#187 Mirko: Geh!

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Auch danach blieb Tom stumm, meldete sich nicht.
So beschlossen Tobias und ich am heutigen Sonntag bei ihm vorbeizuschauen.

Obwohl sein Wagen vor der Tür steht öffnet Tom nicht, allerdings zeigt die starke Vereisung desselben, dass er ihn die letzten Tagen auch nicht mehr bewegt hat, den Freitag hatte es ordentlich geschneit und Samstag dann geregnet und gefroren.
Also öffne ich die Haustür mit meinem Schlüssel und Tobias und ich begeben uns nach oben, wo ich dasselbe mit der Wohnungstür mache.

Es ist gespenstisch still in der Wohnung, dennoch dauert es nicht lange bis wie Tom finden. Er liegt auf seinem Couchbett und schläft.
Tobias jedoch klappt die Tür etwas laut hinter sich zu und weckt ihn so.

Etwas verschlafen schaut er uns aus trüben Augen an, dann murmelt er: "Ach ihr seid's, was gibt's denn?"
"Wir wollten nur mal schauen wie es dir geht" erkläre ich ihm sanft.
"Ich lebe noch" erwidert er sarkastisch, "leider..."
"Oh Tom..." seufze ich, dann stelle ich aber doch die Frage, die wir uns alle seit Donnerstags stellen: "Wie läuft es mit deiner Examensarbeit?"
"Die schaffe ich eh nimmer" erwidert Tom resigniert.
"Kannst du dich nicht krankschreiben lassen und die nachschreiben?" mischt sich Tobias ein.
"Ich bin nicht krank, findet der Amtsarzt" entgegnet Tom bitter, "und nachschreiben kann man die auch nicht. Ich muss dann in einem halben Jahr alles nochmal machen, dann aber nach dem neuen Verfahren. Das packe ich eh nicht!"
"Du wirfst einfach so hin?" halte ich ihm vor.
"Es macht doch eh alles keinen Sinn mehr" erwidert Tom.
"Aber..." versuche ich einzuwenden, aber Tom unterbricht mich mit eisiger Stimme: "Nichts aber! Was wollt ihr überhaupt hier? Ihr mögt mich? Vergesst das lieber ganz schnell und vergesst mich gleich mit! Ihr seht doch wie es Jedem ergeht der mich mag und für den ich etwas empfinde. Haltet euch von mir fern, wenn euch euer Leben lieb ist! Oder wollt ihr nach Adriano, Renato, João und Marco die nächste in der Reihe werden?"

Während ich fassungslos bin widerspricht ihm Tobias: "Das kannst du doch so nicht sagen Tom, du bist ein liebenswerter, loyaler und heißer Kerl und du hast Freunde die sich um dich sorgen!"
"Und was passiert dann mit meinen Freunden?" Toms Stimme wird lauter und verzweifelt. "Sie sterben!"
"Aber das ist doch nicht deine Schuld" widerspreche ich ihm beruhigend.
"Woher willst du das wissen?" kontert er hoffnungslos, "vielleicht bin ich verflucht, vielleicht bin ich ein Incubus der die Lebensenergie aller aufsaugt die ihm zu nahe kommen und stehen?"
"Das ist doch Unsinn" meldet sich auch Tobias wieder zu Wort.

"Unsinn?" erwidert Tom zynisch, "von den fünf Menschen, die mir bisher am meisten bedeutet haben in meinem Leben sind vier tot - und das nicht wegen Altersschwäche!
Wie hoch ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass einem das passiert, bevor man 26 wird?"
"Fünf Menschen?" frage ich nach.
Tom blickt mich an und dieses Mal ist es eindeutig Angst, die aus seinen Blicken spricht als er mir antwortet: "Du bist die Fünf, falls das deine Frage ist!"

Obwohl das total irrational ist, verursacht seine Aussage mir ein leichtes mulmiges Gefühl.
Tom aber lässt mir keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn er schreit uns an: "Geht, geht einfach, rennt so lange ihr noch könnt! So lange ihr fliehen könnt noch, schützt ihr euch!"
"Ich werde nicht wegrennen, nur weil du vom Unglück verfolgt wirst!" begehre ich auf.
Aber er lacht nur, es ist ein verzweifeltes und fast ein wenig irres Lachen: "Ich werde nicht vom Unglück verfolgt, ich BIN das Unglück was verfolgt!"

Daraufhin wendet er sich direkt an Tobias: "Kleiner. Du bist süß, du bist schön und du bist intelligent. Du hast ein wunderschönes Leben verdient. Deswegen, halte dich fern von mir und jetzt geh, geh einfach solange du noch kannst. Ich bin nicht gut für dich, Kleiner UND JETZT RENNE!"
Tobias blickt mich kurz fragend an und dann murmelt er: "Es tut mir so leid..." Dann wendet er sich ab und geht, seine Schritte hallen die Treppe herunter, dann fällt die Haustür hinter ihm zu.
"Wenigstens einer der begreift was gut für ihn ist" kommt es resigniert von Tom.

"Was erwartest du jetzt von mir?" frage ich ihn, als der Kleine endgültig weg ist.
"Geh einfach. Nimm Lucas, geh mit ihm in eine coole Stadt, studiert da gemeinsam, werdet glücklich und erfolgreich und unabhängig. Und bloß nicht so wie ich!" erwidert er.
"Aber ich kann doch jetzt nicht einfach gehen..." widerspreche ich.
"Du kannst - und du musst!" beharrt Tom, "du wirst meinen Fall nicht aufhalten können. Aber du kannst verhindern, dass du der nächste wirst, den ich mit mir hinab reiße!"
"Dennoch..." versuche ich einen Einwand, aber wieder fällt er mir harsch ins Wort: "Du hast jetzt ein Abitur zu schaffen. Das ist wichtig! Ich bin es nicht!"
Kurz schweigt er, dann fährt er fort: "Geh jetzt, sei fleißig und erziele einen guten Abschluss."
Und als ich mich nicht gleich erhebe, donnert er sehr dominant: "UND JETZT GEH!"

Erschrocken springe ich auf, dann aber mache ich, was er gesagt hat.
Es ist wohl besser wenn ich jetzt gehe. Er hat ja auch nicht Unrecht, in zwei Monaten sind die ersten Abiturprüfungen, da sollte ich mich drauf konzentrieren...

Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt