#42 Tom: Vers le Sud

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Leises rascheln von Papier und dahinplätscherndes Gemurmel der Unterhaltungen raunen durch die Bibliothek des Juridicum. Marco, Manuel, Meri und meine Wenigkeit haben sich versammelt um einen Blick auf das Hausarbeiten-Thema zu werfen. Anders als ich müssen die drei Ms die nämlich noch schreiben.  Halb Zehn in Deutschland fällt mir beim Blick auf die Uhr der dämliche Werbespruch von Knoppers ein als mein Smartphone plötzlich DEN Ton von sich gibt. Den Ton der niemals lautlos ist und der eine Nachricht von Joao ankündigt. Schnell greife ich mein Smartphone und unter Mißachtung der mißbilligenden Blicke um mich herum öffne ich den Chat.

Joao schreibt: >Hi Sweetie! I'm in France, will you come?< Gefolgt von einer Adresse und einem Standort.

Er ist in Frankreich! Und er will mich sehen! Schnell checke ich die Adresse, Antibes in Südfrankreich, an der Côte d'Azur.

Kurz antworte ich: >I will come<, dann erhebe ich mich und sage den drei mich erstaunt anblickenden: "Sorry, bin dann mal weg!" Manuel fasst sich als Erster: "Weg? Wohin?" "Muss an die Côte d'Azur" erwidere ich und laufe schon zum Ausgang der Bibliothek. "So eilig?" höre ich Meri noch fragen und ich rufe unbekümmert zurück: "Joao, er wartet!"

Ich sprinte zu meinem Auto, haue die Adresse schon mal ins Navi. Das sagt 1460km. Und dass der Weg durch die Schweiz geht. Das bedeutet, dass ich jetzt als erstes einen Blumenladen ansteuern werde. Denn wenn ich durch die Schweiz fahre werde ich Renato besuchen. Und eine weiße Rose auf sein Grab legen.

Renato war mein bester und einziger Freund im Kindergarten und dann bis zur 8. Klasse. Dann ist er mit seinen Eltern in die Schweiz gezogen und erst in der 13. Klasse fürs Abitur wieder gekommen. Er war der einzige Mensch dem ich vertraut habe. Leider starb er vor zweienhalb Jahren an einem Asthmaanfall. An Weihnachten, auf dem Sofa seiner Eltern unter dem Baum. Unsere Beziehung war so eng, dass mir, wenn ich Probleme habe oder Entscheidungen fällen muss, Renato nachts in meinen Träumen erscheint und ich mit ihm rede.

Nachdem ich die Rose besorgt habe, fahre ich sofort nach Hause und bepacke das Auto. Also vielmehr öffne ich den Kofferaum und stopfe alles an Zeug rein was ich brauche, brauchen könnte oder gerade herumliegt.  Zum Glück habe ich schon eine Vignette für die Schweiz im Auto kleben, also schreibe ich eine Nachricht an Mirko: >Nächste Pause, Eingang, ich warte auf dich<.

Dann gehe ich zu Mirkos Schule und kaum, dass Pause ist, steht er auch schon vor mir. "Ich muss weg" komme ich sofort zur Sache "hier hast du meinen Zweitschlüssel, gucke nach der Post und den Blumen bitte." Er sieht mich überrascht an und ich grinse ihn vieldeutig an: "Fühl dich wie zu Hause, allerdings nur so, dass keine Polizei kommt oder ich die Bude vollgekotzt vorfinde..." Er nickt und fragt dann: "Wann bist du zurück?" "Keine Ahnung, spätestens Anfang Oktober" antworte ich, dann laufe ich zurück zu meinem Auto.

Jetzt noch volltanken und dann startet 'The Race to the South'.

Es ist 11:02 Uhr als ich auf die Autobahn auffahre. Ich trete das Gaspedal durch und mein geliebter Wagen beschleunigt zügig, dann schalte ich die Musik ein. 'Guerra' mit der Callas dröhnt aus den Boxen, das ist passend zu dem was mir jetzt die nächsten Stunden bevorsteht.

Auf der zunächst leeren Autobahn presche ich Richtung Hannover, als mehr Verkehr aufkommt wird die Bahn auch breiter und ich mache das, was ich euphemistisch 'Die Weite des Raumes ausnutzen' nenne: Wenn es nicht links vorbei geht, dann halt ab durch die Mitte oder ganz rechts vorbei.

Nach 55min habe ich bereits Hannover passiert und weiter geht es südwärts, in den Kassler Bergen jage ich meinen Wagen mit 220, 230 durch die Kurven, es macht Spaß, außerdem treibt mich ein Gedanke voran: Joao, ich komme!

Bei Fulda muss ich das erste Mal nachtanken, dann geht es über Würzburg und Heilbronn Richtung Stuttgart. Durch den Engelbergtunnel und dann weiter Richtung München, jetzt ganz brav, denn ich weiß wo die Blitzer stehen. Dann biege ich ab Richtung Singen.

Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt