen her – und für mehr war diese Wohnung beim besten Willen auch nicht geeignet.

»Seid Ihr sicher, dass Euch dieses Tuch vor der Kälte bewahren wird?«, fragte Xyla.

Zander zuckte mit den Schultern. »Mir bleibt nichts anderes übrig als daran zu glauben.«

Xyla trat neben ihm ans Fenster und spähte zur Akademie, deren pechschwarze Zinnen aus dem nächtlichen Schneegestöber ragten. »Was die Blankmänner wohl vorhaben?«

»Ich könnte mir vorstellen, dass es mit dem Eisenadler-Bund zu tun hat«, antwortete Zander.

»Uns bleibt wohl keine Zeit mehr ...«

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt