Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)

#186 Mirko & Tom: Addio...

Mirko

In der ersten großen Pause kommt Tobias zu mir und klatscht mir mit den Worten "Das ist doch der Marco vom Tom oder?" den Lokalteil der Zeitung hin.
Ein wenig überrascht blicke ich auf die bedruckten Seiten.
'Tödlicher Unfall: Erbe Marco Lyrssen verstorben' lese ich.
Darunter ein Foto eines völlig zermatschten Automobils das offenbar mit einer Betonwand kollidiert ist, in dem ich aber dennoch den Audi wiedererkenne mit dem Marco uns ins Ballett nach Hamburg gefahren hat.
Dazu ein weiteres kleines Portraitbild was offensichtlich den Marco zeigt, mit dem Tom was hat.

"Das ist er!" bestätige ich entsetzt.
Erst João und jetzt Marco, wie soll Tom damit klarkommen? Und hatte er nicht erwähnt, dass er vor Marco auch schon einen Freund verloren hat?
"Es ist nicht fair!" entfährt es mir aufgebracht.
"Die schreiben er ist schneller als 180 gefahren" merkt Tobias an, "was da wohl los war, dass er sowas mitten in der Stadt gemacht hat?"
"Das kann ich dir auch nicht sagen, aber ich werde nach der Schule bei Tom vorbeischauen!" erwidere ich.
Als ich den erwartungsvollen Blick von Tobias bemerke, füge ich hinzu: "Erst einmal nur ich alleine!"

*****

Nach der Schule eile ich sofort zu Tom.
Zu meiner Überraschung öffnet er mir kommentarlos die Haustür.
Als ich dann die Treppe hinaufkomme steht er schon in der Wohnungstür.
"Du weißt es also auch schon" stellt er lapidar fest.
"Dann ist es also wahr" erwidere ich betroffen.
"Ja" sagt er und seine Stimme klingt so unendlich müde und erschöpft.
"Es tut mir so leid" versichere ich ihm, doch als ich ihn umarmen möchte macht er einen Schritt zurück und sagt leise: "Nicht..."
Gekonnt überspiele ich meine Verwunderung, dann fragt er: "Willst du kurz reinkommen?" und deutet zum Wohnzimmer.
Ich nicke und folge ihm dann in selbiges.
Als ich und er sitzen und er nichts sagt, stelle ich die Frage in den Raum, die mich seit der Anmerkung von Tobias beschäftigt: "So ein Unfall, wie konnte das passieren?"
"Kannst du schweigen?" will er wissen.
"Ja!" erwidere ich verwundert.
"Gut, denn alles was ich dir jetzt erzähle behälst du für dich!" mahnt er.
"Ich verspreche es!" versichere ich ihm.
Er schweigt kurz und als er dann wieder spricht ist seine Stimme erneut so traurig und müde, dass es grausam mitzuerleben ist: "Es war kein Unfall."
Kein Unfall, was denn dann?
Fassungslos haue ich raus: "Was dann?"
"Marco, er..." Tom verstummt und ich merke wie er mit seinen Emotionen kämpft bevor er fortfährt, "...er hat sich den Plänen seines Vaters widersetzt. Endgültig!"

Erst verstehe ich nicht was er meint. Aber dann verstehe ich es doch. Und es verstört mich zutiefst: "Nein! Warum?"
Zum ersten Mal heute treffen sich unsere Blicke und ich zucke zusammen, als ich in Toms Augen schaue, denn da ist einfach kein Ausdruck mehr, nicht einmal mehr Verzweiflung oder Trauer, einfach eine erschreckende und furchtbare Leere. Ebenso erschreckend wie sein Blick ist seine Stimme als er mir düster antwortet: "Wegen mir."

Ich frage nicht weiter nach, stattdessen erkundige ich mich: "Was wirst du nun machen?"
"Auf die Beerdigung gehen" antwortet er.
"Und danach?" hake ich nach. Er zuckt nur mit den Schultern.
"Hast du nicht noch was für deinen Abschluss fertig zu machen?" bohre ich weiter.
"Ja..." antwortet er monoton.
Kurz überlege ich, ob ich weiterfrage ob er denn auch vorhat, das fertig zu machen, aber dann beschließe ich, dass das unangemessen und übergriffig wäre und schweige.

Mit "Du sagst mir wann und wo die Trauerfeier ist?" breche ich das Schweigen auch wieder.
"Mach ich" erwidert er.

Dann ist er es der das Schweigen bricht: "Sei mir nicht böse, aber ich wäre jetzt gerne alleine!"
Ich nicke und trete leise den Rückzug an. Auch wenn ich kein gutes Gefühl habe ihn allein zu lassen, ich will und kann mich ihm nicht aufdrängen.
Life is unfair, aber das ist way too much!

.

Tom

So lieb das von Mirko sicherlich gemeint war, ich ertrage jetzt niemanden, ich ertrage jetzt kein Mitleid.
Kaum, dass er weg ist, bekomme ich einen Anruf von Vergil, dieser sagt mir, dass wir um 17.00 Uhr ein Meeting mit Marcos Vater beim Domprediger haben.
Und dass er mich abholt.