Nach einem Monat ist es nicht besser geworden. Aber ich stelle fest, dass ich langsam abstumpfe dagegen. Ich spüre einfach weniger, sowohl innerlich wie äußerlich.
Es ist wieder einmal erste Pause und auch heute wird das Unvermeidliche wieder passieren. Nur wird es langsam schwer es vor meinen Eltern zu verbergen. Ich mein, wie oft kann man denn vom Fahrrad stürzen und sich die Klamotten zerreissen bevor einem das keiner mehr glaubt? Eben...
Und schon sehe ich aus dem Augenwinkel wie Luca, Erkan, Sebi, Dino und die anderen hinter Mehmet betont lässig auf mich zulaufen. Weglaufen, das habe ich schon lange aufgegeben. Hilfe von den anderen Jahrgängen oder Lehrern? Fehlanzeige!
Als Mehmet direkt vor mir steht und mich herausfordernd anstarrt, mache ich etwas, das ich niemals von mir erwartet hätte und während ich es mache, fange ich an mich selbst zu verachten. Ich ziehe mein Shirt und meinen Pullover aus, dann senke ich meinen Kopf und sage in einem resigniertem Ton: "Bin soweit, aber bitte nicht ins Gesicht..." Alle schauen mich irrtiert an, dann fragt Sebi spöttisch: "Warum?" "Im Gesicht sieht man es, mir fallen keine Ausreden für die Lehrer und meine Eltern mehr ein... ...ist doch auch besser für euch wenn es keiner sieht" erwidere ich mich leichtem Trotz in der Stimme. Kurz ist es still, dann brüllt Sebi agressiv: "Warum du dich ausziehst, willst du uns anschwulen oder was?" Die Anderen lachen abfällig. "Auch für andauernd zerissene Klamotten muss ich eine Erklärung haben" schreie ich zurück, traue mich aber nicht auch nur aufzusehen. Dino kommt auf mich zu und mit süffisanter Stimme ätzt er: "Oh wie rücksichtsvoll von dir.." dann rotzt er mir ins Gesicht und meint "...aber das hinterlässt ja keine Spuren, wie rücksichtsvoll von mir.." Wieder lachen alle um mich herum. Der wohlgenährte Mehmet kommt auf mich zu und packt mich an der Schulter: "Auf die Knie". Er drückt mich runter und widerstandslos lasse ich mich auf die Knie fallen. Ich habe aufgegeben oder? schiesst es mir durch den Kopf. Ein Klatschen ertönt und dann spüre ich einen brennenden Schmerz auf dem rechten Schulterblatt, dann wieder das Klatschen und wieder dieser Schmerz, dieses Mal auf dem linken Schulterblatt. "Birkenzweige, krasse Idee Alter" höre ich Mehmet höhnisch sagen. Noch einmal klatscht es und der Schmerz brennt sich durch meinen Nacken. Dann ist plötzlich Ruhe.
Und dann höre ich meine Französischlehrerin, Frau Sailfelder wie sie losmeckert: "Was hocken Sie hier den halbnackt herum Mirko?" Ich schaue hoch und sie schaut mich genervt an: "Ich weiß ja nicht was das wird, aber leben Sie ihre schrägen Vorlieben doch anderswo aus, oui?" Ich spüre wie ich vor Scham rot anlaufe und dann höre ich wie alle, wirklich alle, anfangen zu lachen. Mich auszulachen.
Blindlings springe ich auf, greife nach meinen Sachen und mehr taumelnd als laufend gehe ich in meinen Klassenraum. Bei jedem Schritt und jeder Bewegung spüre ich den brennenden Schmerz. Nicht so stark wie vorhin, aber immernoch schmerzhaft, wie in kleinen Schüben, immer und immer wieder. In mir fühle ich Leere. Ich habe versucht zu kapitulieren, ich habe versucht mich zu unterwerfen. Aber das reicht ihnen nicht. Sie wollen mich zerstören. Eigentlich sollte ich Angst haben, Angst davor wie es weitergeht. Doch ich fühle mich so müde, zu müde um noch Kraft zu haben für Angst. Früher habe ich mich auf meine Zukunft gefreut. Jetzt sehe ich an der Stelle nur noch Dunkelheit. Es kann doch nicht mehr schlimmer werden?
Doch, kann es.
Am nächsten Tag flüchte ich in der ersten Pause in eine entlegene Ecke des Pausenhofes. Doch vergebends. Michelinjunge mit seiner Gang hat mich nur zu schnell aufgespürt. Was habe ich auch erwartet, natürlich suchen die nach mir. Schnell kreisen die Jungs mich ein, ich zucke mit meinen Schultern und streife mir resigniert Shirt und Pullover über den Kopf. Dass ich das besser nicht getan hätte, wird mir Sekunden später nur allzu deutlich. Ein lautes aber dumpfes Klatschen ist zu hören, gefolgt von einem dumpfen Schlag der mir die Luft aus den Lungen treibt und dann ein Gefühl als ziehe mir jemand glühende Kohlen über den Rücken. Ich huste kurz auf und dann merke ich wie mir die Tränen in die Augen schießen. Der brennende Schmerz vernebelt mir den Verstand und wie durch einen Schleier höre ich Sebi mit anerkennender Stimme sagen: "Stück Gartenschlauch, goile Sache Erkan!" Dann klatscht es erneut und der auf den Schlag folgende Schmerz ist einfach zuviel für mich. Unwillkürlich krümme ich mich zusammen und kippe zur Seite um. In meinem Gehirn wummert nur noch Schmerz! Unerträglicher Schmerz! und während meine Tränen fließen wimmere ich schmerzerfüllt.
Ich hebe meinen Kopf und durch einen Schleier von Tränen sehe ich Sebi der direk vor mir steht und auf mich herunterschaut mit einem Blick, als beobachte er ein spannendes Experiment. Ich krieche nach vorne und klammere mich mit meine Händen an Sebis Fuß fest: "Bitte Sebi" höre ich mich mit schmerzverzehrter Stimme flehen, ich will nur noch das es aufhört, "hab Erbarmen!" Und während ich mich noch über mich selbst wundere, dass ich ausgerechnet diesen Begriff aus den Religionsunterricht verwende, höre ich Sebi abfällig lachen und dann trifft mich ein Fuß an der Schläfe und es wird Dunkel um mich herum.
Als ich wieder aus der Dunkelheit auftauche, ist das erste was ich spüre stechende Schmerzen im Kopf. Mühsam öffne ich meine Augen. Ich liege immernoch in der entlegenen Ecke des Pausenhofes, direkt hinter dem Schuppen des Hausmeisters. Keiner ist da und offenbar hat mich auch keiner im Unterricht vermisst. Mühsam versuche ich mich aufzurichten, aber das mit einem jähen Schmerz verbundene Gefühl die Haut würde an zwei Stellen meines Rücken aufreißen lässt mich aufjammern und innehalten. Verzweifelt lasse ich mich wieder zurück in den Staub fallen und verberge mein Gesicht in meinen Armen.
Warum nur Sebi warum? Du warst zwölf Jahre mein bester Freund und jetzt wegen einem verfickten Versuch dich zu küssen zählt das alles nicht mehr? Zählt es nicht nur mehr sondern ist Grund genug mich zusammenzuschlagen?
Ich höre wie die Schulglocke läutet, offensichtlich ist der Unterricht aus. Wie lange ich wohl hier bewusstlos herumlag? Ich weiß es nicht.
Schritte nähern sich und ich höre Stimmen. Zuerst die von Luca: "Cazzo, er liegt ja noch immer hier!" Mehrere Personen beugen sich über mich, ich versuche mühsam meinen Kopf zu heben und dann höre ich Mehmet: "Na, aber Tod issa nicht!" Wut erfasst mich und die Schmerzen ignorierend richte ich mich auf. "Dann macht doch weiter, dann hat es ein Ende!" zische ich sie an. Sebi tritt vor mich und beugt sich zu mir herunter. Er grinst mich fies an und sagt mit höhnischen Unterton: "Das machen wir nicht, das wirst du selbst machen!" Ich fühle mich als ob eine unsichtbare und eiskalte Hand sich um meinen Hals legt und schaue ihn nur an. Das kann er nicht ernst meinen! Doch Sebi schaut mich angewidert an und fährt dann fort: "Wir werden dich schon so weit bekommen" dann grinst er und sein Ton wird süffisant: "Bis dahin solltest du dir ein paar blutrote Shirts zulegen damit man nicht sieht wie kaputt du schon bist."
Ich weiß nicht wann und wie ich es geschafft habe, aufzustehen, Shirt und Pullover wieder anzuziehen und nach Hause zu kommen. Zum Glück ist niemand daheim und bekommt mit, wie ich wegen dem Wasser in meinen Wunden vor Schmerzen wimmernd unter der Dusche stehe und den Dreck und das Blut von mir abwasche. Ich hole mir zwei Ibu600 aus dem Badezimmerschrank und lege mich in mein Bett. Während ich unter der Wirkung der Schmerzmittel hinwegdämmere verfolgt mich nur ein Gedanke: "Mein ex bester Freund möchte, dass ich sterbe. Nein schlimmer, er möchte mich dazu bringen, dass ich mich umbringe..."
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Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)
Storie d'amoreDAS IST DIE ZENSIERTE, AN DIE RICHTLINIEN ANGEPASSTE VERSION, D.H. EINIGE KAPITEL FEHLEN, bzw. Teile einiger Kapitel (die unzensierte Version überarbeitete Version gibt es auf Storyban) Nach einem schweren Schicksalschlag beschliesst Tom keinerlei...