2. Gestrandet

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Es war eine sternenklare Nacht über Selva, einer ehemaligen Meilerstadt am Rand der Fraland-Berge

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Es war eine sternenklare Nacht über Selva, einer ehemaligen Meilerstadt am Rand der Fraland-Berge. Die Stadt selbst lag inmitten eines dichten Waldes, dessen Laubdach im Verlauf des Herbsts eine orangerote Farbe angenommen hatte. Von seiner erhöhten Position aus konnte Zander die hell erleuchteten Holzhäuser durch das Dickicht schimmern sehen. Rauch stieg aus ihren Schloten und Kaminen in den Himmel und bildete eine Schleierwolke über den Baumkronen, die im bleichen Schein des Vollmonds silbrig schimmerte. Hinter dem Wald erhob sich das mächtige Bergmassiv, das Sudmare von den weiten Ebenen Frarivas abgrenzte. Die höchsten Berggipfel waren das ganze Jahr über von Schnee bedeckt. Doch schon bald würde es auch in tiefer gelegenen Regionen schneien. Dann wären die Wege über die Gebirgspässe bis zum Frühjahr versperrt. So lange konnte Zander nicht warten.

Er löste sich vom Anblick der gestaffelten Bergkämme, die ihm in der Dunkelheit wie erstarrte Wellen aus schwarzem Glas vorkamen, und wanderte zum Ufer des Riu Mare hinunter. Das vertraute Gewässer tröstete ihn darüber hinweg, dass er bereits seit drei Monaten keinen Ozean mehr gesehen und keine Meeresluft mehr geschnuppert hatte. Noch nie war er so weit von seiner Heimat entfernt gewesen. Und auch, wenn es ihn immer irgendwie in die Ferne gezogen hatte, empfand er beim Anblick des Flusses eine tief sitzende Sehnsucht nach seinem Zuhause. Nach Myr Ryba mit ihren finsteren Gassen und felsigen Stränden. Nach den Forellis, denen er sich jahrelang verpflichtet gefühlt hatte. Nach seinen Freunden Tuna und Salmon. Und natürlich nach Iris.

Seine Gedanken stockten, wann immer sie in ihre Nähe gerieten. Als hätte er einen Wall um seine Erinnerungen errichtet, um sie vor fremden Einflüssen zu bewahren und möglichst unbeschadet zu erhalten. Nichts sollte sein Andenken an Iris beflecken oder beschmutzen. Er wollte sie so im Gedächtnis behalten wie er sie von ihrer ersten gemeinsamen Nacht unten am Strand erinnerte.

Abseits von Selva wälzte sich der Riu Mare brodelnd und schäumend durch ein viel zu enges Flussbett. Erst am Ende des Selva-Tals würde er genug Platz haben, um sich seinen Ansprüchen entsprechend auszubreiten. Auf den Straßen entlang des Flussufers standen Karren, Kutschen und eilig errichtete Zelte. Dazwischen hatten die Menschen Lagerfeuer entzündet, um sich gegen die herbstliche Kühle zur Wehr zu setzen. Genau wie Zander warteten sie darauf, dass sich die Tore Myr Paludas wieder für Gäste und Reisende öffnen würden.

Er selbst war vor zwei Monaten mit einer Reisegruppe über die Berge aufgebrochen und nach einer zweiwöchigen Wanderung am südlichen Selva-Tor zurückgewiesen worden, da er weder einen Besitz-, noch einen Verwandtschaftsnachweis oder eine Einreisegenehmigung hatte vorweisen können. Dabei stellte er keineswegs einen Einzelfall dar. Es herrschte das Gerücht, König Fridur hätte die Hauptstadt hermetisch abgeriegelt. Bewohner, die noch kurz vor Inkrafttreten dieser Ein- und Ausreisesperre aus der Stadt entkommen waren, behaupteten zwar, es würde sich dabei nur um eine vorübergehende königliche Empfehlung handeln, berichteten aber gleichzeitig von zahlreichen Festnahmen und Beschlagnahmungen.

Das Knistern der Lagerfeuer und die gedämpften Stimmen der Wartenden, die ihren Unmut über die gegenwärtige Situation mit schillernden Fluchwörtern untermalten, blieben hinter Zander zurück, als er sich vom Fluss entfernte. Die Hügel rund um das Selva-Tal waren von alten Holzkohlenmeilern gesprenkelt. Die meisten von ihnen waren schon vor Jahren ausgebrannt und in sich zusammengesackt. Seit der Entdeckung von Steinkohle, Novomagica und Elektrizität gab es kaum noch Bedarf an Holzkohle. Nur in wenigen Meilern herrschte noch Aktivität. Durch eingestochene Zuglöcher stieg weißer oder grau-bläulicher Rauch in den Himmel. In der Dunkelheit sah es aus, als wären die Meiler im Boden versunkene Köpfe und die aus ihnen dringenden Rauchschwaden die dazugehörigen Haarschöpfe. Die letzten Köhler, die in dieser Gegend ihr außer Mode gekommenes Handwerk verrichteten, konnten die Verkohlung kaum eine Stunde unbeaufsichtigt lassen. Auch jetzt, mitten in der Nacht, sah man sie auf den Meilern herumklettern. Hüpfend verschlossen sie Zuglöcher, aus denen dunkler Rauch drang, und stachen gleichzeitig neue Löcher an anderen Stellen.

Die Forelli-Dynastie: Göttlicher ZornWo Geschichten leben. Entdecke jetzt