Kapitel 50.3

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Lazar:

All die Worte schrien durch meinen Kopf und ich konnte nicht glauben, was ich alles übersehen hatte.
Psychische Misshandlung, körperliche Misshandlung, Vergewaltigung.
Das was ich gelesen hatte, war genau das für mich.
Er hatte Männer in ihrer Anwesenheit zerstückelt um sie so zu warnen.
Er hatte sie wie den letzten Dreck behandelt und sie hatte geschwiegen. Sie dachte, das verdiene sie.
Wie konnte sie nur all das erdulden und trotzdem lieben? Wie stark war sie eigentlich gewesen?
Übermenschlich stark, das stand fest.
Wie sehr sie mich geliebt hat, ich konnte es nicht fassen.
Die Liebe zu mir gab ihr diese Kraft und ich war der Blinde!
Mehr als blind, denn ich hatte es einfach nicht gesehen. Ich hatte mich wohl gefühlt, hatte Kinder und Sonja und ich hatte nicht bemerkt, was mit meiner Nina geschah.
Als sie 40 Kilo wog, hatte ich geglaubt sie wäre von Alleine in die Magersucht geglitten. Auch da hatte ich mich getäuscht, ich war so verdammt blind gewesen!
Hätte ich ihr doch nur gesagt, wie sehr ich sie liebe. Hätte ich es nur gesagt, bevor Sonja in mein Leben gedrängt wurde.
Dafür ist es jetzt zu spät, meine Nina ist tot und ich liege im alten Schlafzimmer und kann nur vor mich hin starren.
Es gab kein Wort für diese Ungerechtigkeit, kein Wort konnte das beschreiben.
"Wieso hast du das zugelassen Herr, wieso?" flüsterte ich vor mich hin aber natürlich bekam ich keine Antwort.
Was sollte er mir schon antworten?
Nina war perfekt als Opfer?
Vielleicht war das ja auch meine Strafe. Ich hatte lange an Sergej geglaubt und Vieles falsch gemacht.
Aber wieso sie?
Wieso musste meine Nina so leiden und sterben? fragte ich mich, als eine bleierne Müdigkeit mich befiel.
Ich schloss meine Augen, konnte die Morgendämmerung einfach nicht mehr ertragen, und träumte zum ersten Mal von ihr.
"Danke mein Schöner, danke dass du mich nicht in der Dunkelheit hast liegen lassen" hörte ich ihre wunderschöne Stimme und sah endlich ihr Lächeln wieder.
"Es tut mit so leid mein Herz, alles tut mir leid. Das hätte nicht geschehen sollen, nicht dir. Ich liebe dich, weisst du das eigentlich? Ich liebe, ich vergöttere dich und ich weiss nicht, ob ich ohne dich leben kann."
Ich spürte ihre Hand an meiner Wange und ihren Daumen dann an meinem Kinn. Sie lächelte mich so liebevoll an, dass mein Herzschlag kurz aussetzte.
"Mein Schöner, du warst, bist und bleibst die Liebe meines Lebens. Der Grund, weshalb ich leben wollte. Es ist unwichtig was geschehen ist, es ist unwichtig was war. Ich weiss, dass du mich geliebt hast und mich jetzt auch liebst und das macht mich glücklich. Du hast mich immer glücklich gemacht Lazare."
Ich wollte sie so gerne umarmen, sie nie wieder loslassen. Ich wollte, dass dieser Traum nie endete.
Und doch wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte mich einfach nicht an ihr satt sehen.
"Darf ich mich zu dir legen? Das durfte ich lange nicht."
Was fragte sie da nur?
Ich nickte nur und spürte, wie sie sich auf mich legte und hätte schwören können, dass ich Erdbeeren roch.
Ich umarmte meinen Traum, spürte wie sie ihr Gesicht an meinen Hals vergrub und war einfach nur glücklich.
"Ich liebe dich Lazo moj, so lange liebe ich dich und diese Umarmung, so zu liegen, habe ich unendlich geliebt. Das Leben mit dir hier habe ich geliebt und ich habe es geliebt dich lieben zu dürfen. Sei nicht traurig, bitte. Mir geht es gut mein Schöner."
Ich umarmte sie fester und spürte meine Tränen.
"Du warst alles für mich, bist alles für mich Jagodo moja. Alles. Verzeih mir meine Blindheit, verzeih dass ich es nicht sah. Alles hätte ich für ein Leben mit dir getan, alles. Ich wünschte, du hättest es mir gesagt. Damals, vor Kurzem, egal wann. Nie hätte er uns schaden können, nie. Ich liebe dich so sehr, ich liebe dich."
Ich hörte ihr Seufzen und dann sah sie mir in die Augen.
Gott, wie liebte ich das Gesicht, diesen Blick und dieses Grün.
"Wir hatten doch ein Leben, also ich hatte ein schönes Leben mit dir um mich. Ich wünschte auch, ich hätte es dir gesagt Lazo aber ich habe Vieles falsch verstanden. Aber ich habe dich immer geliebt und wünsche mir, dass du lebst und glücklich wirst. Das mit Sonja tut mir leid, ich hatte keine Ahnung aber ich war vorhin bei Nikola. Er wird bald wieder der Alte sein. Er ist wie du, er kann schlecht mit seinen Gefühlen umgehen. Wie lange hast du gebraucht, bis du die Liebe zu mir eingesehen hast? Sei nicht zu streng mit ihm, er und Stefan haben viel zu viel mitbekommen. Glaub mir, er wird der beste Mann werden. Genau wie du, nur braucht er noch etwas Zeit."
Natürlich hatte sie recht.
"Er vermisst dich, er trauert und kann damit nicht umgehen. Ich weiss das Nina. Wie hast du nur all ihre Gedankengänge verfolgen können? Die Zwei machen mich wahnsinnig" sagte ich ehrlich und sie lachte.
Lachte so schön und strahlte mich an.
"So schwer ist das nicht, hör nur gut zu. Das ist das ganze Geheimnis, gut zuhören. Und hör mir jetzt zu mein Mann: lebe, erfreue dich am Leben und geniesse deine Kinder. Du wirst Grossvater werden, sehr oft, und du wirst noch eine Weile gebraucht. Ich werde auf dich warten, ich bin nicht in der Hölle und ich warte auf dich. Ich sehe euch zu und ich liebe euch alle so sehr aber dich, dich liebe ich unbeschreiblich. Ich werde warten, so lange es dauert und das tue ich mit Freude. Zeit spielt keine Rolle mehr, glaub mir. Eines Tages werden wir uns nur lieben, umarmen und die Ewigkeit zusammen verbringen können. Das verspreche ich dir. Geh nachher an den Fluss, Nikola wird dort auf dich warten und hör ihm zu. Denk auch nicht mehr an Rache, denk nicht wie du Sergej töten willst. Beschmutze deine Hände nicht, denn ich will sie eines Tages wieder auf mir spüren. Bleib einfach so wie du bist mein Schöner, bitte" sagte sie und ich berührte ihren linken Mundwinkel, berührte ihr so geliebtes Gesicht.
"Ich muss dich küssen Lazare, das habe ich viel zu lange nicht getan" und ich spürte ihre Lippen auf meinen, küsste sie und dann hörte ich noch ein Ich liebe dich.
Wie vom Blitz getroffen sprang ich aus dem Bett und blinzelte heftig.
Mein Herz hämmerte wie wild und ich roch noch immer Erdbeeren.
Gott im Himmel, sie war wirklich hier gewesen!
Ich konnte ihre Lippen noch spüren.
Ich rannte aus dem Haus zum Fluss, merkte dass die Sonne schien und fand Nikola dort, wie sie es gesagt hatte.
"Mama war hier" sagte er so traurig, dass mir die Luft wegblieb.
Ich setzte mich zu unserem Sohn und hielt den Mund.
Ich würde ihm zuhören, wie sie es wollte.
"Eigentlich habe ich an den Blödsinn mit dem Himmel, der Hölle und den Geistern nie geglaubt. Das widerspricht jeder Logik und dennoch, war sie hier. Sie hat mir über den Kopf gestreichelt, sie hat mit mir gelacht und sie hat mich getröstet. Ich vermisse meine Mutter so sehr, dass es mich auffrisst. Ich würde alles tun, um nicht daran zu denken, dass sie tot ist. Wenn ich daran denke, dann ist es, als würden all meine Organe brennen. Es tut so weh Tata" sagte er unter Tränen.
Ich schwieg, er musste das loswerden.
"Stefan kann viel besser damit umgehen, er ist anders und das freut mich für ihn. Er ist irgendwie stärker, glaube ich. Lange habe ich geglaubt, dass ich meine biologische Mutter getötet habe aber Mama hat mir das ausgetrieben und jetzt ist die Frau, die mich mehr als ihr Leben geliebt hat, tot. Sie hat uns so sehr geliebt, dass es fast unwirklich erscheint. Sie hätte mich nicht lieben müssen, doch sie tat es. Nicht nur weil du mein Vater bist, sie liebte mich einfach. So war sie und sie beschützte uns so lange. Bei ihr durfte ich weinen, ich durfte schwach sein, ich musste nicht immer ein scheiss Mann sein!" weinte er und ich hätte mich ohrfeigen können.
"Wie oft habe ich von Sergej gehört SEI EIN MANN. Was zum Teufel bedeutet denn das schon? Ein Mann wie er? Wer will denn so sein? Er ist ein Schwein, nein ein verdammter Psycho und davor hat sie uns beschützt. Das tat sie aus Liebe und sie hatte eine übermenschliche Stärke in sich. Wenn du mich fragst, war sie stärker als alle Männer auf diesem verschissenen Planeten und doch zeigte sie uns ihre Liebe, weinte wenn wir krank waren, liess uns Gefühle zeigen und küsste unsere Tränen weg. Sei ein Mann, was für ein Witz! Ich bin Einer, na und? Keiner von uns ist so stark wie sie, egal ob wir einen Penis zwischen den Beinen haben" sagte er wütend und schüttelte den Kopf.
"Ich habe Mist gebaut und das weiss ich. Ich weiss nicht wie ich mit all dem umgehen soll. Sie wüsste was zu tun ist. Sie würde mich trösten, sie würde mich weinen lassen und mir Kraft geben. Ich vermisse meine Mutter so sehr, alles tut mir weh Tata. Mein ganzer Körper, alles tut mir weh ohne sie. Sie wird mir nie wieder durch die Haare wuscheln, sie wird nie wieder über meinen Blödsinn lachen, ich werde nie wieder ihren schrägen Gedankengängen folgen können, denn sie ist tot. Meine Mutter ist tot! Ich will meine Mutter zurück" sagte er gebrochen und weinte hemmungslos.
Ich musste unseren Jungen umarmen, ich drückte ihn so fest ich konnte an mich und liess ihn weinen.
Ich wurde gebraucht, sie hatte recht. Nikola brauchte mich am Meisten, das sah ich nun.
"Ich will sie auch zurück mein Kleiner, ich will sie auch zurück. Es tut mir leid Nikola. Es tut mir leid, dass du deine Mutter, deine Seelentrösterin verloren hast. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen mein Sohn."
In seinem Inneren war er einfach ein kleines Kind, dass seine Mutter wollte. Das hatte Nina vorhin gemeint, sie wusste es. Zuhören Lazare und trösten. Nikola brauchte das.
"Du warst vom ersten Tag an ihr Baby Niko. Sie hat sich sofort in dich verliebt, du hast ihr Herz erobert und sie liebte es, deine Mutter zu sein. Nicht weil du wie mein Klon aussiehst, sie liebte dich! Das tut sie noch immer, das weiss ich einfach. Sie hat dich als Baby Stundenlang herumgetragen, sie schlief so gerne bei euch und küsste dauernd eure Köpfchen und eure Finger. Genau hier war das, an diesem Ort. Sie hat euch vergöttert und hätte sich auch mit Gott persönlich angelegt, wenn es um euch ging. Aber dich, dich hat sie besonders geliebt. Du warst ihr Baby, du hättest auch drei Meter gross sein können und du wärst ihr Baby gewesen Niko. Sie hat dich nicht geboren aber sie hat dich abgöttisch geliebt. Und du sie auch, das weiss ich doch. Mehr als mich oder Stefan hast du sie geliebt, sie war das Wichtigste in deinem Leben" sagte ich eindringlich und er nickte traurig.
"Du darfst und sollst um deine Mutter trauern mein Sohn. Das ist das Normalste auf dieser Welt und du bist nicht schwach deswegen. Tränen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke. Ein Mann muss Gefühle zulassen können. Es tut mir leid, dachtest du, das sei falsch. Verzeih mir bitte, das wollte ich nicht."
Er lächelte traurig und schüttelte den Kopf.
"Du hast nichts falsch gemacht Tata, ehrlich. Ich vermisse sie nur so sehr und weiss nicht weiter aber" sagte er und räusperte sich "damit muss ich klar kommen. Sie hatte recht, ich brauche wohl Zeit aber ich will diesen Psycho nie wieder sehen. Ich weiss nicht, ob ich mich beherrschen könnte. Das könnt ihr nicht von mir verlangen. Ich verabscheue ihn. Egal wie man es dreht und wendet, er hat meine Mutter auf dem Gewissen und ich verabscheue ihn zutiefst."
Das konnte ich sehr gut verstehen.
"Du musst ihn auch nie wieder sehen, niemand wird das von dir verlangen. Niemand Nikola, das verspreche ich dir" sagte ich ernst und umarmte unseren Sohn wieder.
"Im März hat sie mir hier erzählt, wie sehr sie dich liebt" murmelte er und mein Herzschlag beschleunigte sich wieder.
Er sah mir ernst ins Gesicht und wirkte so viel älter.
Mein Sohn litt und das tat mir wahnsinnig weh.
"Wir sassen hier als sie mir das erzählte und wir weinten zusammen. Sie liebte dich Tata, sie wollte dich nur glücklich sehen und sie hätte alles dafür getan. Die Jahre hier waren für sie wunderschön aber sie war sich deiner Liebe nie sicher. Ich habe ihr aber gesagt, dass du sie liebst. Das sah man dir einfach an. Als sie das hörte, hat sie gestrahlt und vor Freude geweint. Dann hat sie lange in ihrem Tagebuch geschrieben und ich hielt sie umarmt. Komische Sprache habt ihr da erfunden, aber sie schrieb sie auswendig und lächelte. Dann musste sie mit dem Monster nach Griechenland und ist dann gestorben aber sie wusste, dass du sie liebst. Ich hasse ihn, ich wünsche ihm den Tod und es tut mir nicht leid" sagte er bitter und ich nickte verstehend.
Auch Wut gehörte zur Trauer, das wusste ich.
"Ich bin so müde Tata, ich gehe noch schlafen. Ich bin so müde."
"Leg dich hin mein Kleiner, lass dir Zeit" murmelte ich und sah zu, wie er in Richtung des grossen Hauses ging.
Lange sass ich auf den feuchten Steinen und beobachtete den Fluss.
Wie oft wir hier gesessen und gelacht hatten...
"Danke mein Herz, ich danke dir. Komm mich bitte wieder besuchen" flüsterte ich und ging dann auch wieder ins Haus.
Unserem Jungen würde es gut gehen, das wusste ich nun.
Er brauchte nur Zeit.
Wir brauchten alle Zeit, denn sie war unsere Welt gewesen.







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