Kapitel 47

53 3 0
                                        

Nächtelang plagten mich komische Träume. Träume, bei denen ich das Atmen vergass und dann zitternd aufwachte.
Als Lazar's Haus fertig war, wurden sie intensiver und Bogdan machte sich Sorgen.
"Was träumst du so Beängstigendes? Erzähl es mir oder ich drehe noch durch!"
Es war fünf Uhr Morgens und ich war schlecht gelaunt.
"Es sind nur Träume, das geht vorbei" murmelte ich und sah aus unserem Schlafzimmerfenster.
"Das sind nicht nur Träume, du hast Angst. Sag es mir, jetzt!" zischte er genervt.
Ich atmete schwer aus, ging auf unseren Balkon raus und zündete mir eine Zigarette an.
"Sergej. In jedem Traum ist er. Er kommt zu uns, er geht auf Lazar los und du stellst dich vor Lazar. In jedem Traum sehe ich einen von Euch sterben" murmelte ich und blies den Rauch aus "ich höre richtig, wie er dir den Hals bricht. Höre das knackende Geräusch und wache dann auf. Oder ich träume von einer blutigen Hochzeit, von seinem Blut an deinen Händen, weil du ihm die Kehle aufgeschlitzt hast. Ich sehe wie Lazar sich vor Nikola und Stefan stellt, damit sie nicht von Sergej erschossen werden. Es fühlt sich so real an, dass ich vergesse zu atmen."
In meinen Träumen konnte ich den metallischen Geruch des Blutes riechen, irgendwie klebte mir der Geruch auf der Zunge.
Bogdan atmete tief ein und umarmte mich fest.
"Du machst dir sehr viele Sorgen Nado moja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er hier auftaucht und unsere frisch Verlobten, wollen ihn nicht bei der Hochzeit dabei haben. Wir werden eine Lösung finden, das verspreche ich" sagte er sehr ernst.
Lösung?
Nein, das war aussichtslos. Gleich nach der Hochzeit würde es in einem Gemetzel enden, da war ich mir sicher.
Allerdings konnte ich nicht sagen, wer sterben würde.
Dennoch nickte ich und lächelte leicht.
Er sollte sich nicht noch mehr Sorgen um mich machen.
"Nächste Woche ist Stefan's Geburtstag, dann folgen viele Geburtstage von all den Kindern und im März wirst du 30 Nado moja. Daran sollten wir denken und nicht an unseren Psycho-Griechen. Im schlimmsten Fall, betäube ich ihn bis die Hochzeit vorbei ist" sagte er sachlich.
Ja, und dann? Wie würde es weiter gehen?
Lazar soll sich nicht diese Sünde aufladen und mein Bogdan auch nicht, dachte ich. Würden sie Sergej töten...
"Du kannst sagen was du willst, es würde dir weh tun, müsstest du ihn töten" murmelte ich vor mich hin.
Er nickte bedächtig.
"Das würde es. Es würde mir auch leid tun aber wenn es sein müsste" sagte er Schulterzuckend "dann wäre es so mein Engel. Er hat vielen Menschen das Leben zur Hölle gemacht und was ich so von den Jungs gehört habe, macht es mir schwer etwas für ihn zu empfinden" sagte er ruhig.
Das war mir klar.
Er hätte ihn schon lange umgebracht, wäre Sergej nicht sein Bruder.


Genau fünf Tage später hielt ein Laster vor Lazar's Haus und ich staunte, als ich all die schön verpackten Sachen sah.
Alles war in Nina's Schrift beschriftet, in sehr schönen Schachteln luftdicht verpackt und ich konnte leider den Inhalt nicht sehen.
"Wo kommt das alles hin Lazo?" fragte Dejan ihn und nahm schon eine grosse Schachtel.
"Das kommt in Danijela's Zimmer. Der Rest neben mein Zimmer, dort ist ein freier Raum für ihre Sachen" erwiderte er leise.
"Das ist ihr Hichzeitskleid?" fragte ich leise und Lazar nickte abwesend.
"Lazo ich will mich nicht einmischen aber du solltest dir alles genau ansehen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie dir noch mehr Botschaften hinterlassen hat."
Lazar sah meinen Bogdan lächelnd an und nickte wissend.
"Das habe ich vor und deine neugierige Frau soll mir helfen. Das braucht einen ganzen Tag Bogi und sie hat einen guten Riecher für so etwas" sagte er belustigt.
Gott sei Dank!
Ich wollte das unbedingt sehen, ich musste einfach!
"Dann tragen wir alles rein und ihr Zwei könnt dann schnüffeln" erwiderte Bogdan lächelnd und wir schleppten all die Schachteln in das Zimmer neben Lazar's.
Als Erstes packte Danijela das Kleid aus und ich seufzte entzückt auf.
Es war ein traumhaftes Hochzeitskleid und sah wie neu aus.
"Ich glaube, das ist für dich Tata" sagte Danijela lächelnd und reichte Lazar einen kleinen Umschlag.
Lazar liess mich den Inhalt ansehen und ich blickte verwirrt auf die gepresste und konservierte Lilie.
Du weisst was mit ihr machen. Danke, dass du sie mir an dem Morgen gebracht hast.
Nur das stand auf dem kleinen Stück Papier.
Lazar allerdings lächelte und ich seufzte nun frustriert.
"Diese Lilie war in ihrer Brautfrisur" erklärte er schlicht.
"Oh. Sie hat sie konserviert und dann laminiert?"
Er nickte lächelnd und ging mit der Lilie aus dem Zimmer. Natürlich folgte ich ihm.
Er legte sie in die serbische Ausgabe von Ein Sommernachtstraum und ich folgte ihm wieder in das andere Zimmer.
Ich beschloss meinen Mund zu halten und einfach weiter zu beobachten.
Danijela legte das Kleid in ihren Schrank und liess uns alleine.
Lazar öffnete eine weitere Schachtel und nahm einen Anzug raus, in Plastik gewickelt und ich kapierte sofort.
Den hatte er bei Nina's Hochzeit getragen.
Er packte weitere Schachteln aus mit Nina's Maluntesilien und ich schämte mich zutiefst für meine Unordnung bei meinen Malsachen.
Alle Tuben, alle Pinsel und Bretter waren makellos sauber von Nina verpackt worden.
Obwohl viele der Tuben benutzt waren, klebte keine Farbe an ihnen und sie waren schön aufgerollt.
"War sie immer so ordentlich?" fragte ich ungläubig.
"Wenn es um ihre Maluntensilien und das Musikzimmer ging, dann ja. Es hat sie nie gestört wenn die Kinder ein Chaos hinterliessen, ihre Spielsachen überall verteilten oder alles vollschmierten. Nichts störte sie aber sie hielt immer Ordnung wenn es um das Musikzimmer und die Malsachen ging" sagte er zärtlich.
"Dafür hatte sie nichts für teure Kleidung oder Schuhe übrig. Es war ihr egal, ob die Kinder in ihren Kleidern malten oder sie zerschnitten um daraus etwas zu basteln. Sie hat tatsächlich einmal, einen GUCCI Mantel mit ihnen zusammen zerschnitten, weil die Jungs daraus ein Ninja Köstum machen wollten" lachte er vor sich hin.
"Allerdings reichte der Stoff nicht, also schnitt sie einfach noch ein Seidenkleid in Stücke und nähte mit ihnen das Kostüm."
Ich lachte mit ihm. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie dabei ausgesehen hatte.
"Ich kriegte mich nicht ein vor lauter Lachen damals. Sie allerdings streckte mir die Zunge raus und sagte: weisst du mein Schöner, das nennt man Recycling!"
Er schüttelte den Kopf und stellte eine Staffelei auf.
Vorsichtig platzierte er sie vor die Balkontüre und nahm dann ein Bild nach dem Anderen aus den Schachteln.
Meine Güte, Nina war brillant gewesen!
Nie im Leben würde ich so malen können, fuhr es mir durch den Kopf.
Sie hatte alle Kinder gemalt. Als Babys und als Kleinkinder.
Nur Lazar's Jüngsten hatte sie als Baby malen können, mehr Zeit hatte sie nicht.
Die Bilder machten mich traurig und Lazar auch.
Das sah ich seinen Augen und seinem traurigen Lächeln an.
In all den Farben, in jedem Pinselstrich, sah man Nina's Liebe.
Sie hatte auch ein Bild von Sergej und Lazar zusammen gemalt, mit Sonja, den Waldrand und die Hunde.
Das ganze Leben auf 24 grossen Bildern.
Dann nahm Lazar eine kleinere Schachtel und seufzte auf.
In ihr befanden sich kleine Dosen und auf jeder war der Name der Kinder.
Die Dosen waren aus Silber und ich begriff, dass sie für die ersten, rausgefallenen Milchzähne waren.
So ähnliche hatte ich auch.
Lazar legte sie lächelnd auf die rechte Seite der eingebauten Regale.
Dann öffnete er vier grosse Schachteln und ich sah staunend zu, wie er Bücher einräumte.
"Das waren ihre Lieblingsbücher. Sie hat sie gesammelt, mehrmals gelesen und sie dann eingelagert" erklärte leise.
Es waren bestimmt mehr als 200 Bücher und alle waren sehr gut erhalten.
"Lazo, vielleicht solltest du die Bücher durchblättern. Es kann sein..."
Er schüttelte den Kopf und unterbrach mich.
"Nein. Das wäre zu offensichtlich gewesen. Ich glaube, ich werde es schon merken, wenn da noch mehr zu finden ist."
Er hatte wahrscheinlich recht. Hätte Sergej die Bücher durchgeblättert, hätte er sofort etwas gefunden.
Als Lazar aber eine alte Bibel in die Hand nahm, runzelte er kurz die Stirn und befühlte den ledernen Einband.
Als er an einer Ecke etwas zog, flatterte ein Notizzettel raus.

Hope Hoffnung NadaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt