Hope Hoffnung Nada

Kapitel 62

"Sie schläft nun schon seit 20 Stunden" murmelte ich besorgt und erschöpft zugleich. Körperlich war ich eigentlich nicht müde aber Geistig fühlte ich mich ausgelaugt. Ich vermisste unsere Kinder wahnsinnig, ich wollte so gerne Lazar und den Jungs eine Stütze sein und jedes Mal wenn ich mir die kleine Lea ansah, wollte ich weinen. So klein, so unschuldig und so verprügelt...unweigerlich fragte ich mich wieder, wie Bogdan das nur aushielt? Er hielt neben dem Bett der Kleinen Wache, sprach zwischendurch mit mir, erklärte mir was bei Lazar los gewesen war, rauchte zwischendurch auf dem Balkon aber sonst...er wartete einfach ab. Ich hingegen hatte wohl endlich meine Grenze erreicht und hielt kaum noch die Augen offen, das alles machte mich fertig. Mein Mann aber war...wie lange? Seit mehr als 48 Stunden war er wach...wie zum Henker....
"Bogdane" sprach ich ihn an. Sein wachsamer Blick glitt automatisch zu mir. "So viele Jahre sind vergangen, so lange bist du nun von diesem Leben weg und doch...wie hältst du das aus? Du bist mehr als 48 Stunden wach, du strahlst so eine Ruhe aus, ich könnte dich erwürgen! Verlernt man denn das wirklich nie?" fragte ich erschöpft und erntete ein kleines Lachen von ihm. Wie konnte er denn nur Lachen?
"Nado moja, das verlent man nie. Ich wurde zu einem Mörder trainiert aber das ist es nicht alleine. Die Disziplin, das Fokussieren und die Ruhe, das habe ich jahrelang mit Lazar trainiert. Als Scharfschütze musst du die Ruhe selbst sein und..." Hä? "Was? Scharfschütze? Wer war denn Scharfschütze?" unterbrach ich ihn.
"Na unser Pitbull" sagte er schmunzelnd "das wusstest du ehrlich nicht? Das war seine Erstausbildung in der Militärschule, bevor er die Akademie abschloss und ein Offizier wurde. Diese Ruhe, das stoische Warten, die Präzision, diese Ordnungswut...das hat er alles durch die Ausbildung bekommen und sehr viel mir beigebracht. Lazar konnte damals über 80 Stunden am Stück wach sein, er musste s8ch nicht mal bewegen und trotzdem war er immer bereit. Schon komisch, hat Nina das nirgends aufgeschrieben" murmelte er vor sich hin. Hm, nein. Komisch war das nicht.
"Eigentlich mein Schöner ist es nur logisch. Wäre ihr Tagebuch in falsche Behördenhände gefallen, dann hätte sie mit gewissen Details Lazar verraten. Sie hat auch überall verschiedene Geburtsdaten von ihm eingeschrieben und...warte mal, wann hat er wirklich Geburtstag?" fragte ich nun verwirrt. Wir hatten einfach so gefeiert aber...war das sein wirklicher Geburtstag? Lazar hatte immer gelächelt und sich bedankt aber...wie viel wussten wir über Lazar? Bogdan schien auch abwesend zu sein, denn er bekam einen ganz leeren Ausdruck in den Augen. "Darüber habe ich tatsächlich nie nachgedacht mein Engel...ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung" murmelte er weiter. Hm, wieso hatten wir das bis jetzt nicht bemerkt? Was verschwieg er uns noch?
"Weisst du Liebes, ich dachte wirklich, du hättest deine Neugier mittlerweile im Griff" unterbrach mich Lazar's Stimme und er kam lächelnd ins Zimmer. Ertappt zuckte ich zusammen. Ich hasste es, dass er immer so leise war, er überraschte sogar Bogdan.
"Lazo, hast du überhaupt im Juli Geburtstag? Ich meine, irgendwie..." ich konnte es nicht beschwören, aber irgendwie passte dieser Geburtsmonat nicht zu ihm.
"Liebes, du hättest doch nur zu fragen brauchen. Ich habe dich sehr lieb und wollte dir einfach nicht widersprechen, also habe ich schön artig die Torten gegessen. Übrigens waren sie sehr lecker, danke" sagte  er süss und grinste wie ein kleiner Junge.
Natürlich, er hatte einfach den Mund gehalten. Dieser Mann konnte echt anstrengend sein, merkte ich gerade.
"Du wolltest Nina nicht verraten, stimmts? Deshalb hast du geschwiegen" seufzte ich und wieder überfiel mich Trauer. Er wäre ohne zu zögern für sie gestorben, nie hätte er sie verraten oder ihre Lügen entlarvt.
"Das stimmt. Nur meine Eltern und Nina wissen, wann ich tatsächlich geboren wurde. Sergej hat es nie interessiert und meine Nina...naja, so schützte sie mich halt zusätzlich. Nur sie weiss alles über mich" erklärte er Schulterzuckend und fühlte den Puls der kleinen Lea. Ich bemerkte, dass Bogdan weit weg war mit seinen Gedanken. Was hatte er denn? Er starrte durch die Balkontür und wirkte, als müsse er eine schwere Matheaufgabe lösen. Ulkig sah das zwar aus, aber was überlegte er nur?
"Bogdane, was ist los? Was überlegst du nur so angestrengt?" fragte ich leise und konnte sehen, wie er blinzelte. Wie aus einer Trance erwachte er und starrte dann Lazar an. "Erdbeeren im November...Erdbeertorte am 3.November in Kanada" murmelte er "ich habe Nina damals gefragt, wieso sie denn im November so besessen Erdbeeren suchte. Sie ist, sofort nach Stefans Geburt, 80 Meilen weit gefahren, bis sie Erdbeeren gefunden hat. Ich hielt das für eine Störung nach der Geburt oder so, aber das war es nicht. Sie hat dir eine Geburtstagstorte gemacht und am nächsten Morgen, habe ich eine Kette an dir gesehen. Du hast nie Ketten oder so getragen aber...was war es nur? Ich kann mich nicht mehr erinnern, der Anhänger sah komisch aus..." murmelte Bogdan in Erinnerungen versunken. Die Vergangenheit war eine heikle Sache merkte ich. So viel hatte Nina verschwiegen, so viel versteckt um den wichtigsten Menschen in ihrem Leben zu schützen.
"Der Anhänger war eine Erfindung von ihr. So wie wir eine geheime Schrift hatten, so hat sie auch den Anhänger machen lassen. Niemand konnte es entziffern" sagte Lazar lächelnd. Er betrachtete Lea's Gesicht und sah dann wieder zu Bogdan und mir.
"Was hatten diese komische Zeichen für eine Bedeutung Lazo? Und wo ist der Anhänger?" platzte es nun aus Bogdan raus. Ha, ich war nicht als Einzige neugierig!
"Der Anhänger ist in meinem Safe und ich trage ihn zwischendurch. Eigentlich bedeutet es: zweifarbiger, schöner Skorpion" sagte er und schien weit weg zu sein. Bogdan starrte ihn verwirrt an, aber bei mir machte es plötzlich Klick.
"Zweifarbig also" murmelte ich und stand auf. "Lazo, sieh mir in die Augen und blinzel nicht" bat ich atemlos und starrte in seine schönen Augen. Wieso hatte ich das nicht bemerkt verdammt? Naja, es war auch verdammt schwer zu erkennen, fast schon unmöglich. Das war verdammt gute Arbeit, ich wollte gar nicht wissen, wie teuer das war. "Links" murmelte ich "man sieht es wirklich kaum. Nimm sie raus Lazo, nimm die Kontaktlinse raus" bat ich ihn leise und hörte wie Bogdan überrascht nach Luft schnappte. Lazar lächelte leicht und nickte ein Mal. Er fasste mit den Fingern in das Auge und...ihn so vor mir zu sehen, liess mich kurz zittern. Die linke Augenfarbe war schwarz, komplett schwarz! Als würde ich in strahlende Schwärze starren, so blöd das vielleicht klang. Er sah zum Fürchten aus so, wie ein Dämon. Rechts war die Farbe von einem wunderschönen Blau und dann Links...furchteinflössend und schön zugleich, so sah er aus. "Ach du Scheisse" zischte Bogdan "Lazo, du siehst aus...mach das Ding wieder rein, du jagst mir Angst ein! Scheisse, dieses Schwarz sieht aus wie aus der Hölle verdammt!" zischte Bogdan und betrachtete Lazar misstrauisch.
Ich hingegen dachte einfach nur nach. "Sergej hat das nie richtig bemerkt, er dachte ich würde die Linse für die Sehschärfe brauchen" fing Lazar an und sah mir lächelnd in die Augen "Nina hingegen...sie hat es sehr schnell herausgefunden. Sie hat es aber nie irgendjemandem verraten und die Linse kann problemlos einen Monat drin bleiben. Mich hat, bis jetzt, nur Nina so gesehen." Natürlich hatte sie nie etwas gesagt, dachte ich. Iris- Heterochromie war eine faszinierende Pigmentstörung der Augenfarbe aber so...das hatte ich noch nie gesehen. Nie hatte ich gesehen, dass man in einem Auge die Pupille nicht erkennen konnte. Alles schwarz, nicht braun oder dunkelbraun, nein, alles war schwarz!
"Wie? Wie hat sie es herausgefunden Lazo?" fragte ich atemlos und konnte diesen schönen Mann nur ansehen. Ich versuchte ihn mir mit Nina's Augen anzusehen, aber es misslang mir. Was hatte sie damals nur gedacht? Was hatte dieser Anblick in ihr ausgelöst? Hatte sie Furcht verspürt?
"Vielleicht solltest du es lesen Liebes" meinte er grinsend und schon war ich wieder der neugierigste Mensch auf Erden. "Diesen Teil aus ihrem Tagebuch hat sie hier bei euch versteckt. In der Bibliothek, der oberste Ziegel vom Kamin aussen, dort sind die Seiten versteckt. Soll ich alles holen?" Aber dafür war es zu spät, Bogdan war schon aus der Tür und kam nach ein paar Minuten zurück. "Sie hat sogar die verdammten Fugen wieder angeklebt, kein Wunder haben wir das nicht bemerkt. Hier Nado, lass es uns lesen" sagte er aufgeregt und zog mich auf seinen Schoss. Lazar lächelte nur, ging ins Bad, kam mit beiden blauen Augen raus, und setzte sich neben die schlafende Lea. Wieso hatte Dejan nie etwas gesagt? Wusste er das überhaupt? Naja, Lazar war ja 10 Jahre älter...hatte er das überhaupt bemerkt? Bogdan faltete die leicht vergilbten Seiten auseinander und ich zwang mich, mich nur auf Nina's Worte zu konzentrieren.