Kapitel 64

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Nikola, Nina: "Mama das muss ein Ende haben, ich muss ihn aus diesem Krankenhaus holen. Er muss weg von den Geisterbett, dem Geruch...er muss weg von Nela, er darf sie nicht mehr andauernd so sehen! Er verrät seine Gedanken nicht, nicht mal du kommst in seinen Kopf, und du willst seine privaten Gedanken nicht belauschen. Ich verstehe dich, aber so geht das nicht mehr. Er darf nicht daran zerbrechen, er muss sich sammeln, für das Baby." Endlich hatte ich einen ungestörten Moment mit meiner Mutter alleine und konnte mit ihr offen reden. Stefan andauernd so zu sehen zerrte an meinen Nerven, meinen Vater so zerrissen zu sehen, zu warten wann meine Mutter wieder weg musste, Tijana hatte ich verloren, Nela, der kleine Boki...es war zu viel. Jemand musste endlich rational denken. Und das kannst also nur du im Moment mein Kleiner? meinte meine Mutter schmunzelnd. "Wir sind alleine Mama also sprich ruhig laut und geistere nicht in meinem Kopf herum" sagte ich dann lächelnd "ja Mama, ich glaube fast, es ist so. Unser Pitbull ist emotional..., also wegen dir, ist er gerade emotional auf einem Höhenflug. Er hat aber gleichzeitig ein schlechtes Gewissen deshalb, deshalb unternimmt er nichts. Nur Tante Nada und Bogi, denen ist es egal, was andere gerade denken. Ich weiss zwar nicht, was du angestellt hast, aber es ist fast gruselig, Bogi so glücklich zu sehen. Dann wenn man sie zusammen sieht...als wären sie Radioaktiv verseucht worden! Sie leuchten vor Glück und Ausgeglichenheit" murmelte ich. Es war wirklich fast schon gruselig, wie sie sich benahmen. Seit Tante Nada aus dem Krankenhaus entlassen wurde, klebten die Zwei aneinander. Das war zwar schön, aber man konnte nicht lange in ihrer Nähe sein. Sie starrten sich Minutenlang in die Augen, waren zusammen in den Ställen, fuhren die Kinder immer zusammen in die Musikschule, nicht mal beim Training waren sie getrennt. Tante Nada feuerte Bogi an wie ein Cheerleader, weinte wenn ich ihm eine blutige Lippe verpasste, verarztete ihn sofort und...tja, das war es dann auch schon mit dem Training gewesen! Ich hatte ein dermassen schlechtes Gewissen bekommen, dass ich nicht mehr mit Bogi trainierte. Ich konnte Frauen einfach nicht weinen sehen. Dann die kleine Lea...es war einfach nur furchtbar gewesen, ein Kind so misshandelt zu sehen. Doch auch sie, blühte irgendwie auf. Ihr Gesicht hatte wieder eine normale Farbe, sie hatte deutlich weniger Schmerzen, sie lächelte und sprach auch schon ganze Sätze. Es lag wahnsinnig viel Liebe in der Luft, viel zu viel Harmonie auf der einen Seite, und dann verzweifelte Trauer auf der anderen Seite. Momentan war es, um es genau auszudrücken, wie in einem emotionalem Schleudertrauma. Ich war sehr froh, waren so viele liebe Menschen glücklich, aber der psychische Zustand meines Bruders beschäftigte mich nur noch. Ach Nikola, du hast ja recht. Lazar und ich...wir wollten Stefan genug Zeit lassen, aber so wie er sich verhält...du hast recht. Stefan's Psyche, und auch seine Emotionen, sind blockiert, und zwar absichtlich. Er lässt mich nicht in seinen Kopf und er hält alle auf Distanz. Er blockt alles und jeden ab.  "Natürlich tut er das, so ist er, wenn er verzweifelnd etwas zu verstehen versucht. Nur bringt das jetzt nichts, er muss aus diesem Denkerkoma raus. Halt mich bitte nicht für kaltblütig Mama, aber sie ist tot. Ich wünschte...ich würde ihm ein Märchen wünschen Mama. Ich wünschte, Nela würde aufwachen, sich nicht an den ganzen Mist erinnern, ihn und das Baby abgöttisch lieben und dass die Zwei auf Ewig glücklich sind. Das wäre mein Wunsch aber...das ist kein Märchen, das ist die Realität. Das Baby wird in etwa 3 Monaten geholt werden, Nela wird dann bestattet werden und Stefan muss dann Vater sein. Er muss, und zwar jetzt, aus seinem persönlichem Psychodrama raus. Jetzt Mama, sonst wird er zerbrechen. Ausserdem, und das klingt vielleicht grausam, haben wir noch andere Probleme. Tante Maja...sie gibt sich Mühe, seit sie zurück sind, aber ich habe gesehen, wie sie absichtlich erbricht. Sie hat Bulimie Mama, das weisst du bestimmt. Natürlich war der Auslöser dafür, ihre Angst, aber jetzt? Sie erträgt es nicht, Onkel Dejan so traurig zu sehen. Er ist tieftraurig wegen Nela und Tante Maja, naja, sie gibt sich irgendwie die Schuld daran. Sie ist in einem Teufelskreis Mama und wenn du mich fragst, brauchen Einige hier, eine kollektive Psychotherapie" erklärte ich ihr meine Gedanken. Nicht jeder war wie unsere Mutter, nicht jeder konnte sich aus einer Sucht oder Verzweiflung befreien. Maja brauchte Hilfe, und das dringend, nur...nur kann man dieses Chaos keinem Arzt oder Psychiater anvertrauen. Manchmal hilft auch die Liebe nicht, das weiss ich. Dejan will ihr helfen, er tut was er kann, aber sie braucht eine andere Form von Hilfe. Maja muss ihre Gedanken und Gefühle frei äussern können, ohne den Ballast, dass sie denkt, Dejan zu verletzen. Sie hat eine Sucht entwickelt, Bulimie ist ein Alptraum, und so wie es gerade ist, kann sie mit niemandem frei reden. Stefan ist in einer ähnlichen Situation, er hat sich verschlossen, er ist in seinem Kopfchaos gefangen. Er wird mich aber nicht zu sich durchdringen lassen Nikola, das weiss ich schon. "Ja, wird er nicht, aber vielleicht Maja? Darfst du ihr helfen? Darfst du ihre Psychiaterin sein?" Wer sonst, konnte so verschwiegen sein, wie unsere Mutter? Niemand, nicht mal unser Vater. Als ich ihren nachdenklichen Blick sah, musste ich einfach lächeln. Wahrscheinlich dachte sie gerade, dass sie sich nicht zum Geister Psychodoc eignet, aber wieso nicht? Maja brauchte Hilfe und die Katze wäre aus dem Sack. Dejan würde uns nicht mehr so komisch ansehen und uns fragen, mit wem wir denn sprachen. Stefan allerdings...ja, Stefan braucht etwas anderes. Ich glaube...also ich bin mir nicht sicher, aber wieso bringst du Lea nicht mal ins Krankenhaus? Sie hat mehrmals gefragt, wo er ist, und ob sie Nela besuchen darf. Sie kannte Nela nicht, aber sie würde gerne etwas zurückgeben, jedenfalls denkt sie sich das so. Sie findet es schrecklich, was Stefan durchmachen muss, und möchte irgendwie helfen. Die Mädchen und der kleine Lazar haben Lea sofort akzeptiert und doch...sie denkt, wenn sie etwas Gutes tut, dann verdient sie sich so einen Platz in der Familie. Ihre Gedanken sind immer herzlich und wahnsinnig unschuldig. Vielleicht würde sie ja...naja, Stefan irgendwie gut tun? Allerdings  sagte sie das etwas zweifelnd, aber auch das war einen Versuch wert. Das Nächste wäre dann, Stefan K.O. zu schlagen, und ihn nach Hause zu verfrachten. Sonst sah ich keine anderen Lösungen. K.o. schlagen? Nikola,ehrlich? Das würde auch nichts bringe, vertrau mir. Stefan muss einsehen, dass er nicht die Schuld an dem Ganzen trägt und, das ist ganz wichtig, er darf sich auf sein Kind freuen. Er verbietet sich gerade diese Freude, aber das soll er nicht. "Dann lass es uns versuchen Mama, wir müssen etwas unternehmen. Ich kann ja mit Lea ins Krankenhaus fahren, vielleicht dringt sie ja zu ihm durch. Ein Kind, dass so etwas Schreckliches erlebt hat, kann ihn vielleicht auf andere Gedanken bringen. Ausserdem ist sie winzig, süss und er weiss, dass sie ihn nicht zu seinem Glück zwingen will. Sie ist also keine Bedrohung für sein Psychochaos, sie ist ein liebes Kind und hoffentlich reisst er sich in ihrer Gegenwart zusammen. Maja kannst du übernehmen, aber bitte nur, wenn sie alleine ist. Jedenfalls mal für heute. Wenn sie den Schock überwunden hat, dann zeig dich Dejan und alle sind im Bilde." Ich fand diesen Plan gar nicht mal so schlecht, doch meine Mama runzelte die Stirn. Vielleicht solltest du beim ersten Mal dabei sein, bei Maja meine ich. So wird sie es vielleicht eher akzeptieren und nicht gleich zusammenklappen, oder in der Klapsmühle wegen mir landen. Ich lachte leise über ihre Grimasse und ihren skeptischen Blick. "Dann hast du also die Erlaubnis vom Allmächtigen?" fragte ich interessiert, während sie die Lippen schürzte und mit den Schultern zuckte. Es sieht so aus, jedenfalls habe ich das Gefühl. Sollte es nicht sein, werde ich es schon merken. Weisst du Nikola, ich fand die Psyche der Menschen schon immer faszinierend und jetzt kann ich eine Psychotante sein, so schlecht ist das auch wieder nicht, oder? Kichernd musste ich ihr zustimmen, es war nicht schlecht. Es war einfach nur wundervoll, sie hier zu haben, ihre Mimik beobachten zu können und sie umarmen zu dürfen. Ich war unendlich dankbar für dieses Geschenk. "Na dann liebste Mutter, lass uns Maja in Ohnmacht versetzen, und dann sehen wir weiter. Denkst du sie fällt um wie ein gefällter Baum oder anmutig wie ein Schwan?" feixte ich auf dem Weg zur Tür. Schwäne  sehen nur elegant aus, in Wahrheit sind die Biester sehr aggressiv. Sie haben keine Geduld, sie greifen sofort an und sie sind wahnsinnig verfressen. Das einzig elegante an ihnen, ist ihr langer Hals. Da ist mir ein Baum lieber Nikola meinte sie sachlich, was mich zum Lachen brachte. "Gut, dann wetten wir eben nicht. Aber im Ernst, wird sie in Ohnmacht fallen? Vielleicht sollten wir ja eine Matratze mitnehmen, damit sie weich fällt" grübelte ich laut vor mich hin. Einige Arbeiter sahen mich komisch an, sie fragten sich, wieso ich mit mir alleine sprach. Nur war mir das egal, ich hörte meine Mutter in meinem Kopf, das reichte mir. Nein, Nikola, Maja hält das schon aus und jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Dejan ist mit Bogi bei den Stuten, die Kinder sind mit Nada auch bei den Beiden. "Na dann, lass uns Unfrieden stiften und dann therapier sie bitte. Am Nachmittag bringe ich Lea zu Stefan und hoffentlich endet dieses Drama dann mal" brummte ich vor mich hin. Mir war klar, dass ich ziemlich harmoniebedüfrtig war, aber auch ich hatte meine Grenzen. Langsam aber sicher, näherte ich mich meiner Grenze, und das mussten die Anderen auch verstehen. Du hast recht, das müssen und das werden sie. Auch du brauchst deine Familie und sie müssen begreifen, dass auch du dich nicht gut fühlst. Du brauchst Ordnung in deinem Leben und daran ist nichts falsch mein Kleiner. Es tut mir leid wegen Tijana, ich wünschte, das wäre anders gelaufen. "Mir tut es nicht leid Mama. Natürlich vermisse ich sie und auch ihre Briefe, aber...ich habe erlebt, wie es ist, sich zu verlieben. Dafür bin ich dankbar. Sie war vielleicht nicht die Richtige, aber die Richtige wird schon kommen. Irgendwo ist sie, daran glaube ich" murmelte ich, als ich an Majas Tür klopfte. Ich hatte mir angewöhnt, bei ihnen zu klopfen, seit es Maja so schlecht ging. Als meine Tante vorsichtig die Tür öffnete, zog sich mein Herz zusammen. Sie sah müde, kränklich, wahnsinnig mager und fahl aus. Ihr Gesicht hatte eine gräuliche Farbe angenommen und ihre Finger waren nur noch knochig. Wenn ich richtig schätzte, wog sie vielleicht 38kg. Wir mussten ihr helfen, so konnte das nicht mehr weiter gehen. Meine Tante lächelte mich dann an, und bat mich ins Haus. "Nikola, du musst nicht klopfen, das weisst du. Du bist hier doch auch Zuhause. Willst du etwas trinken, hast du hunger?" fragte sie gespielt fröhlich, aber sie konnte nicht gut schauspielern. "Nein danke Tante Maja, ich bleibe nicht lange. Ich weiss, dass ich nicht anklopfen muss, aber weisst du, ich habe mir das angewöhnt. Jedenfalls bei euch" sagte ich direkt und konnte sehen, wie sie etwas verwirrt blinzelte. "Wieso denn bei uns?" flüsterte sie fast, sie konnte es sich sicherlich denken. "Weil es dir nicht gut geht, du andauernd angst hast etwas Schlimmes könnte wieder passieren, du nie das Haus verlässt und, und das ist ganz wichtig, du dich fast zu Tode hungerst" antwortete ich in einem lieben Ton, aber ich antwortete ehrlich. Ich konnte sehen, wie ihre Finger anfingen zu zittern und wie sich ihre Augen weiteten. Ich wollte ihr nicht weh tun, ich wollte sie auch nicht kränken, aber anders würde sie mich vielleicht nicht verstehen. "Ich habe dich sehr lieb Tante Maja, ich möchte dir helfen, und anders weiss ich sonst nicht wie. Ich werde dich auch nicht anlügen, oder es schön reden. Ich habe furchtbare Angst um dich, das sollst du wissen" sagte ich sanft und sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. So Mama, jetzt bist du dran. Ich kann Frauen nicht weinen sehen, das bringt mich um! Ganz der Vater hörte ich sie, bevor sie...tja, Maja's Stimmbänder hatten nicht unter der Bulimie gelitten! Sie schrie so panisch auf, dass sogar ich zusammen zuckte. War das vielleicht doch keine gute Idee gewesen? "Das...heiliger Jesus! Bin ich tot? Ich muss tot sein, wenn ich SIE sehe, oder? Nikola, Niko, bin ich, sind wir tot? Was geschieht denn hier? Was habe ich nur getan? Ich bin tot, meine Kinder sind ohne Mutter, mein armer Dejan! Aber...wieso bin ich denn tot und stehe in meiner Küche? Nikola, wieso bist du hier? Bilde ich mir das ein? Träume ich das?" ratterte sie panisch herunter, und bevor ich antworten konnte, warf meine Mutter ihr einfach eine Kirsche an den Kopf. Tja...das würde eine interessante Therapie werden. Tante Maja blinzelte heftig, fasste sich an die Stirn, sah auf die Kirsche zu ihren Füssen, dann auf die Kirschen in der Fruchtschale auf dem Tisch und dann, sah sie uns nur dümmlich an. "Wieso bewirfst du sie denn mit Kirschen Mama?" fragte ich zögerlich. Naja, sie war fast schon vor einem Nervenzusammenbruch und dachte, sie würde träumen oder haluzinieren. Deshalb dachte ich, so zeige ich ihr, dass sie nicht träumt und auch nicht verrückt ist. Schon ulkig, als Mensch war ich sehr schlecht im Zielen antwortete sie laut und schulterzuckend. Die arme Maja riss die Augen noch mehr auf und zuckte heftig zusammen. "Ehm, Tante Maja, vielleicht solltest du dich setzen. Hier, ihr habt eine sehr bequeme Couch, bitte setz dich" sagte ich, und führte sie zur Couch, während sie nur mit aufgerissenen Augen nickte. Falls meine Mutter eine Schocktherapie versuchen wollte, dann hätte sie nun ihr Ziel erreicht. Die arme Maja war geschockt und starrte meine Mutter nur an. Als ich zu meiner Mutter schielte, nickte sie mir lächelnd zu. "Tante Maja, ich lasse euch alleine. Ich verspreche dir, du hast hier den besten und verschwiegendsten Gesprächspartner, den es gibt. Ich bitte dich, sprich mit meiner Mutter, bitte" flüsterte ich ihr ins Ohr und küsste ihre bleiche Wange. Dann räusperte ich mich, gab meiner Mama einen Kuss auf den Kopf, und liess die Frauen alleine. Ich musste zu Lea und sie um einen Gefallen bitten.


Hope Hoffnung NadaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt