#183 Marco: Game over

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Als ich die Auffahrt von der Tiefgarage hinaufpresche, scheint mein Vater zu begreifen, dass es ernst wird.
Zumindest vermute ich, dass er es ist der nun versucht das schmiedeeiserne Tor zu schließen.
Zu meiner Freude schließt das aber langsam und unter Verlust des rechten Außenspiegels und mit einem hässlichen metallischen Kreitschen am hinteren rechten Kotflügel komme ich noch hindurch.
Und das war erst der Anfang, wie du mir, so ich dir 'Vater'!

Als ich auf der Hauptstraße bin fällt mir erst ein, dass ich mein Handy vergessen habe.
Von daher beschließe ich zu Tom zu fahren. Ich muss ihm wenigstens sagen, dass es mir Leid tut, dass ich ihn nicht beschützen kann, ihm von der Drohung meines Vaters erzählen. Er hat ein Recht zu wissen, dass alle meine Liebe für ihn leider nicht ausreicht, weil ich zu feige und zu schwach bin um ihn vor meinen eigenen Eltern zu beschützen. Wie anmaßend war es von mir zu denken ich könnte das. Das Einzige was ich tun kann um Tom zu schützen, ist, mich fern von ihm zu halten und ihn zu bitten, dass er das auch macht, wenn ihm auch nur ein bisschen an seinem Leben und seiner Zukunft liegt.
Denn sowenig ich meinem Vater vertraue, dass er Tom einfach so verschwinden lässt, das traue ich ihm leider zu.
Bei allem was uns unterscheidet bin ich wie mein Vater ein Kind von der Küste - und so wie er weiß ich nur allzu gut, dass ein Körper mit Gewichten der nachts in den Tiefen der Nordsee verschwindet so gut wie niemals wieder auftaucht.
Die See verschlingt den, das Watt begräbt ihn und die Gezeiten zermahlen ihn.
Und Schiffe ist etwas an dem es im Zugriffsbereich meines Vaters ganz sicher nicht mangelt.
Bei Toms Nebenerwerb würde das die Ermittlungsbehörden vermutlich nicht einmal besonders wundern wenn er verschwände.

Als ich vor Toms Haus anlange, ist sein Auto nicht da, alles ist dunkel.
Und auch auf mein Klingeln, Hämmern und Klopfen hin erfolgt keine Reaktion.
Ist er womöglich so verletzt, dass er in ein Krankenhaus musste?
Vor Verzweiflung heulend setze ich mich wieder in den Wagen.
Da fällt mein Blick auf die Aktentasche meines Vaters und ich öffne sie. Neben allerlei Kram ist dort auch ein Stapel seines edlen Briefpapiers und Umschläge.
Bei dem Anblick kommt mir eine Idee: Ein Brief, ich schreibe Tom einen Brief!

Mit dem Aktenkoffer auf dem Schoß sitze ich in dem Auto und mit dem edlen Füller meines Vaters schreibe ich auf dem handgeschöpften Büttenpapier an Tom.
Wie sehr ich ihn liebe schreibe ich und wie sehr ich mich für meine Eltern schäme, wie sehr es mir Leid tut, dass ich in den entscheidenden Momenten zu feige und schwach war um hinter ihm zu stehen und ihn zu beschützen. Dass ich es nicht verdient hätte mit einem so wundervollem Mann wie ihm zusammen zu sein. Ich schreibe was mein Vater gedroht hat und bitte ihn inständig, sich von mir und von meiner Familie fernzuhalten, denn ich kann es mir nicht verzeihen, wenn mein Vater ihm ein Leid zufügen würde.
Immer wieder tropft eine Träne von mir auf das Papier, aber ich schreibe und schreibe als hinge mein Leben davon ab.
Aber zumindest ein Leben hängt davon ab. Und das ist mir jetzt wichtiger als mein eigenes.
Denn getrennt von Tom und unter der Fuchtel meines Vaters der sicherlich die Chuzpe besitzt jetzt eben einen für seine Interessen passende Partner für mich zu suchen wird mein Leben sicherlich schrecklich, grau und deprimierend.
Mein Vater bringt es fertig und verheiratet mich an den Horstmann oder jemanden aus Politik oder Militär, zuzutrauen wäre es ihm allemal.
Aber ein Leben nachdem Tom durch die Intrigen meines Vaters ins Unglück gestürzt wurde möchte ich mir garnicht vorstellen. Das möchte ich nicht erleben müssen.
Schließlich bin ich mit dem Brief fertig. Eigentlich ist das ein Abschiedsbrief denke ich während ich mich anschicke die beschriebenen Blätter zu falten und in einen Umschlag zu stecken.
Doch dann halte ich inne, denn mir kommt noch eine Idee die meinen Vater sicherlich nicht gefallen würde.

Ich starte den Motor und steuere den nächsten Automaten der Hansebank an. Mit meiner Kredit- und meiner EC-Karte hebe ich alles an Geld ab was möglich ist, dann fahre ich zur Deutsche Bank und mache dasselbe und dann weiter bei anderen Automaten.
Auch wenn ich es nicht gezählt habe, es ist ein dicker Stapel Bargeld der nun neben mir auf dem Beifahrersitz liegt.
Aus Vaters Tasche krame ich einen großen Umschlag, dort schiebe ich all' das Geld hinein und dann den Briefumschlag mit dem Geschriebenem für Tom dazu.
Sorgfältig verklebe ich den Umschlag, dann schreibe ich 'Für Tom Keran' darauf und fahre wieder zurück zu Toms Wohnung.
Der ist allerdings immernoch nicht daheim und so nehme ich den Umschlag und versenke ihn sorgfältig und tief in seinem Briefkasten.

Ein Gefühl der Erleichterung überkommt mich welches mich verwirrt. Gleichzeitig wundere ich mich, dass es so einfach war, all' die Dinge aufzuschreiben die ich nie richtig anzusprechen in der Lage war.
Alles zusammen erfasst mich die tiefe Befriedigung etwas abgeschlossen zu haben.
Dazu aber gesellt sich eine zunehmende Wut auf meine Eltern, die mich dazu gezwungen haben, ein Gefühl das alles ab jetzt völlig sinnlos ist und ein Verlangen meine Eltern dieselbe Trauer, Wut und Hoffnungslosigkeit spüren zu lassen die ich empfinde.

Ich muss ihnen etwas wegnehmen, was sie zutiefst trifft und was sie mit aller Reue nicht mehr ändern können. Mehr als nur dieses Auto!

Als ich wieder in die Magnusallee einbiege, die Straße in der meiner Eltern Haus sich befindet, überfällt mich die Erkenntnis wie ein Blitzschlag: Es gibt nur eines was ich meinen Eltern wegnehmen kann, dessen Verlust alle ihre Pläne zunichte machen würde und von dem sie sich nie wieder erholen würden: Mich selbst!

Mitten auf der Straße halte ich an. Diese geht schnurgerade für etwa einen Kilometer bevor sie vor einer massiven Betonmauer eine scharfe Kurve nach rechts macht.

Ich starre die Straße hinab, vorne rechts steht mein Elternhaus, in der Dunkelheit lauert am Ende die Mauer.
Das Ende... die Mauer... echot mein Gehirn.
Einmal, einmal werde ich am längeren Hebel setzen. Ich werde alle ihre Pläne vernichten, ich werde frei sein, Tom wird sicher sein!

Schwer tritt mein Fuss auf das Gaspedal, mit quitschenden Reifen und dröhnendem Motor setzt der schwere Wagen sich in Bewegung.
Als ich mein Elternhaus mit bereits hoher Geschwindigkeit passiere hupe ich laut, dann schliesse ich meine Augen.

Nur das Geräusch des Fahrtwindes verrät wie schnell ich unterwegs bin.
Dann gibt es einen heftig Schlag und ich spüre wie das Fahrzeug sich vorne aufbäumt.
Das war wohl die Bordsteinkante...
Kurz schwebt der Wagen durch die Luft und neigt sich leicht nach rechts, während der Motor laut aufjault, da alle vier Räder ins Leere greifen.
Ich spüre den Aufprall, der Airbag schlägt mir ins Gesicht, das hässliche Geräusch sich kalt verformenden Stahls zerreißt endgültig die nächtliche Stille. Hoch hebt sich das Heck des Fahrzeuges, ich höre das Splittern von Glas und Plastik, kalte Luft strömt an meinen Körper gefolgt vom dumpfen Geräusch zerplatzenden Betons. Bruchteile einer Sekunde glaube ich zu fliegen, dann prallt mein Körper gegen etwas hartes und festes. Millisekunden heftigster Schmerz, dann ist alles vorbei.

Ruhe. Friedliche Ruhe für mich.
Eine grausige Ruhe um den Ort herum, von dem meine Seele sich nun entfernt.

Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt