Ich konnte meinen Blick vom verprügeltem Gesicht des kleinen Mädchens nicht abwenden. Neven hatte sie mir vor ein paar Stunden gebracht, er brauchte gar nichts zu sagen. Mir war klar, dass mein Mann das Mädchen gerettet hatte und dafür liebte ich ihn noch mehr. Ich wusste nicht wie sie heisst, ich wusste nicht was sie alles erlebt hat, nur dass sie 13 Jahre alt war. Obwohl der Doc schon lange pensioniert war, war er sofort gekommen als ich ihn darum bat. Fassungslos hatte er sich das Gesichtchen angesehen und die Kleine untersucht. Sie hatte einen gebrochenen Kiefer, drei ausgeschlagene Milchzähne, unzählige Blutergüsse von den Prügeln die sie eingesteckt hatte und sie hatte eine Pferdedosis von einem Beruhigungsmittel bekommen. Der Doc hatte ihr eine Infusion gelegt und mir genug intravenöse Schmerzmittel da gelassen. Sie würde schlimme Schmerzen haben und wir mussten es ihr irgendwie erleichtern. Der Kiefer würde über sechs Wochen brauchen zum Heilen aber wie es mit ihren seelischen Wunden aussah, wusste niemand. Bogdan würde mir nachher erzählen was er wusste, das war mir klar, aber mir tat das Herz weh bei ihrem Anblick. Sie war sehr klein für ihr Alter, sehr zierlich und sehr blass. Die wilden, roten Haare sahen aus wie bei einer Porzellanpuppe und sie selbst hatte etwas sehr Puppenhaftes an sich. Wie ein rothaariger, verprügelter Engel sah sie aus. Wie konnte man nur so etwas einem Kind antun? Ob sie wohl irgendwo Verwandte hatte? Neven würde herumschnüffeln und alles herausfinden was es über sie zu wissen gab, aber bis dahin...sie würde hier ein Zuhause haben solange sie wollte. Was hatte dieses Mädchen nur alles erlebt?
"Sie schläft also noch immer" hörte ich die leise Stimme meines Mannes und flog in seine Arme. Ich war unfassbar erleichtert dass er heil zu mir zurückgekommen war und ich klammerte mich an ihn, liess mich von ihm hochheben und sass dann auf seinem Schoss vor dem Bett. "Geht es dir gut mein Schöner?" fragte ich leise an seine Schulter gedrückt. "Mir geht es ausgezeichnet mein Engel aber ich musste sofort zu dir, ich brauche dich. Wie ich sehe, war der Doc da und hat sich um Lea gekümmert?" Ich nickte erleichtert und sah in seine Augen. "Lea heisst sie? Was ist nur mit ihr geschehen Bogdane? Sie ist doch so klein" murmelte ich traurig. Dann erzählte er mir einfach alles und der Zorn auf Sonja brodelte heiss in mir auf. "Sie hat das zugelassen? Dieses Kind sollte versteigert werden und Sonja fand das...ich...gut ist sie tot, das hat sie verdient. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie denn nur bei so etwas mitmachen und es auch noch in Ordnung finden? Gütiger Gott, die armen Kinder" sprach ich mehr zu mir selbst als zu ihm. Ich konnte die kleine Lea nur ansehen, mehr brachte ich nicht Zustande.
"Neven sucht nach Angehörigen aber so wie ich das sehe, hat sie niemanden. Mein Engel, falls sie niemanden..." doch ich unterbrach ihn. "Wage es nicht mich so etwas zu fragen Bogdane. Es ist selbstverständlich, dass sie bei uns bleibt, wenn sie das auch möchte. Um so etwas brauchst du mich nicht zu bitten, sie braucht doch ein Zuhause. Ich hoffe nur, dass die Schmerzen erträglich sein werden und ich hoffe, dass sie keine Angst vor uns hat. Sie sieht aus wie eine Porzellanpuppe, findest du nicht auch?" fragte ich traurig. Bogdan runzelte die Stirn und sah Lea an. "Mein Engel, das kann ich dir nicht beantworten. Ich habe nur ein verlassenes, misshandeltes Kind gesehen und sie mitgenommen. Falls sie keine Angehörigen hat, wird sie eine Geburtsurkunde und einen Pass brauchen. Darum werde ich mich kümmern aber sie soll zuerst gesund werden" flüsterte er und betrachtete Lea nun genauer, bis ein Lächeln auf seinen Lippen erschien. "Du hast recht, sie sieht wirklich wie eine Porzellanpuppe aus. Wie unsere Mädchen, nur mit roten Haaren. Wieso sie nur so klein ist? Ob das Genetisch bedingt ist, was meinst du?" fragte er nachdenklich. Ich zuckte etwas verloren mit den Schultern und wollte schon sagen, dass ich keine Ahnung habe, als wir Neven hörten. "Das ist alles, was ich über die Kleine herausgefunden habe. Es ist nicht viel und ziemlich traurig" erklärte er mit einem mitfühlenden Blick auf Lea. Er setzte sich an den Bettrand und schüttelte traurig den Kopf, während wir uns die Informationen durchlasen. Traurig, ja, mehr als traurig.
MUTTER, PROSTITUIERTE, HEROINABHÄNGIG UND STARB VOR 10 JAHREN AN EINER ÜBERDOSIS. VATER UNBEKANNT, WAHRSCHEINLICH EIN FREIER. DURCH DIE DROGENSUCHT IN DER SCHWANGERSCHAFT, HATTE LEA EINEN LEICHTEN KLEINWUCHS ENTWICKELT. SCHON IM ALTER VON 18 MONATEN HATTE SIE EIN GEBROCHENES HANDGELENK, WURDE VOM JUNGENDAMT DER MUTTER WEGGENOMMEN. VON DA AN LEBTE SIE IM HEIM, WURDE WEGEN IHRER VORGESCHICHTE NIE ADOPTIERT. DAS MÄDCHEN HAT EINE LERNSCHWÄCHE IN MATHEMATIK, DAFÜR ABER EINEN GROSSEN LESEFLEISS. SCHREIBT GUTE NOTEN, IST NIE AUFSÄSSIG UND HAT GUTE SOZIALKOMPETENZEN. MIT DEN ANDEREN KINDERN IM HEIM HATTE SIE NIE SCHWIERIGKEITEN UND DIE LEHRER LOBTEN SIE IMMER FÜR IHREN FLEISS. HAT SICH IMMER UM DIE JÜNGEREN GEKÜMMERT, BESONDERS DIE BABYS HATTEN ES LEA ANGETAN. KONNTE BIS JETZT NICHT IN EINE PFLEGEFAMILIE UNTERGEBRACHT WERDEN, IHRE VORGESCHICHTE SCHRECKT ZU VIELE AB. WIRD WAHRSCHEINLICH BIS ZUR VOLLJÄHRIGKEIT BEI UNS IM HEIM BLEIBEN.
Die Berichte der Ärzte untermalmten, was der Heimleiter aufgeschrieben hatte. Sie hatte einfach keine Chance bekommen, so war das gewesen. "Die Mutter hat ihr also damals das Handgelenk gebrochen und wegen ihrer Drogensucht ist sie etwas kleiner als die meisten 13 Jährigen. Die Rechenschwäche, Dyskalkulie, kommt auch davon aber sonst hat sie keine bleibenden Schäden oder ein Organleiden" erklärte Neven sachlich und schaute dann wieder auf das misshandelte Kind. "Über den Vater ist nichts zu finden, wahrscheinlich wirklich ein Freier oder ein Zuhälter der Mutter. Sie hat niemanden Bogi" schloss er traurig ab.
"Dann hat sie jetzt uns" sagte ich entschieden und spürte, dass mich mein Mann noch fester umarmte. "Sie wird ein Zuhause haben und sobald sie gesund ist, wird sie auch eine normale Kindheit haben. Natürlich muss sie das auch wollen" gab ich zu bedenken. Vielleicht wollte sie gar nicht hier bleiben? Wir konnten nicht für sie entscheiden, sie musste es selbst wollen. Als ich noch etwas sagen wollte, öffnete Lea ihre Augen. Sie sah zuerst Neven, dann mich an und dann blickte sie lange Bogdan in die Augen. Ich beeilte mich ihr Schmerzmittel zu verabreichen und nach etwa 10 Minuten, entspannte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie legte vorsichtig ihre Hand auf ihren Kiefer und blickte wieder Bogdan an. "Danke, du hast mich gerettet" sagte sie kaum verständlich aber sie lächelte mit dem gesunden Mundwinkel. Mein Bogdan schluckte hörbar, Neven seufzte und ich fand meine Stimme nicht. "Dafür meine Kleine musst du dich nicht bedanken" sagte Bogdan rau. Ich hörte ihm an, wie sehr ihn gerade die Emotionen überfluteten. Diese Szene war schön und traurig zugleich, mein Herz flatterte und schrie gleichzeitig über die Ungerechtigkeit des Lebens.
"Trotzdem, Danke" murmelte sie und schlief wieder ein. Wir beobachteten sie eine Weile, bis Neven sich räusperte. "Ich nehme an, sie wird noch eine ganze Weile schlafen. Sobald sie ganz klar ist, und weiss was sie möchte, kümmere ich mich um die Dokumente. Wir sehen uns dann Morgen, ich muss nach Hause" sagte er und ging davon. Neven musste zu seinen Kindern, er musste sehen wie es ihnen ging und ich verstand ihn vollkommen. Ich hatte, als der Doc gegangen war, auch zuerst bei Maja und Dejan angerufen. So waren normale Eltern einfach, sie mussten ihre Kinder in Sicherheit wissen. Das war immer das Wichtigste und würde auch so bleiben.
"Bogdane, der Doc sagte, sie hätte eine viel zu hohe Dosis eines Beruhigungsmittels bekommen. Er konnte aber nicht genau sagen welches, er hat ihr Blut abgenommen und schickt es ins Labor. Sie könnte noch vier Stunden schlafen oder 24, das weiss man nicht so genau. Ich sollte ihr Kleidung besorgen, dann einen Eintopf machen den man wärmen kann und...ach, keine Ahnung" murmelte ich schliesslich. Ich war erschöpft von der Grausamkeit der Menschen, von dem Leid der Schwächeren und der ganzen Ungerechtigkeit.
"Nado moja, Kleidung besorgen wir und den Eintopf kannst du gerne machen, nur bleib noch etwas in meinen Armen. Ich werde Lazar später stören müssen, ihm alles erzählen müssen und mich nach Danijela erkundigen. Ich störe ihn ungern aber er muss alles wissen und wir müssen noch eine Weile auf der Hut sein, bis alle Beweise bei der Presse und danach bei der Staatsanwaltschaft eintreffen. Das wird wie eine Bombe einschlagen und der verstorbene Senator...naja, ihn wird mal wohl nie finden. Allerdings hat die Polizei bestimmt Sonja's Leiche gefunden und die Presse..." er brach als er sah, dass ich den Fernseher anmachte. Auf dem Seattle Channel gab es tatsächlich eine grosse Meldung. Sondersendung und grosser Polizeieinsatz.
Wie uns berichtet wurde, hat ein Pizzaliferant die Leiche gefunden. Es handelt sich um eine weisse Frau, die genaue Todesursache steht noch nicht fest. Als wäre das nicht genug, hat die Polizei in der Wohnung der Toten, 22 Mädchen gefunden. Sie alle waren zwischen 13 und 17 Jahre alt und wurden dort gegen ihren Willen festgehalten. Kurz vor dem Fund der Leiche, hat unsere Reporterin einen Umschlag zugeschickt bekommen und was sie dort sah, liess ihr Blut gefrieren. Bianca, willst du dich dazu äussern? Ja,danke. Es war wirklich sehr früh als ich die Fotos bekommen habe und als den Senator, seine Bodyguards, Angehörige der Polizei und auch einen Musiker erkannte, wurde mir übel! Sie alle haben, in regelmässigen Abständen wie die Fotos und Videos beweisen, diese Kinder missbraucht! Es ist erschreckend und widerlich, mir haben die Videos den Magen umgedreht. Auf einem Video sieht man, wie ein Mädchen von einem Scheich zu Tode geprügelt wurde...es ist einfach nur grausam was diese Kinder gesehen und erlebt haben. Da aber einige Polizeibeamte mit einbezogen sind, hat das FBI den Fall übernommen und schon vier Beamte festgenommen. Vom Senator fehlt jede Spur, wahrscheinlich ist er nach Mexiko....
Ich stellte den Fernseher wieder aus und lächelte meinen Bogdan von ganzem Herzen an. "Ich bin unglaublich stolz auf dich, ich platze fast vor Stolz! Sie werden alle büssen und das hast du veranlasst. Bei Gott, ich liebe dich abgöttisch!" sagte ich ehrfürchtig. Ich hätte schwören können, dass mein Herz jeden Moment vor Stolz platzen würde.
"Es ist erstaunlich mein Engel, wie wichtig mir deine Meinung ist" flüsterte er mit weichem Blick "danke Nado moja. Es tut mir leid aber ich muss zu Lazar. Er weiss mit Sicherheit noch nichts, aber er muss alles erfahren. Sie war seine Exfrau, die Bullen werden bei ihm auftauchen und ich muss wissen, wie es mit Danijela weiter geht. Die kleine Lea wird wohl noch eine Weile schlafen und auch du solltest dich hinlegen. Wenn ich alles erledigt habe, und wir Gewissheit haben wegen Lea, dann werde ich dich verschlingen" sagte er noch grinsend, küsste meine Nasenspitze und schlenderte davon.

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Hope Hoffnung Nada
Roman d'amourKurze Info: vielleicht solltet ihr zuerst das andere Buch lesen. Es heisst: My Destiny In diesem Buch werden die Hauptcharaktere aus My Destiny, öfter vorkommen und Nina's Geschichte wird sich hier klären. !!!Achtung!!! In dieser Geschichte kommt de...