Kapitel 2

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Nach meinem herrlich langweiligen Wochenende wachte ich am Montag um 03.00 Uhr schweißgebadet auf und keuchte laut.
Mein Magen rebellierte wieder und ich lief wie eine Verrückte schnell ins Bad.
Es war immer das Gleiche seit Jahren.
Ich schlief vielleicht 4 Stunden, wurde dann von meinen Alpträumen heimgesucht und kotzte mir die Seele aus dem Leib.
Das hatte ich verdient und hatte gelernt damit zu leben, dachte ich als ich mein Spiegelbild betrachtete.
Ich sah aus wie ein Geist.
Fast durchsichtig könnte man meine Haut beschreiben und die violetten Augenringe machten mich noch blasser.
Theoretisch war ich hübsch aber ich sah, gerade jetzt, sehr krank und verängstigt aus.
Seufzend wusch ich mir das Gesicht und putzte meine Zähne.
Ich würde mir bald die Haare selber schneiden müssen, denn ich ertrug es nicht angefasst zu werden.
Sie waren viel zu lang, reichten mir fast bis zum Kreuz.
Mein Papa hatte meine blonden Locken geliebt, hatte immer gesagt ich würde wie ein Engel aussehen und wäre das Ebenbild meiner Mutter.
Er hatte meine Mama sehr geliebt und ihren Tod nie verwunden.
Nach meinem 15 Geburtstag hatte meine Mutter einen schlimmen Autounfall gehabt und verlor den Kampf im Krankenhaus.
Ich hatte lange um meine Mutter getrauert aber der Tod meines Vaters hatte mich bis ins Mark erschüttert.
Traurig machte ich mir einen dicken Zopf und ging dann, von Max begleitet, in die kleine Küche.
Ich musste erst um 08.00 Uhr anfangen aber an Schlaf war nicht mehr zu denken.
Ich machte mir einen Kaffee und sah in die Finsternis hinaus.
Später würde ich mit Max eine Runde spazieren und ihn dann mit zur Arbeit nehmen.
Der Tag heute würde anstrengend werden, der Terminkalender vom Doc war voll und ich würde mindestens 20 Leuten Blut abnehmen müssen, deshalb durften meine Hände nicht zittern und ich musste mich beruhigen.
"Machen wir uns ein tolles Frühstück Max? Hast du Lust auf Speck?" fragte ich den Kleinen und er bellte begeistert.
Zu Željko Joksimović's Lied Devojka auf meinen Handy, briet ich summend den Speck und die Eier.
Mit der Musik beruhigte ich mich immer und erlaubte mir die Liebe zu meinen Wurzeln.

"Doc, ich weiss wir haben Feierabend aber ein Mann hat angerufen. Sein Boss auf der Farm oder Ranch? Keine Ahnung. Jedenfalls hatte er einen Unfall an irgendeinem Zaun und es sollte vielleicht genäht werden. Kann er kommen?" fragte ich erschöpft den Doc und er nickte eifrig.
"Natürlich. Das muss der neue Farmer sein. Er hat letztes Jahr zwei Farmen aufgekauft und macht sich schon jetzt einen grossen Namen."
Plauderte Doc fröhlich doch ich hörte nicht richtig zu, ich staunte über den Nachnamen den mir der Mann nannte.
Milenković?
Hier?
Ich dachte wirklich ich wäre die Einzige Serbin hier.
Allerdings hatte ich es vielleicht falsch verstanden, denn der ältere Mann am Telefon konnte den Namen kaum aussprechen.
Die meisten Amis konnten diese Namen nicht aussprechen, nicht mal der Doc sprach meinen kurzen Vornamen richtig aus.
"Nada hörst du mich? Ich glaube es ist ein Landsmann von dir, bin aber nicht sicher." riss mich der Doc aus meinen Gedanken.
"Das werden wir sehen Doc" meinte ich nur desinteressiert.
"Ich habe ihn mal kurz gesehen und angesprochen aber er ist sehr wortkarg" plauderte der Doc weiter "allerdings finden ihn die Damen im Cafe sehr gut aussehend. Meine Frau übrigens auch" erzählte er schmunzelnd.
Ich nickte nur lächelnd und notierte mir den Namen.
Wie Männer aussahen war mir egal.
Ich hatte mich ein Mal in das Äussere verliebt und es bitter bereut.
Männer waren nichts für mich, Jungs waren nichts für mich und Sex war abscheulich.
Wenn ich ehrlich zu mir war, wusste ich nicht was richtiger Sex war.
Sex verband ich nur mit Schmerzen.
Schnell verschwand ich ins Bad um mir das Gesicht zu waschen.
Diese Bilder in meinem Kopf bereiteten mir Übelkeit und ich musste mich zusammen reissen.

"Nada, bei diesem Patienten brauche ich ihre Hilfe, die Verletzung ist gross" rief der Doc und ich eilte aus dem Bad.
Mechanisch desinfizierte ich meine Hände und zog dann die Handschuhe an als ich ins Behandlungszimmer eintrat und, typisch für mich, in jemanden reinprallte.
Ich sollte wohl doch nicht dauernd auf meine Füsse sehen beim Laufen..
"Verzeihung" sagte ich leise und war auf Augenhöhe mit einer riesigen Brust.
Naja, eher fast auf Bauchnabelhöhe.
Langsam und erschrocken hob ich nervös meinen Blick nach Oben und schluckte geräuschvoll.
Heiliger Jesus war dieser Mann gross!
Mein Vater war 1.85 gewesen und ein Riese für mich aber dieser Kerl da?
Wie gross war er denn bitte?
Nach einer Ewigkeit und schon steifem Nacken, blickte ich in ein markantes und sehr männliches Gesicht.
Arrogant.
Dieses Wort fuhr mir durch den Kopf.
Er sah emotionslos und arrogant auf mich herunter.
Zweifelsohne sah er sehr schön aus mit den stehend blauen Augen, dem schwarzen Haar und dem schwarzen Dreitage Bart.
Irgendwie setzte mein Herzschlag viel zu lange aus und ich schrieb es meiner Angst zu.
Er wirkte ziemlich einschüchternd.
"Bitte verzeihen sie, ich war in Gedanken" murmelte ich leise und drückte mich irgendwie an ihm vorbei zum Doc.
Er nahm den ganzen Platz in der Tür ein.
"Kein Problem" sagte der Kerl mit einer rauen und sehr tiefen Stimme.
"Nada sie müssen mir assistieren, das ist eine lange und tiefe Wunde" sagte der Doc und wandte sich dann an den Mann "Hr. Milenković ich werde ihnen die Betäubung spritzen und dann nähen" doch der Kerl unterbrach ihn.
"Doc nennen sie mich doch einfach Bogdan. Ihr Amis könnt diese Nachnamen nicht aussprechen" sagte er kühl, ohne jede Emotion.
Der Doc lachte leise und duzte ihn.
"Keine Betäubung Doc, machen sie was sie müssen. Ich habe noch sehr viel Arbeit."
Der Doc stutzte und sah sich kritisch die Wunde an.
"Das wird weh tun junger Mann. Von der Schulter bis zum Ellbogen...das wird sehr weh tun."
Dieser Bogdan verzog nur den rechten Mundwinkel und sah mich dann komisch an.
Bogdan...von Gott gegeben übersetzt.
Komischer Kerl, sehr angsteinflössend und hart.
"Machen sie nur Doc, das ist nicht die erste Wunde."
Sein Akzent war stark ausgeprägt und jetzt erst sah ich ihn mir richtig an.
Er zog sein Shirt ganz aus und ich sah schlimme Narben auf seinem linken Arm, dem linken Rippenbogen und, ich war nicht sicher, Narben von Kugeln an der linken Schulter.
Fast die ganze linke Seite seines Oberkörpers war mit Narben bedeckt.
Auf seinem riesigen Rücken hatte er drei Wörter tätowiert
LJUBAV NADA VERA
LIEBE HOFFNUNG GLAUBE
auf Kyrillisch.
Das Tattoo bedeckte fast seinen ganzen Rücken.
War er so gläubig?
Wenn ich ihn mir so ansah... keine Chance!
"Bogdan sie haben ja Einiges erlebt wenn ich mir ihre Narben so ansehe" murmelte der Doc bewegt.
Bogdan zeigte keine Regung, zuckte nur mit der linken Schulter und der Doc machte sich an die Arbeit.
Ich stellte mich neben Bogdan und hielt seine rechte Schulter fest.
Bei meiner Berührung zuckte er leicht zusammen aber gab keinen Laut von sich.
Er tat mir leid, das würde sehr lange sehr weh tun.
Der Doc brauchte über eine halbe Stunde um das Blut zu stillen und um die Haut zu reinigen.
"Du heisst Nada?" riss mich Bogdan aus meinen Gedanken.
Gott, mich hatte so lange niemand auf Serbisch angesprochen.
"Ja" antwortete ich unsicher und schluckte meine Tränen runter.
Serbisch verband ich mit meinem Papa...
"Schöner Name mit einer grossen Bedeutung" hörte ich wieder seine raue Stimme.
"Genau wie ihrer.
Von Gott gegeben" murmelte ich. Ich wusste nicht was ich sagen sollte.
"Wieso möchten sie keine Betäubung? Das tut sicher sehr weh" fragte ich dann geradeaus als ich zusah wie der Doc in seine Haut stach.
"Es gibt Schlimmeres Engelchen."
Wie bitte?
Engelchen?
Wahrscheinlich hatte er einen Sitzen.
"Wie alt bist du Nada?"
Zutiefst verwirrt, reichte ich dem Doc einen Tupfer mit medizinischem Jod und sah dann wieder in Bogdan's eisige Augen.
"Ich glaube, das müssen sie nicht wissen. Ich möchte nicht unhöflich sein aber sie sind ein Patient..." stammelte ich drauf los und erbleichte noch mehr unter seinem eisigen Blick.
Huch, konnte der böse aussehen!
Er wandte sich sogleich dem Doc zu.
"Sie haben eine nette Assistentin. Geht sie noch zur Schule?"
Überfordert sah der Doc kurz zu ihm und dann wieder auf die Wunde.
"Nada ist doch schon 21. Sie ist die Beste. Sagen sie mal junger Mann, spüren sie das überhaupt? Sie tun ja so, als würde ich ihnen nicht in die Haut stechen!"
Der Doc war verwirrt und ich auch.
Ausserdem fand ich ihn unverschämt aber er war ein Patient, leider.
Ich musste freundlich zu ihm sein.
"Es gibt Schlimmeres Doc. Sie machen das gut, sie sind ja schon mit der Hälfte fertig" sagte Bogdan amüsiert und drehte den Kopf wieder zu mir.
"Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Bitte entschuldige" murmelte er leise auf Serbisch und ich nickte nur.
Ich sah auf seine langen Arme und entdeckte auf seinem gewaltigen Unterarm ein schönes Orthodoxes Kreuz.
Vielleicht doch religiös?
"Ich dachte ich wäre hier der Einzige, schon lustig. Sind deine Eltern Farmer?" fragte er abwesend und ich versteifte mich automatisch.
Mein Herz zog sich unschön zusammen.
"Meine Eltern sind tot" sagte ich eisig und konzentrierte mich auf seine Wunde.
"Das tut mir leid" sagte er leise und lächelte leicht.
"Wieso denn? Sie haben sie doch gar nicht gekannt, wieso sollte ihnen das leid tun? Ich nehme an es stimmt auch nicht, sie betreiben doch nur Smalltalk um mal wieder Serbisch zu sprechen" zischte ich ihm zu und blinzelte meine Tränen weg, starrte auf die blutige Wunde und hoffte er würde die Klappe halten.
Ich konnte falsches Mitleid und diese Floskeln nicht ausstehen.
Er schnaubte nur und ich sah, wie er seine schönen dunklen Augenbrauen zusammen zog.
Sollte er doch denken was er wollte.
Er sollte nur aufhören zu reden!
Er schwieg und starrte mich einfach an.
Das war mir sehr unangenehm und ich wollte wegrennen.
Dieser Mann war komisch.
Alles an ihm war anders, er sah gefährlich, hart und kalt aus.
Er machte mir nicht richtig Angst aber sein Starren war mir unangenehm.
Vielleicht lag es auch an den wenigen Worten in meiner Muttersprache die mich so durcheinander brachten.
Das hatte ich lange nicht mehr gehört...
"So Bogdan, das hätten wir. Nada wird die Wunde noch säubern und verbinden. Ich hole ihnen die Antibiotika und die Schmerzmittel" riss mich der Doc aus meinen Gedanken
"Sie sollten mit dieser Wunde die nächsten zwei Wochen nicht arbeiten junger Mann" warnte der Doc ihn.
"Wollen sie dann meine Arbeit erledigen Doc?" fragte Bogdan im arrogantesten Ton den ich je in meinem Leben gehört hatte!
"Ha, nein danke, passen sie einfach auf" lachte der Doc.
Ich achtete nicht auf die Beiden sondern säuberte vorsichtig die Haut um die Wunde und klebte sie so sachte wie nur möglich Wasserdicht ab.
"Der Verband muss mehrmals gewechselt werden. Können sie das alleine?" fragte ich ruhig und leise.
Der Kerl machte mich nervös.
"Das werde ich herausfinden. Sonst komme ich wieder in die Praxis" sagte er gedehnt und das klang fast wie eine Drohung.
Oder ich bildete mir das ein, wer weiss das schon.
Ich nickte kurz und machte mich daran, alles wieder aufzuräumen.
"Sie müssen noch die Personalien ausfüllen" ich wollte mich abwenden und das Formular holen, als er mich an der Hand packte.
Angst schnürte mir die Kehle zu und ich entriss ihm panisch meine Hand.
Meine Finger zitterten als ich in sein überraschtes Gesicht blickte.
"Habe ich dir weh getan? Das wollte ich nicht, tut mir leid" sagte er eindringlich und sah mir forschend in die Augen "ich wollte dich bitten, das Formular für mich auszufüllen. Meine Finger fühlen sich etwas komisch an."
Bogdan sah mich wieder kalt und verschlossen an und ich zwang mich, meine Atmung zu kontrollieren.
"Natürlich" flüsterte ich und floh aus den Behandlungszimmer um das Formular zu holen.
Kurz schloss ich meine Augen und schämte mich dann.
Er hatte nichts getan und ich war fast ausgerastet.
Ich musste mich entschuldigen, er war Doc's Patient.
"Hr. Milenković ich möchte mich bei ihnen entschuldigen. Ich war in Gedanken, Verzeihung" stotterte ich verlegen und fing an seinen Namen aufzuschreiben.
"Kein Problem. Danke für deine Hilfe" erwiderte er kalt und mein Magen zog sich zusammen.
Er war anscheinend sauer.
"Geburtsdatum?" fragte ich leise.
"15.08.1978" antwortete er monoton.
Er würde bald 33 werden. Genau in drei Monaten.
Ich füllte seine Sozialversicherungsnummer und die Adresse aus und kapierte dann erst.
"Die riesigen Farmen wo der grosse Fluss anfängt, gehören ihnen?" rutschte es mir heraus.
Er nickte leicht und sah mich wieder forschend an.
"Ja. Der alte Besitzer konnte sie nicht mehr halten." sagte er abwesend und schaute auf das Formular.
"Du hast eine schöne Schrift. Danke dafür" sagte er kurz angebunden und zog sein zerrissenes Shirt an.
Er lächelte kalt und ging raus wo der Doc auf ihn wartete.
"Die Schmerzmittel können sie behalten Doc, ich brauche nur die Antibiotika." verabschiedete er sich und ich blickte nachdenklich auf das Blut auf dem Boden.
Komischer Mann.
Als ich den Boden reinigte, fragte ich mich plötzlich, wo er all die Narben her hatte und trotz des ganzen Blutes konnte ich ihn immer noch riechen.
Er roch gut nach Mann und leicht nach Pacco Rabanne.
Ein Farmer mit so einem Parfum?
An dem Kerl ist alles seltsam dachte ich, aber ich verdrängte dann meine Gedanken.
Er war Doc's Patient und mich ging sein blödes Parfum nichts an.
"So Nada, das war doch interessant?" lästerte der Doc sofort grinsend.
"Was denn Doc?" fragte ich leicht verwirrt.
"Der junge Mann ist doch interessant, finden sie nicht?"
Ich zuckte mit meinen Schultern.
"Das kann ich nicht beurteilen Doc. Er ist ihr Patient. Brauchen sie mich noch?" ich wollte nicht über diesen Bogdan reden.
Ich war ausgelaugt und wollte nur schlafen.
"Nein, wir sind fertig. Bis Morgen! Übrigens, ihre Muttersprache ist schön. Stimmt es, dass wir ihre Namen falsch aussprechen?" fragte der Doc interessiert.
"Das macht nichts Doc." sagte ich nur freundlich und desinfizierte meine Hände.
"Wie spricht man deinen Namen richtig aus?" wollte er dann wissen.
Ja, der Doc war ein lieber Mann.
"So wie es geschrieben wird nur eben nicht Amerikanisch. Ganz einfach Nada" sagte ich leise und dachte an Bogdans Tattoo.
"Was bedeutet das?" fragte der Doc und sah mich sehr lieb an.
"Hoffnung. Nada ist wie Hope auf Englisch" sagte ich leise und blinzelte wieder, schluckte meine Tränen runter.
"Das ist sehr schön Nada" sagte der Doc zärtlich und räusperte sich "ich möchte dich nicht bedrängen aber bitte komm zu uns zum Abendessen am Samstag, ja? Meine Frau möchte dich unbedingt wieder mal sehen und sie findet es schade, dass du dich so abschottest. Bitte, komm. Um 19.00 Uhr."
Unsicher sah ich diesen netten Mann an und wusste nicht wie ich mich herausreden sollte.
"Nada ich bin nicht blind. Ich sehe sehr viel in deinem Verhalten und ich respektiere dein Schweigen und deine Privatsphäre aber bitte komm, von uns droht dir keine Gefahr." sagte er sanft und lächelte mich so schön väterlich an.
Ich schluckte den Knoten in meinem Hals runter und blinzelte die verdammten Tränen weg.
"Okay ich komme. Danke Doc" flüsterte ich und eilte dann zu meiner Jacke.
Auf der Fahrt nach Hause liess ich meinen Tränen freien Lauf.

Hope Hoffnung NadaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt